· Fachbeitrag · Selbstanzeige
Tatbestandsmerkmale des Rücktritts vom Versuch
von Dr. Karsten Webel, LL.M. (Indiana), Hamburg
| Die Selbstanzeige gemäß § 371 AO ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund, sodass im Fall einer wirksamen Selbstanzeige die Möglichkeit der Bestrafung der Tat entfällt. Ein anderer Weg zur Straffreiheit ist der im allgemeinen Strafrecht geregelte strafbefreiende Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 StGB . Nachdem in PStR 14, 263 ff. bereits festgestellt wurde, dass § 24 StGB und § 371 AO auch nach dessen Neufassung in 2011 nebeneinander auf eine versuchte Steuerhinterziehung anwendbar sind, sind nun die Tatbestandsmerkmale des Rücktritts vom Versuch im Hinblick auf § 370 AO zu definieren. |
1. Voraussetzungen des Rücktritts vom Versuch
Folgende Beispiele sind denkbar, in denen neben § 371 AO möglicherweise auch § 24 StGB zur Anwendung kommen könnte:
- Ein Steuerpflichtiger teilt nach Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung zunächst nur mit, dass die Erklärung unrichtig ist, ohne sie zugleich in der nach § 371 AO erforderlichen Weise zu berichtigen.
- Ein Steuerpflichtiger sucht die Behörde auf, um Selbstanzeige zu erstatten. In der Zwischenzeit ist bei ihm ein Amtsträger i.S. des § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO erschienen oder seinem Vertreter wurde in der Zwischenzeit eine Prüfungsanordnung oder eine Verfahrenseinleitung bekannt gegeben.
- Es wurde eine vollständige Selbstanzeige abgegeben, aber die nach § 371 Abs. 3 AO fällige Steuer wurde nicht gezahlt.
In diesen Fällen liegt keine wirksame Selbstanzeige vor. Die Frage ist dann, ob sich die Straffreiheit in den vorliegenden Fällen aus § 24 StGB ergibt. Nach § 24 Abs. 1 StGB wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Vorausgesetzt, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, muss das Handeln des Täters je danach, ob es sich um einen unbeendeten, beendeten oder vermeintlich vollendeten Versuch handelt, verschiedene Anforderungen für die Straffreiheit erfüllen. Die Handlungen müssen darüber hinaus auch alle freiwillig erfolgen.
2. Misslungener Rücktritt
Ist der tatbestandliche Erfolg bereits eingetreten, bleibt für einen Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB kein Raum. Etwas anderes gilt, wenn der konkrete Erfolg dem Täter nicht objektiv zuzurechnen ist, denn dann hat nicht er die Tat vollendet. Solche Fälle werden allerdings in der Praxis ausgesprochen selten sein - z.B. wenn die Festsetzung nicht aufgrund der unzutreffenden Steuererklärung des Täters zustande kommt, sondern ausschließlich aufgrund eines ebenfalls unzutreffenden Betriebsprüfungsberichts, bezüglich dessen der Täter keine falschen Angaben gemacht hat.
3. Fehlgeschlagener Versuch
Auch im Fall eines (subjektiv) fehlgeschlagenen Versuchs ist § 24 StGB nicht anwendbar, da der Täter in diesem Fall die Vollendung seiner Tat nicht mehr für möglich hält. Folglich basiert das Ausbleiben des Erfolgs auf einem nicht zu honorierenden Zufall. Ein solcher fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn der Täter erkannt hat, dass seine Tathandlung das konkrete Handlungsziel nicht mehr erreichen wird und er dieses Ziel nicht mehr oder nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erreichen kann. Dies wäre z.B. der Fall, wenn dem Täter mitgeteilt wird, dass seine falschen Angaben im Rahmen einer Betriebsprüfung oder durch die Steuerfahndung entdeckt wurden (OLG Düsseldorf 3.10.86, 3 Ws 493/86, wistra 87, 354). Dasselbe gilt, wenn bereits in der Sache ein rechtskräftiges Urteil vorliegt (LG München 24.7.12, 4 StRR 99/12, PStR 12, 294).
Ein Versuch ist hingegen erst fehlgeschlagen, wenn das entsprechende Besteuerungsverfahren bestandskräftig abgeschlossen ist. Solange dieselbe Steuererklärung im Streit ist, der Steuerbescheid noch nicht bestandskräftig geworden ist und der Täter noch nicht alle Rechtsbehelfe ausgenutzt hat, ist der Versuch erst mit Bestandskraft des Steuerbescheids fehlgeschlagen (BGH 17.7.91, 5 StR 225/91, BGHSt 38, 37). Etwas anderes gilt nur, wenn zwischenzeitlich die Steuerhinterziehung entdeckt wurde (LG München 24.7.12, 4 StRR 99/12, PStR 12, 294).
