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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuerbetrug

    Konsequenzen einer vorsatzlosen Einbindung in ein Umsatzsteuerkarussell

    von RA Florian Eder, LL.M., Freilassing

    | Der innergemeinschaftliche Umsatzsteuerbetrug verursacht ­Steuerschäden in Milliardenhöhe. Das Aufdecken solcher kriminellen Strukturen ist für die Strafverfolgungsbehörden oft ein schwieriges Unterfangen, da die Umsatz­steuerkarusselle professionell organisiert sind. Wird jedoch ein solches ­Umsatzsteuerkarussell aufgedeckt, drohen den Beteiligten schwerwiegende steuerrechtliche und strafprozessuale Konsequenzen. Dies ist insbesondere für die Steuerpflichtigen prekär, die vorsatzlos in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden und beispielsweise als Buffer benutzt wurden. Der Beitrag zeigt, welche steuerrechtlichen und strafprozessualen Probleme sich für die an ­einem Umsatzsteuerkarussell vorsatzlos Beteiligten ergeben können. |

    1. Steuerverfahrensrechtliche Folgen

    Der Vorwurf der Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell führt steuerverfahrensrechtlich nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung dazu, dass der betroffene Unternehmer die Beweislast für die Unkenntnis von der ­Einbindung in ein Umsatzsteuerkarussell trägt (BFH 19.4.07, V R 48/04, BStBl II 09, 315, Rn. 50 ff. m.w.N.; BFH 26.2.08, II B 6/08, DStRE 08, 764, Rn. 22; BFH 14.12.11, XI R 33/10, BFH/NV 12, 1009, Rn. 24 ff.; generell zu den steuerrechtlichen ­Aspekten in instruktiver wie auch prägnanter Weise - Gehm, NJW 12, 1257, 1258 ff.).

     

    1.1 Bisherige Rechtsprechung

    Um dieser objektiven Beweislast nachzukommen, sollte der Unternehmer im Rahmen der innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß § 6a Abs. 3 S. 1 UStG i.V. mit §§ 17a ff. UStDV Buch- und Belegnachweisen darlegen können (dazu Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht mit Ordnungswidrigkeitenrecht und Verfahrensrecht, Dez. 2012, § 370 AO, Rn. 1398 ff. m.w.N.; Gehm, NJW 12, 1257, 1259 m.w.N.; Vogelberg in Simon/Vogelberg, Steuerstraf­recht, 3. Aufl., S. 14 f.). Kann er dies nicht, ist nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich nicht von einer ordnungsgemäßen - d.h. die Geltend­machung des ­Vorsteuerabzugs begründenden - innergemeinschaftlichen Lieferung auszugehen (zu den ­einzelnen Anforderungen, die seitens der ­Rechtsprechung an die Buch- und Belegnachweise angelegt werden, siehe Schaufin Kohlmann, a.a.O., § 370 AO Rn. 1401.5 f. m.w.N.).

     

    Sollte der Unternehmer nicht unmittelbar im Rahmen einer innergemeinschaft­lichen Lieferung Karussellware erworben haben, sondern erst innerhalb ­einer Lieferkette als innerstaatlicher weiterer Buffer, erkannte der BFH (BFH 19.4.07, V R 48/04, BStBl II 09, 315, Rn. 56 f. m.w.N.) bezugnehmend auf die Entscheidungen des EuGH im Hinblick auf den Vorsteuerabzug, dass „Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen sind, (…) auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen [können], ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren (…). Überdies ist „der Vorsteuerabzug jedoch zu versagen, wenn aufgrund objektiver ­Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz ­beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (…)“.

     

    1.2 Jüngste Rechtsprechung des EuGH

    Der Ansicht des BFH steht die jüngste Rechtsprechung des EuGH (EuGH 21.6.12, C-80/11 und C-142/11, NZWiSt 13, 102, BFH/NV 12, 1404, Rn. 49, 59 ff.) entgegen. Der EuGH stellte ausdrücklich klar: „Da die Verweigerung des Vorsteuerabzugsrechts (…) eine Ausnahme vom Grundprinzip ist, das dieses Recht darstellt, obliegt es der Steuerbehörde, die objektiven Umstände, die den Schluss ­zulassen, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine vom Liefernden bzw. vom Leistenden oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorher­gehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war, rechtlich hinreichend nachzuweisen“.

