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  • · Fachbeitrag · Strafzumessung

    Strafrechtlich relevanter Schaden bei der Hinterziehung von Verbrauchsteuern

    von OStA Dr. Alexander Retemeyer und ORR Dr. Thomas Möller, Osnabrück

    | Die Anführung des Verbrauchsteuerrechts bei der aktuellen Diskussion über die Strafzumessung im Steuerstrafrecht ist Anlass, auf die Termini und die Besonderheiten des Verbrauchsteuerrechts für den Fall einer Steuerhinterziehung hinzuweisen. Dabei wird dieses auf den Fall beschränkt, dass die Verbrauchsteuer nicht als Einfuhrabgabe erhoben wird. Jüngstes Beispiel: Durch den Einsatz von 5 Mio. Liter Heizöl zum Betrieb der Lastkraftwagen durch eine Duisburger Spedition ist beispielsweise mit einem Steuerschaden von 3 Mio. EUR zu rechnen (PM Zoll vom 21.9.12). |

    1. Strafzumessung

    Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 S. 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Geschütztes Rechtsgut des § 370 Abs. 1 AO ist das öffentliche Interesse des Staates am vollständigen und rechtzeitigen Steueraufkommen (Bender/Möller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, C Rn. 12). Das Rechtsgut des § 370 AO wird unabhängig von individuellen Bindungen des Täters geschützt (BGH 25.1.95, 5 StR 491/94, wistra 95, 189). Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S. des § 267 Abs. 3 S. 1 StPO.

     

    In seiner Kritik zu der Strafzumessung im Steuerstrafrecht weist Höll (PStR 12, 251) darauf hin, dass wegen Besonderheiten des Steuerstrafrechts strafrechtlich eine Verkürzung anzunehmen sein kann, auch wenn keine Steuern angefallen sind. Als Beispiel führt er die Verkürzung von Verbrauchsteuern durch das Entziehen einer Ware aus dem Steueraussetzungsverfahren an, die letztlich einer steuerfreien Verwendung zugeführt wird (BGH 24.10.02, 5 StR 600/01, NJW 03, 446). Der BGH führt in diesem Urteil zum einen aus, dass im europäischen Verbrauchsteuersystem grundsätzlich nur der Verbrauch von Waren im Steuergebiet der EG (jetzt EU) besteuert werden soll. Somit war erheblich zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass keine Branntweinsteuer angefallen wäre, wenn der Alkohol nicht heimlich und falsch deklariert, sondern ordnungsgemäß in dem dafür vorgesehenen innergemeinschaftlichen Versandverfahren unter Steueraussetzung ausgeführt worden wäre. So käme in dem Fall einer beabsichtigten steuerbefreiten Ausfuhr die Erhebung der Branntweinsteuer einer systemwidrigen Sanktion gleich, weil die Waren nicht in den Wirtschaftskreislauf des Steuergebiets eingegangen sind. Zum anderen wollte er im Rahmen der Strafzumessung die gesamtschuldnerische „Haftung“ der Mitglieder einer Schmuggelorganisation als Täter der Steuerhinterziehung und weitere Steuerschuldner für entstandene Verbrauchsteuern in Bezug auf ihre Rolle im Tatgeschehen und ihre wirtschaftliche Beteiligung an dem Taterfolg berücksichtigen.

    2. Steuerentstehung, Steuerbefreiung und Steueraussetzung

    Der Verbrauch als Belastungsziel der Verbrauchsteuern ist nicht legal definiert. Vielmehr stellen die einzelnen Verbrauchsteuergesetze für die Steuerentstehung auf die Überführung in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr ab. So ist sogar eine Doppelbesteuerung gesetzlich nicht ausgeschlossen. Durch verschiedene Steuerbefreiungen und Steuerentlastungen wird jedoch im Binnenmarkt eine verbrauchsteuerliche Neutralität geschaffen. Diese orientieren sich in der Regel an einem vorschriftsmäßigen Umgang mit der Ware. Verbrauchsteuerpflichtige Waren befinden sich entweder im verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr oder in einem Verfahren der Steueraussetzung bzw. einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren. Bei der Einfuhr aus Drittländern werden die Zollvorschriften sinngemäß angewendet. So können auch verbrauchsteuerpflichtige Waren mit der Folge in ein zollrechtliches Nichterhebungsverfahren (z.B. Versandverfahren) überführt werden, dass die Verbrauchsteuer noch nicht entsteht (Suspensiveffekt des zollrechtlichen Nichterhebungsverfahrens). Der steuerrechtlich freie Verkehr hat entsprechende schuldrechtliche Folgen, d.h. in der Regel die Steuerentstehung.