4. Die drei Rücktrittsfälle gemäß § 24 Abs. 1 StGB
§ 24 StGB gewährt nur demjenigen Straffreiheit, der entweder die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgibt (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB; unbeendeter Versuch) oder die Vollendung der Tat durch eigene Tätigkeit verhindert hat (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB; beendeter Versuch). Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, wird er gemäß § 24 Abs. 1 S. 2 StGB straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern (versuchter Rücktritt). Dabei ist wie folgt zu differenzieren:
- Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter - nach seiner Vorstellung von der Tat - noch nicht alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat. Da der Versuchsbeginn einer Steuerhinterziehung aber überhaupt erst gegeben ist, wenn gegenüber den Behörden unzutreffende oder entgegen der bestehenden Verpflichtung keine Angaben gemacht wurden, gibt es insoweit allenfalls einen Anwendungsbereich für § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB, wenn der Täter zwar bereits unrichtige Angaben gemacht hat, aus seiner Sicht aber noch weitere Angaben oder die Vorlage von Nachweisen (z.B. Spendenbescheinigungen) notwendig sind, um den Verkürzungserfolg herbeizuführen. In diesem Fall erlangt er Straffreiheit, wenn er freiwillig die Tatausführung aufgibt indem er von weiteren Handlungen Abstand nimmt und die Steuer zutreffend festgesetzt wird. Größere Bedeutung kommt dem unbeendeten Versuch bezüglich der Hinterziehung von Ein- und Ausfuhrabgaben zu. Beginnt der Versuch indem der Steuerpflichtige mit dem Schmuggelgut die Hoheitsgrenze erreicht (BGH 21.1.83, 2 StR 698/82, BFHSt 31, 215), um die zollpflichtigen Waren unverzollt über die Grenze zu bringen, wird er dadurch straffrei, dass er freiwillig vom Grenzübertritt absieht.
- Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung bereits alles getan hat, was zur Verwirklichung des Tatbestands erforderlich ist. In diesem - bei der Steuerhinterziehung häufigsten Fall - muss der Täter nach § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB freiwillig die Vollendung verhindern. Im Falle der Verletzung von Steuererklärungspflichten durch die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung führt somit das bloße Nicht-weiter-Handeln nicht zur Straffreiheit gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB, sodass es einer aktiven Handlung wie z.B. der Verhinderung des Zugangs der abgeschickten unzutreffenden Erklärung, des Zurückziehens der unzutreffenden Erklärung oder der Berichtigung/Ergänzung der unzutreffenden Erklärung bedarf. Handelt es sich hingegen um eine Tatbegehung durch pflichtwidriges Unterlassen, kann die Tatvollendung nur durch die Erfüllung der dem Täter obliegenden steuerlichen Pflichten und somit durch die Nachholung der zutreffenden Erklärung erfolgen.
- Auch in dem Fall, dass der Täter einen unrichtigen Feststellungs- bzw. Grundlagenbescheid erwirkt hat, handelt es sich um einen beendeten Versuch der Steuerverkürzung, da die Ergebnisse von Amts wegen bei der Festsetzung berücksichtigt werden (ebenso Hellmann in HHSp, AO/FGO, § 370 Rn. 344). Folglich muss der Täter auch in diesem Fall aktiv werden, um im Hinblick auf den Versuch der Steuerverkürzung straffrei zu werden.
- Ein versuchter Rücktritt bzw. ein Rücktritt vom vermeintlich vollendeten Versuch i.S. des § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB kommt in Betracht, wenn der Versuch ohne Wissen des Täters untauglich oder fehlgeschlagen war oder der Erfolg ohne sein Zutun und Wissen durch Dritte verhindert wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Finanzbehörde selbstständig die Unrichtigkeit der Angaben erkennt oder die Besteuerungsgrundlagen trotz Fehlens der Steuererklärung zutreffend schätzt. In diesem Fall kann der Täter nach § 24 Abs. 1 S. 2 StGB Straffreiheit allein dadurch erlangen, dass er sich freiwillig und ernsthaft um die Verhinderung der Vollendung bemüht und die ihm insoweit bekannten Möglichkeiten ausschöpft, um die ihm (noch) möglich scheinende Tatbestandsvollendung zu verhindern. Zwingende Voraussetzung ist insoweit folglich, dass der Täter vom endgültigen Nichteintritt des Erfolgs keine Kenntnis hat.