     

    Der EuGH führt weiter aus, dass es im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalls abhänge, welche Maßnahmen vernünftigerweise von einem Steuer­pflichtigen verlangt werden können. Diesbezüglich könnten die Finanz­behörden jedoch von dem Steuerpflichtigen nicht generell die Prüfung verlangen, ob der Aussteller der Rechnung als Steuerpflichtiger einzustufen sei, ob dieser über die fraglichen Gegenstände habe verfügen und sie liefern hätte können und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und ­Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen sei. Auch verstoße es gegen das Gemeinschaftsrecht, den Vorsteuerabzug lediglich mit dem Argument zu verwehren, der Steuerpflichtige verfüge neben der Rechnung über keine ­weiteren Unterlagen.

     

    Wie in diesen Fällen hinsichtlich der Beweislast im Hinblick auf die jüngste Rechtsprechung durch den EuGH seitens des BFH reagiert wird, bleibt abzuwarten. Es spricht aber vieles dafür, dass diese Ansicht des EuGH in der Rechtsprechung des BFH rezipiert wird.

     

    PRAXISHINWEIS | Die - auch nur vorläufige - Verweigerung der Vorsteuer­erstattung eines in ein Umsatzsteuerkarussell hineingezogenen Unternehmens ist für die Unter­nehmen mitunter mit schwerwiegenden Folgen verbunden - bis zu einer Insolvenz. Dies gilt vor allem bei Zwischenhändlern, die entsprechende Großposten zum weiteren Handel kaufen und aufgrund geringer Gewinnmargen bei nicht eingeplanten Umsatzsteuerzahlungen bzw. unterbleibender ­Erstattungen in eine wirtschaftliche Schieflage geraten können.

     

    2. Strafprozessuale Folgen

    Sehr viel drastischer als die steuerverfahrensrechtlichen Folgen können für den eingebundenen vorsatzlosen Unternehmer die strafprozessualen Konsequenzen sein, sowohl aus persönlicher wie auch betrieblicher Sicht.

     

    2.1 Untersuchungshaft/Dinglicher Arrest

    Sofern seitens der Strafverfolgungsbehörden genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Umsatzsteuerkarussells ermittelt wurden, kann bzw. wird bei hinreichender Verdachtslage die Verhaftung und/oder die Arrestierung von Privat- wie Geschäftsvermögen erfolgen. Im Regelfall werden ebenso Durchsuchungen sowie die Beschlagnahme bzw. Sicherstellung von Beweis­mitteln bei den Beteiligten gleichzeitig durchgeführt. Hier müssen von den beschlagnahmten oder sichergestellten Beweismitteln, soweit es sich um erhebliche Dokumente für den laufenden Betrieb handelt, Kopien gefertigt werden. Damit wird nicht nur der weitere Betrieb erleichtert, sondern vielmehr können auch sofort entlastende Dokumente im Rahmen von Rechtsbehelfen gegen die strafprozessualen Zwangsmaßnahmen vorgelegt werden, die ansonsten ­zunächst in den Asservatenkammern bis zu deren Auswertung verschwinden.

     

    2.2 Probleme bei der Verteidigung

    Aufgrund des Aktenumfangs, wird eine schnelle ­Begründung einer ­Enthaftung oder Aufhebung eines Arrests seitens der Verteidigung nur schwer zu ­erreichen sein. Selbst gut begründete Haftprüfungsanträge bzw. Haft­beschwerden oder Aufhebungsanträge dürften von den Gerichten größten­teils verworfen werden, da die vorläufige Bewertung der Umstände, die ­seitens der Strafverfolgungsbehörden eruiert wurden, nur in seltensten ­Fällen durch die seitens der Verteidigung vorgetragenen Argumentation ­erschüttert werden kann. Überdies wird in vielen Fällen die Verteidigung auch gem. § 147 Abs. 2 StPO in ihrem Akteneinsichtsrecht eingeschränkt werden. Selbst wenn man einen rudimentären Einblick aufgrund § 147 Abs. 2 S. 2 StPO erhält, wird ein weitergehendes Akteneinsichtsgesuch regelmäßig damit versagt werden, dass die wesentlichen Informationen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme bereits vorgelegt wurden.

     

    PRAXISHINWEIS | Dieselben Grundsätze der gemäß § 147 Abs. 2 S. 2 StPO zu gewährenden Akteneinsicht im Falle der Untersuchungshaft gelten im Übrigen auch für den dinglichen Arrest (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 147 Rn. 25b m.w.N.).

     

    Für die Verteidigung wesentliche Informationen, z.B. Dokumente, die die vorgebrachten Beweismittel erschüttern, werden gegebenenfalls bewusst oder unbewusst zurückgehalten. Wenn die Verteidigung weitere Akteneinsicht ­anmahnt, wird man gezwungen sein, bestimmte Aktenauszüge genau zu ­bezeichnen, damit überprüft werden kann, ob gerade diese für die ­Verteidigung wesentlich sind. Sofern die Verteidigung keine Anhaltspunkte ersieht, wird ein konkretisiertes Akteneinsichtsgesuch erfolglos sein.

