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  • · Fachbeitrag · Selbstanzeigenberatung

    Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz: Die überdachende Besteuerung

    von Dipl.-Finw. Johannes Leusder und Dipl.-Finw. Florian Kitzig, Flick Gocke Schaumburg, Bonn

    | Mit einer Wohnsitzverlagerung in die Schweiz erlischt nicht automatisch die Steuerpflicht in Deutschland. Insbesondere das Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz sieht durch Art. 4 Abs. 3 einen ergänzenden Besteuerungsanspruch für den deutschen Fiskus vor. Dies führt nicht nur bei Selbstanzeigen zu einem erhöhten Beratungsbedarf, sondern auch bei Mandanten, die einen Wohnsitzwechsel planen und daher über die Risiken der überdachenden Besteuerung im Rahmen einer Präventivberatung aufgeklärt werden müssen. |

    1. Einleitung

    Bei einer Wohnsitzverlagerung in die Schweiz ist zu unterscheiden, ob der Wohnsitzwechsel erst kürzlich erfolgt ist oder ob der Mandant bereits seit Längerem in der Schweiz wohnt.

     

    • Wenn der Wohnsitzwechsel in Kürze erfolgen soll oder kürzlich erfolgt ist, muss Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz beachtet werden, welcher einen ergänzenden Besteuerungsanspruch für den deutschen Fiskus vorsieht.

     

    • Mandanten, die bereits seit Längerem in der Schweiz wohnen, aber nach wie vor Interessensbeziehungen zu Deutschland unterhalten, müssen durch den Berater prüfen lassen, ob möglicherweise die Deklarationspflicht in Deutschland verletzt und gegebenenfalls der Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO verwirklicht wurde.

    2. Ansässigkeit nach DBA-Schweiz

    Für die Anwendung von Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz muss zunächst in beiden Vertragsstaaten eine Ansässigkeit nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz bestehen und der dadurch entstehende Kollisionsfall muss gemäß Art. 4 Abs. 2 DBA-Schweiz zu einem schweizerischen Besteuerungsrecht führen.

     

    In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob die betreffende Person sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz ansässig ist. Ansässig ist gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz eine Person, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht dort unbeschränkt steuerpflichtig ist. Demzufolge ist der Wohnsitz nach § 8 AO und der gewöhnliche Aufenthalt nach § 9 AO zu prüfen. Gelangt man auch nach schweizerischem Recht zu einer unbeschränkten Steuerpflicht, fällt zunächst beiden Staaten das Besteuerungsrecht zu. Diesen Kollisionsfall versucht die „tie-breaker-rule“ (Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland/Schweiz, Art. 4, Rn. 5) des Art. 4 Abs. 2 DBA-Schweiz zu lösen, indem sie das Besteuerungsrecht nur einem der beiden Staaten zuweist, nämlich dem Wohnsitzstaat i.S. des Abkommens. Technisch erfolgt dies durch eine Fiktion der Ansässigkeit. In einem zweiten Schritt ist daher zu prüfen, zu welchem Staat die betreffende Person engere Beziehungen unterhält und folglich als ansässig gilt. Art. 4 Abs. 2 DBA-Schweiz sieht in diesem Zusammenhang ein fünfstufiges Prüfungsschema vor. Dafür sind sukzessive die ständige Wohnstätte, der Mittelpunkt der Lebensinteressen, der gewöhnliche Aufenthalt und die Staatsangehörigkeit zu Rate zu ziehen, bevor eine weiterhin bestehende Kollision in einem Verständigungsverfahren der Behörden gelöst wird.

    3. Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz

    Gilt eine Person nach Art. 4 Abs. 2 DBA-Schweiz als nur in der Schweiz ansässig, kann die BRD eine natürliche Person gleichwohl gemäß Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz im Wege der „überdachenden Besteuerung“ (Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland/Schweiz, Art. 4, Rn. 59) nach den Vorschriften der unbeschränkten Steuerpflicht besteuern, wenn diese Person in Deutschland über eine ständige Wohnstätte verfügt oder der gewöhnliche Aufenthalt mindestens 6 Monate im Kalenderjahr besteht. Infolgedessen unterliegt die Person grundsätzlich mit ihrem Welteinkommen - und insbesondere den Einkünften aus Kapitalvermögen in der Schweiz - der deutschen Besteuerung. Diese Voraussetzungen sind in einem dritten Schritt zu prüfen.

     

    Kernproblematik des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz ist der Begriff der „ständigen Wohnstätte“. Dieser Begriff darf nicht mit dem Begriff des Wohnsitzes i.S. der AO verwechselt werden, da es sich um einen abkommensrechtlichen Begriff handelt (Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland/Schweiz, Art. 4, Rn. 25; ständige Rechtsprechung des BFH - BFH 5.6.07, I R 22/06, BStBl II 07, 812; a.A. Meyer-Marsilius/Hangarter, DBA Deutschland/Schweiz, Art. 4 DBA, Anmerkung I 2a). Dies geht allein schon aus der vorrangingen Anwendung von völkerrechtlichen Vereinbarungen hervor (§ 2 Abs. 1 AO).