     

    Das Verfahren der Steueraussetzung ist ein prägendes Kennzeichen seit der Verwirklichung des Binnenmarkts und gilt im Steuerlager sowie bei der Beförderung für verbrauchsteuerpflichtige Waren. So können verbrauchsteuerpflichtige Ware in dem Verfahren der Steueraussetzung zu einem Ort befördert werden, an dem sie das Gebiet der EU verlassen. Die Verbrauchsteuer entsteht mit der Überführung in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr - z.B. die Entnahme aus einem Steuerlager oder Herstellung ohne eine Erlaubnis. Auch die unrechtmäßige Entnahme einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware aus einem Verfahren der Steueraussetzung ist eine Überführung in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr - z.B. das Entfernen verbrauchsteuerpflichtiger Waren aus dem Steuerlager ohne Steueranmeldung. Dies gilt auch für Unregelmäßigkeiten bei der Beförderung unter Steueraussetzung. Als Unregelmäßigkeit gilt ein während der Beförderung unter Steueraussetzung eintretender Fall, aufgrund dessen die Beförderung oder ein Teil der Beförderung nicht ordnungsgemäß beendet werden kann - z.B. die steuerpflichtige Ware wird nicht aus dem Zollgebiet der EU ausgeführt.

     

    Die Steuerentstehung geht mit der Pflicht zur Abgabe einer steuerlichen Erklärung einher. Im Fall einer Unregelmäßigkeit hat der Steuerschuldner für die sofort fällige Steuer unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben. Gerade diese steuerrechtliche Pflicht korrespondiert mit dem Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Die verbrauchsteuerrechtliche Steuerentstehung orientiert sich an Realakten. Die Verwendung verbrauchspflichtiger Waren findet ihr Korrektiv dennoch in der Steuerbefreiung. Diese ist geprägt durch steuerfreie Verwendungen - z.B. Verwendung bestimmter Energieerzeugnisse zu anderen Zwecken als zur Verwendung als Kraft- oder Heizstoff gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG. Erlaubnisunabhängige Steuerbefreiungen gelten kraft Gesetz sobald die Voraussetzungen erfüllt sind. Zahlreiche Steuerbefreiungen sind jedoch erlaubnispflichtig. Für diese Fälle gibt es entweder eine allgemeine Erlaubnis oder eine förmliche Einzelerlaubnis durch das Hauptzollamt. Die allgemeine Erlaubnis ist eine unmittelbar gesetzlich eingeräumte Berechtigung und deckt auch eine andere Verwendung ab, wenn diese ebenfalls allgemein erlaubt ist. Die förmliche Einzelerlaubnis wird vom Hauptzollamt durch Steuerverwaltungsakt erteilt und ist statusbegründend. Selbst wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen, ist diese nicht gegeben, wenn die förmliche Einzelerlaubnis nicht vorliegt. So ist auch eine rückwirkende Erteilung der Einzelerlaubnis in den Fällen entsprechender Verwendung mit der Folge der Steuerbefreiung wegen fehlender gesetzlicher Grundlagen nicht möglich (z.B. BFH 13.11.07, VII B 112/07, BFH/NV 08, 409).

     

    Werden die verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisse durch eine Unregelmäßigkeit während der Beförderung unter Steueraussetzung in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr überführt, sehen die Verbrauchsteuergesetze vor, dass die Verbrauchsteuer nicht entsteht, wenn sich eine Steuerbefreiung anschließt - wenn z.B im Energiesteuerrecht die Energieerzeugnisse nachweislich an Personen im Steuergebiet abgegeben worden sind, die zum Bezug von steuerfreien Energieerzeugnissen berechtigt sind. Eine solche Steuerbefreiung sind die steuerfreien Verwendungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren. Dies setzt jedoch voraus, dass diese erlaubnisunabhängig ist oder die erforderliche Erlaubnis allgemein oder auf Antrag vom Hauptzollamt erteilt worden ist. Nur in diesem Fall würde keine Verbrauchsteuer entstehen. Allein eine subjektiv vorgenommene zweckgerechte Verwendung steht der Besteuerung nicht entgegen.

     

    Fazit / Verbrauchsteuern und Steuerstrafrecht

    • Tritt während der Beförderung unter Steueraussetzung eine Unregelmäßigkeit ein, werden die verbrauchsteuerpflichtigen Waren kraft Gesetzes in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr überführt.

    • Der Zeitpunkt der Überführung in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr ist auch für den Zeitpunkt der Steuerhinterziehung entscheidend. Die Steuerhinterziehung ist mit einer ausbleibenden steuerlichen Erklärung für die entstandene Verbrauchsteuer regelmäßig vollendet.

    • Grundsätzlich entsteht die Verbrauchsteuer in der gesetzlichen Höhe, d.h. nach dem Steuertarif des betreffenden Verbrauchsteuergesetzes. Schließt sich eine Steuerbefreiung an, entsteht die Verbrauchsteuer nicht. Eine Steuerbefreiung kann sich unabhängig von der tatsächlichen zweckgerechten Verwendung einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware nur anschließen, wenn die steuerfreie Verwendung erlaubnisunabhängig ist oder die Erlaubnis allgemein bzw. auf Antrag durch das Hauptzollamt erteilt ist.

    Tatsächlich ist es eher untypisch, dass jemand eine verbrauchsteuerpflichtige Ware erst aus einem Verfahren der Steueraussetzung mit der Folge einer Unregelmäßigkeit entnimmt, um diese dann anschließend gesetzesgemäß zweckgerecht zu verwenden. Zudem mangelt es häufig an der erforderlichen Erlaubnis für eine steuerfreie Verwendung. Der strafrechtlich relevante Schaden kann gerade bei hochsteuerbaren Waren sehr hoch sein.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2013 | Seite 49 | ID 36604170