     

    2.3 Konsequenzen

    Der vorsatzlos Beteiligte wird nun für eine länger andauernde Phase in der Untersuchungshaft verbleiben und/oder dem dingliche Arrest ausgesetzt sein. Sofern es sich um kleinere Unternehmen handelt, kann der Wegfall des verant­wortlich Handelnden dazu führen, dass das Unternehmen führungslos ist, ­sofern kein Stellvertreter im Vorfeld bestimmt wurde. Etwaige ­anstehende ­Geschäftsentscheidungen können nicht mehr getroffen werden, Verbindlichkeiten werden nicht mehr bedient. Diese Handlungs­unfähigkeit kann binnen kürzester Zeit zum völligen Erliegen des Betriebs und gegebenenfalls zur ­Insolvenz des Unternehmens führen. Aber selbst wenn Führungspersonal vorhanden wäre oder nachträglich eingesetzt würde, führt der dingliche Arrest, der bei Umsatzsteuerkarussellen oftmals astronomische Summen ­erreichen kann, dazu, dass eine Handlungsunfähigkeit schon de facto aufgrund des ­finanziellen Unvermögens geschaffen wird. Ob der dadurch entstehende Druck seitens der Strafverfolgungs­behörden verkannt oder gar bewusst in Kauf ­genommen wird, um beispielsweise einen Geständnisdruck aufzubauen, muss dahinstehen. Faktisch wird die Existenz des betroffenen Unternehmers im schlimmsten Fall bereits im Ermittlungsverfahren völlig vernichtet.

     

    Sollte der betroffene Unternehmer freigesprochen werden, könnte sein Unter­nehmen bereits insolvent sein und die Rückgewähr des arrestierten Vermögens in die Insolvenzmasse fließen. Eine Haftbarmachung des Staates wird im Regelfall ausgeschlossen sein, da die strafprozessualen Ermittlungs­maßnahmen aufgrund des Beurteilungsspielraums der Staatsanwaltschaft, sofern sich nicht aus der Art des Vorgehens eine Pflichtverletzung ergibt, nur auf deren Vertretbarkeit überprüfbar sind (Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 839 Rn. 140 m.w.N.). Inwieweit eine Entschädigung nach § 2 StrEG greift, ist im Hinblick auf die möglichen Billigkeitserwägungen bzw. Ausschluss- und Versagungsgründe fraglich.

     

    Die Perfidie der Problematik um die Verhaftung und/oder des dinglichen ­Arrests eines vorsatzlosen Dritten gipfelt faktisch in dem Problem einer sachgerechten Verteidigung. Bei derartigen Umfangsverfahren wird ein Wahlverteidigerhonorar wegen der Arrestierung des Vermögens kaum finanzierbar sein und ein Pflichtverteidigerhonorar - auch wenn eine Pauschal­vergütung gemäß § 51 RVG avisiert wird - kaum kostendeckend sein, sodass eine konsequente und adäquate Verteidigung im Ermittlungsverfahren schon deshalb sehr schwer zu bewältigen sein dürfte.

    3. Fazit

    Die Einbindung vorsatzloser Beteiligter in ein Umsatzsteuerkarussell kann für diese zu schwerwiegenden - bestenfalls nur vorläufige - Konsequenzen führen bis hin zur Existenzvernichtung. Nachdem sowohl die Rechtsprechung wie auch die Literatur die Problematik um die Einbindung von vorsatzlosen ­Beteiligten bei einem Umsatzsteuerkarussell erkannt haben, ­sollten die ­Finanz- wie auch Strafverfolgungsbehörden hinreichend sensibilisiert sein und etwaige vorläufige Entscheidungen wohlüberlegt treffen. Dies gilt ins­besondere deshalb, weil auf die frühere oftmals schwierige rechtliche Auf­arbeitung eines möglichen Umsatzsteuerkarussells (dazu Rolletschke, Steuer­strafrecht, 4. Aufl., Rn. 195) in den letzten Jahren eine sehr strenge, an dem Postulat der effektiven Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellen ausgerichtete Rechtsprechung (so zutreffend Gehm, NJW 12, 1257, 1262) folgte, und überdies auch die gesetzlichen Möglichkeiten für eine effektive Strafverfolgung erweitert wurden. Der vorsatzlos Beteiligte befindet sich dadurch in einer schwierigen Lage. Die jüngste Entscheidung des EuGH stellt hier den wegweisenden Schritt zu einer ausgewogeneren steuer- und strafrechtlichen Behandlung der Problematik dar.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 15 | ID 42400834