     

    Zur Auslegung des Wohnstättenbegriffs zieht die herrschende Meinung die Auslegungsgrundsätze zu § 8 AO heran und verlangt mithin eine tatsächliche Verfügungsmacht und äußere Umstände, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und genutzt wird. Der BFH definiert die Wohnstätte als eine Räumlichkeit, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet ist (BFH 5.6.07, a.a.O.). Damit können auch z.B. ein Hotelzimmer oder ein möbliertes Zimmer ständige Wohnstätte sein (FG Köln 2.3.10, 15 K 4135/05, EFG 10, 921 ff.; FG Hamburg 20.10.11, 3 V 41/11, DStRE 12, 1062 f.).

     

    Kurz gesagt, ist die „ständige Wohnstätte“ als ein qualifizierter Wohnsitz auszulegen (BFH 5.6.07, a.a.O.). Wann denn genau eine Wohnstätte „ständig“ sein soll, wurde durch die Rechtsprechung bisher noch nicht hinreichend geklärt. Daher muss in jedem Fall eine Einzelfallbetrachtung erfolgen. Dabei definiert der BFH und auch die einschlägige Kommentierung die Wohnstätte ex negativo unter Berücksichtigung des Verhandlungsprotokolls vom 18.6.71 zum DBA. Dort haben die Behörden zu Art. 4 Abs. 2 und 3 DBA-Schweiz angemerkt, „als ständige Wohnstätte gelte nicht eine solche, die ausschließlich Erholungs-, Kur-, Studien- oder Sportzwecken diene und nur gelegentlich und nicht zum Zwecke der Wahrnehmung wirtschaftlicher und beruflicher Interessen verwendet werde.“ Neben den ausdrücklich ausgeschlossenen Gründen für die Aufrechterhaltung einer Wohnung lässt sich also festhalten, dass die Nutzung über eine nur gelegentliche hinausgehen muss und auch zur Wahrnehmung wirtschaftlicher und beruflicher Interessen verwandt wird. Daraus kann man eine zeitliche und eine qualitative Nutzungskomponente herleiten (Milatz/Weist, IWB, 11/2011, 408, 418). Ansatzpunkt in der Praxis sollte zunächst die langfristige Rechtsposition für die ständige Benutzung der Räumlichkeit sein. Bei dieser Beweisproblematik können Indizien wie das Zurücklassen von persönlichen Gegenständen (z.B. einer Zahnbürste oder Kosmetika) oder die dauerhafte Schlüsselgewalt eine entscheidende Rolle spielen. Nur gelegentliche Übernachtungen in einem Hotel, an dessen Errichtung der potentiell Steuerpflichtige als Mitinitiator des Projekts beteiligt ist, führen ohne das Zurücklassen persönlicher Gegenstände nicht zwangsläufig zu einer Verfügungsbefugnis (FG Hamburg 20.10.11, a.a.O.).

     

    Neben der Rechtsposition muss auch eine regelmäßige, eben nicht nur gelegentliche, tatsächliche Nutzung gegeben sein. Dabei muss die Wohnung laut BFH eine in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen sein (BFH 5.6.07, a.a.O.). Der BFH vertritt zur zeitlichen Komponente die Auffassung, wonach eine Wohnung, die an etwa 50 Tagen im Jahr im Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit genutzt wurde, als ständige Wohnstätte anzusehen ist (BFH 16.12.98, I R 40/97, BStBl II 99, 207). Weil aber mit Hinweis auf die einschlägige Kommentierung ein zeitliches Mindesterfordernis aus dem Abkommen nicht zu entnehmen sei, könne die Intensität der Nutzung oder die persönliche Bindung zur Wohnung eine 50 Tage unterschreitende Nutzung aufwiegen. Bei Unterschreiten dieser Grenze kann es also dazu kommen, dass sich das FA auf eine besonders intensive Nutzung oder persönliche Bindung beruft. Die qualifizierte Komponente folgt aus der Wahrnehmung wirtschaftlicher und beruflicher Interessen. Diese kann bereits durch eine örtliche Nähe zur Einkunftsquelle oder die Verwaltung von Vermögen von der Wohnung aus erfüllt werden (Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland/Schweiz, Art. 4, Rn. 42).

    4. Fazit

    Bei Mandanten, die seit Jahren die Voraussetzungen der überdachenden Besteuerung erfüllen, sollte ein Schreiben an die Finanzbehörde gerichtet werden, das inhaltlich den Voraussetzungen einer Selbstanzeige genügen würde. Die konkrete Bezeichnung als Nacherklärung sollte allerdings vermieden werden. Die Bezeichnung als Nacherklärung oder Selbstanzeige könnte sich bei einem Streit, ob eine Vorsatztat nach § 370 AO oder nur eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO vorliegt, nachteilig auswirken, denn eine vorhergehende falsche Steuerberatung in Bezug auf das Bestehen einer deutschen Steuerpflicht nach Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz könnte einer Vorsatztat obschon der vom BGH angenommenen geringen Hürde entgegenstehen. Gegen Schätzungsbescheide sollte in Zweifelsfällen Einspruch eingelegt werden. Eine Konfrontation mit dem FA braucht wegen der einzelfallbezogenen Kriterien wohl nicht gescheut werden.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2014 | Seite 126 | ID 42577812