5. Die Freiwilligkeit
Alle Rücktrittsfälle des § 24 StGB setzen Freiwilligkeit voraus. Dies bedeutet, dass es sich um einen autonomen Entschluss handeln muss, der primär aus Tätersicht zu beurteilen ist (Fischer, StGB, § 24 Rn. 18 ff.). Freiwilligkeit ist danach nur gegeben, wenn sich der Täter ohne wesentliche Erschwerung der äußeren Ausführungssituation aufgrund von inneren Beweggründen wie z.B. Scham, Reue, Angst vor Entdeckung oder Strafe zum Rücktritt entscheidet. Häufig wird nach der sogenannten Frank‘schen Formel der Rücktritt als freiwillig definiert, wenn der Täter sich sagt: „Ich will nicht, obwohl ich kann“, sodass eine moralisch-ethische Bewertung des Rücktrittsmotivs unterbleibt. Unfreiwillig ist der Rücktritt, wenn er auf heterogenen Gründen basiert, d.h. auf Hinderungsgründen, die vom Willen des Täters unabhängig sind oder die die Sachlage zu seinen Ungunsten so wesentlich verändern, dass er die damit verbundenen Risiken oder Nachteile nicht mehr in Kauf nehmen will (Fischer, StGB, § 24 Rn. 23). Die Vorstellung, die Tat sei bereits oder werde entdeckt, kann die Freiwilligkeit des Rücktritts ausschließen, wenn es dem Täter auf Heimlichkeit ankam bzw. wenn sich das aus seiner Sicht entscheidende Risiko der Entdeckung beträchtlich erhöht hat (Fischer, StGB, § 24 Rn. 19a). Damit fehlt es an der Freiwilligkeit des Rücktritts, wenn - die positive Kenntnis des Täters vorausgesetzt - Fahndungsbeamte beim Täter bereits zur Durchsuchung erschienen sind (BGH 5.5.04, 5 StR 548/03, NJW 05, 2720) oder wenn bereits ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde (BGH 19.3.91, 5 StR 516/90, BGHSt 37, 340). Dasselbe dürfte gelten, wenn dem Täter bereits die die versuchte Steuerhinterziehung erfassende Prüfungsanordnung bekannt gegeben wurde oder er vom diesbezüglichen Erscheinen des Betriebsprüfers erfährt (Jäger in Klein, AO, § 371 Rn. 5a; Kottke, DStZ 98, 151; Marschall, BB 98, 2496). Beziehen sich hingegen der Durchsuchungsbeschluss, die Prüfungsanordnung oder Verfahrenseinleitung nicht auf die versuchte Steuerhinterziehung, schließen sie auch nicht die Freiwilligkeit des Rücktritts aus, da sich dadurch das Entdeckungsrisiko noch nicht beträchtlich erhöht hat.
6. Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten
Sind an der Tat mehrere Personen beteiligt, ist § 24 Abs. 2 StGB anwendbar, der eine Verschärfung der Rücktrittsvoraussetzungen enthält. Für einen Rücktritt nach § 24 Abs. 2 StGB reicht allein die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung nicht aus. Eine Bestrafung entfällt lediglich, wenn der Beteiligte freiwillig die Vollendung verhindert bzw. sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Tat zu verhindern, die ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
Bei den Tatbeteiligten kann es sich um Mittäter oder Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfen) handeln. Die Rücktrittsbemühungen eines Beteiligten wirken sich grundsätzlich nicht auf die Versuchsstrafbarkeit anderer Beteiligter aus. Für angestiftete oder unterstützte Alleintäter wird § 24 Abs. 2 StGB durch dessen § 24 Abs. 1 StGB verdrängt (Fischer, StGB, § 24 Rn. 37). Folglich reicht es im Falle eines mittäterschaftlich begangenen Versuchs der Steuerhinterziehung für einen strafbefreienden Rücktritt nicht aus, wenn ein einzelner Beteiligter seine weitere Mitwirkung unterlässt (BGH 19.10.87, 3 StR 589/86, wistra 1988, 263). Ebenso liegt ein strafbefreiender Rücktritt im Falle der Beihilfe zu einer versuchten Steuerhinterziehung nicht allein in der bloßen weiteren Untätigkeit (BGH 25.9.85, 5 StR 209/85, HFR 87, 208).
PRAXISHINWEIS | Es besteht auch innerhalb eines Berichtigungsverbunds die Möglichkeit, zunächst vom Versuch der Steuerhinterziehung (z.B. bezüglich ESt 13) strafbefreiend zurückzutreten und in der Folge eine wirksame Selbstanzeige (z.B. bezüglich ESt 12) abzugeben. Dem Rücktritt vom Versuch kommt in dieser Konstellation somit die gleiche Wirkung zu wie früher einer wirksamen Teilselbstanzeige. Ebenso kann nach einem strafbefreienden Rücktritt auch noch eine berichtigende Erklärung nach § 153 AO abgegeben werden. |
Weiterführender Hinweis
- Webel, Rücktritt von der versuchten Steuerhinterziehung, PStR 14, 263 ff.