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  • · Fachbeitrag · Steuerstrafprozess

    Der Steuerfahnder als Zeuge in der Hauptverhandlung

    von RA Michael Bisle, FA StR, Augsburg

    | Im Rahmen der Hauptverhandlung werden nicht selten auch Steuerfahnder als Zeugen geladen. Nachfolgender Beitrag zeigt, welche Punkte aus strafprozessualer Sicht in der Praxis zu beachten sind. |

    1. Teilnahme der Finanzbehörde an der Hauptverhandlung

    Nach § 407 Abs. 1 AO kann sich die Finanzbehörde an der Hauptverhandlung im Steuerstrafverfahren beteiligen. Eine Verpflichtung hierzu besteht nicht (Klein/Jäger, AO, 2012, § 407 Rn. 3). Der Finanzbehörde ist daher vom Gericht der Hauptverhandlungstermin mitzuteilen. Diese hat dann als Verfahrensbeteiligte ein Anwesenheitsrecht, ihr Vertreter kann den Angeklagten sowie Zeugen und Sachverständige befragen und erhält auf Verlangen das Wort (Klein/Jäger, AO, 2012, § 407 Rn. 1, 4, 5). Hingegen hat die Finanzbehörde keinerlei Antragsrechte, insbesondere kein Beweisantragsrecht (Klein/Jäger, AO, 2012, § 407 Rn. 5). Vertreter der Finanzbehörde sind allein die Beamten der Buß- und Strafsachenstelle. Hingegen können Beamte der Steuerfahndung im Hinblick auf die abschließende Aufzählung in § 386 Abs. 1 S. 2 AO die Finanzbehörde nicht in der Hauptverhandlung vertreten (Klein/Jäger, AO, 2012, § 407 Rn. 1).

     

    PRAXISHINWEIS | Der Verteidiger muss der Anwesenheit der Steuerfahndung als Verfahrensbeteiligte und der Ausübung der Mitwirkungsrechte des § 407 Abs. 1 AO widersprechen. Umgekehrt muss er auch prüfen, ob der Vertreter der Finanzbehörde als Zeuge in Betracht kommt und gegebenenfalls einen entsprechenden Beweisantrag stellen. Der dann zum Zeugen gewordene Vertreter der Finanzbehörde kann nicht weiter an der Hauptverhandlung teilnehmen; die Finanzbehörde muss einen anderen Vertreter entsenden.

    2. Steuerfahnder als Zeuge in der Hauptverhandlung

    Es ist aber grundsätzlich ohne Weiteres möglich, den Steuerfahnder in der Hauptverhandlung als Zeugen zu vernehmen. Aus Sicht der Verteidigung sind dabei allerdings folgende Aspekte zu beachten:

     

    • Die Vernehmung eines Steuerfahnders als Zeuge in der Hauptverhandlung ist grundsätzlich unproblematisch, sofern das Gericht dabei strikt zwischen der Aufklärung des Sachverhalts und der Klärung von Rechtsfragen (iura novit curia) unterscheidet (Klein/Jäger, AO, 2012, § 407 Rz. 6).

     

    • Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen ist zunächst Sachverhaltsaufklärung, sodass sich hier der Richter neben den beweisrelevanten Unterlagen und Belegen z.B. auch eines Steuerfahnders als Zeugen bedienen kann. Auch kann er diesen als sachverständigen Zeugen (§ 85 StPO) zu von ihm bereits systematisch ausgewerteten Unterlagen vernehmen.

     

    • Strafprozessual unzulässig ist hingegen eine Vernehmung des Steuerfahnders als „Zeuge“, wenn es darum geht, die Steuerverkürzung anhand der steuerlichen Vorschriften zu erklären, also z.B. dem Gericht mitgeteilt werden soll, warum jener Sachverhalt steuerlich als verdeckte Gewinnausschüttung oder Gestaltungsmissbrauch zu werten ist oder Rückstellungen nicht gebildet werden durften. Das Strafgericht hat sich nach dem Grundsatz iura novit curia die Kenntnisse über das Steuerrecht selbst zu verschaffen und darf sich nicht auf Schlussfolgerungen oder Rechtsansichten des sachverständigen Zeugen verlassen.

     

    Wird diese Trennung von Sachverhaltsaufklärung und Klärung von Rechtsfragen bei der Vernehmung des Steuerfahnders nicht beachtet und wird der Steuerfahnder vom Gericht auch zu Rechtsfragen vernommen, erscheint dieser dann in der Rolle des Sachverständigen in Steuerrechtsfragen. Allerdings ist strafprozessual die Einholung eines Sachverständigengutachtens über Rechtsfragen nur ausnahmsweise bezüglich Fragen des ausländischen Rechts oder inländischem Gewohnheitsrecht zulässig (Meyer-Goßner, StPO, vor § 72 Rn. 6), nicht hingegen bei inländischen Steuerrechtsfragen. Ein Steuerfahnder, der mit dem Sachverhalt im Ermittlungsverfahren bereits vorbefasst war, ist zudem als Sachverständiger nach § 74 Abs. 1 S. 1 StPO i.V. mit § 22 Nr. 4 StPO ausgeschlossen. Es stellt sich auch die Frage, ob ein Richter, der sich von einem Steuerfahnder in der Hauptverhandlung die Steuerrechtslage erklären lässt, noch unbefangen über den Sachverhalt urteilen kann, oder ob ein Befangenheitsgrund i.S. des § 24 Abs. 2 StPO vorliegt.

     

    Im Hinblick auf eine mögliche Revision wird hierzu folgende Vorgehensweise vorgeschlagen (Joecks, FS 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, 661): Der Verteidiger sollte zu Beginn der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens stellen. Diesen wird das Gericht regelmäßig mit der Begründung ablehnen, es verfüge selbst über die erforderliche Kenntnis der Steuerrechtslage bzw. könne sich diese verschaffen. Stützt sich dann später das Gericht auf einen Finanzbeamten, der als Sachverständiger ausgeschlossen wäre, begründet dies die Besorgnis, das Gericht wolle sich kein eigenes Urteil über die Rechtslage verschaffen, sondern vertraue „blind“ dem Zahlenwerk der Steuerfahndung. Eine solche kritiklose Übernahme der durch die Finanzbehörden festgestellten Besteuerungsgrundlagen ist jedoch unzulässig. Vielmehr muss das Strafgericht die Berechnung der hinterzogenen Steuern - notfalls im Wege einer nachvollziehbaren, eigenen Schätzung - darlegen, die Beweise eigenständig würdigen und eigene steuerrechtliche Überlegungen anstrengen, da diese Aufgabe Rechtsanwendung ist (z.B. BGH 26.4.01, 5 StR  584/00, wistra 01, 266).

     

    PRAXISHINWEIS | In Steuerstrafverfahren wird oftmals auch der Steuerfahnder im Prozess als Zeuge geladen. Dies ist zulässig und zumeist auch sinnvoll. Die Verteidigung muss in diesen Fällen allerdings darauf achten, dass das Gericht strikt zwischen der Aufklärung des Sachverhalts und der Klärung von Rechtsfragen unterscheidet (iura novit curia). Unzulässig ist es jedenfalls, den Steuerfahnder zum Sachverständigen für steuerrechtliche Fragen heranzuziehen, der dem Gericht die Steuerverkürzung anhand der speziellen steuerlichen Vorschriften „erklärt“. Insofern liegt dann regelmäßig ein Beweiswürdigungsfehler vor.

     
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 70 | ID 37376490