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  • · Fachbeitrag · Zusammenveranlagung von Ehegatten

    Das verräterische Testament

    von Dr. Karsten Webel, LL.M. (Indiana), Hamburg

    | In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass auch unvorhergesehene Kleinigkeiten dazu führen können, dass Steuerhinterziehungen entdeckt werden und viele Verfahren aus den Regionalämtern heraus angestoßen werden. Dabei können sich auch Taten, die aus der Sicht der Täter nur „kleine Sünden“ darstellen, finanziell erheblich auswirken. Und manchmal kommt es auch zu auf den ersten Blick überraschenden Ergebnissen. |

    1. Ausgangspunkt: Testamente eines Täters

    Die Eheleute (M und F) wurden seit Ende der Siebzigerjahre zusammen veranlagt und sind seitdem auch unter einer gemeinsamen Adresse gemeldet. Der Ehemann (M) ‒ alleiniger Gesellschafter einer Versicherungsvermittlungs-GmbH ‒ verstarb 2019. Bis einschließlich 2017 hatten die Ehegatten gemeinsame ESt-Erklärungen abgegeben. Für 2018 reichte die nichtselbstständig tätige Ehefrau (F) nach dem Tod des M 2020 eine Steuererklärung ein und beantragte, mit dem verstorbenen M gemeinsam veranlagt zu werden.

     

    Anlässlich des Todes des M wurden zwei Testamente, eine Testamentsänderung und ein Erbvertrag eröffnet. Bereits aus dem ältesten Testament aus 2006 ergab sich, dass der M zwar verheiratet war, aber schon mindestens seit 1994 von der F getrennt lebte. In § 2 des Testaments wurde die langjährige Lebensgefährtin des M, Frau Y (Y), als alleinige unbeschränkte Erbin des M eingesetzt. Es ist davon auszugehen, dass der M diese Regelung traf, um Y abzusichern. Als Wohnanschrift des M war im Testament die Wohnanschrift der Y und nicht seine Meldeanschrift bei der F angegeben.

     

    Im zweiten Testament aus 2012 hat der M der F ein Vermächtnis eingeräumt, die Y blieb weiterhin alleinige Erbin. Als Adresse gab der M erneut nicht seine Meldeadresse, sondern diesmal die Adresse seiner GmbH an.

     

    Durch die Testamentsänderung 2017, bei der der M als Wohnanschrift erneut die Meldeadresse der Y angab, entfiel das Vermächtnis der F.

     

    Ende 2017 schlossen die Eheleute einen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag, in dem die F auf den ihr zustehenden Pflichtteil verzichtete, ihr aber erneut ein Vermächtnis zugewandt wurde.

    2. Rolle des Regionalfinanzamts

    Als die ESt-Erklärung für 2018 im Jahr 2020 einging, lagen die Testamente und der Erbvertrag bereits dem Veranlagungs-FA vor. Sie waren dem für die ErbSt zuständigen FA gem. § 34 ErbStG nach der Eröffnung übermittelt worden. Von dort wurden sie als Kontrollmaterial an das für die überlebende und durch das Vermächtnis begünstigte F zuständige Veranlagungs-FA weitergegeben. Dort waren die Unterlagen für die Veranlagung 2018 ausgewertet worden. Es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung offensichtlich schon seit vielen Jahren nicht mehr vorlagen.

     

    Praktisch ist es in solchen Fällen üblich, dass die Veranlagungs-FÄ zunächst die Steuerpflichtigen anschreiben, um den Sachverhalt zu klären. Dies ermöglicht diesen jedoch, eine wirksame Selbstanzeige zu erstatten, da aufgrund des rein steuerlichen Vorgehens des FA noch keine Tatentdeckung i. S. d. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO angenommen werden kann.

     

    Ein solches Vorgehen würde jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden Nr. 130 Abs. 1 S. 1 AStBV (St) 2020 widersprechen. Danach ist das Veranlagungs-FA in Fällen, in denen die Kontrollmitteilung offensichtlich nicht in den erklärten Beträgen enthalten ist oder ein sonstiger offensichtlicher Widerspruch besteht, verpflichtet, den Fall der Bußgeld- und Strafsachenstelle zu übersenden, da ein strafrechtlicher Anfangsverdacht besteht. In Übereinstimmung mit der AStBV wurde der Fall folglich im April 2020 dem Strafsachenbereich vorgelegt, um diesen zu würdigen.

     

    MERKE | Gem. § 397 Abs. 1 AO hätte auch die ‒ in der Praxis nahezu nie vorkommende ‒ Möglichkeit bestanden, dass das Veranlagungs-FA das Strafverfahren selbst einleitet.

     

    3. Steuerstrafrechtliche Würdigung

    Nach § 26b EStG können sich Ehegatten mit der Folge zusammen zur ESt veranlagen lassen, dass ihre Einkünfte zusammengerechnet, ihnen gemeinsam zugerechnet und die Eheleute als gemeinsamer Steuerpflichtiger behandelt werden. Die ESt wird in diesem Fall gem. § 32a Abs. 5 EStG nach dem sog. Splitting-Verfahren ermittelt. Dabei wird das gemeinsame zu versteuernde Einkommen der Ehegatten halbiert. Auf der Grundlage dieses errechneten Betrags wird unter Anwendung des Grundtarifs die tarifliche ESt auf den errechneten Betrag ermittelt. Der errechnete Steuerbetrag wird verdoppelt und ergibt die tarifliche Steuer der Ehegatten nach dem Splittingtarif, sodass es zu einer doppelten Berücksichtigung des Grundfreibetrags kommt. Die mit diesem Verfahren verbundene Milderung der Progression führt insbesondere zu einem steuerlichen Vorteil, wenn ‒ wie vorliegend ‒ der Einkommensunterschied zwischen den Ehegatten groß ist.

     

    Voraussetzung der Zusammenveranlagung ist allerdings, dass die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, somit also noch eine zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht. Dies war aber vorliegend wohl seit mindestens 1994 gerade nicht der Fall, da der verstorbene M mit der Y zusammenwohnte. Ein gemeinsames Wohnen, Wirtschaften und Zusammenleben mit der F dürfte hingegen nicht mehr gegeben gewesen sein. Trotzdem beantragten die Eheleute Jahr um Jahr die Zusammenveranlagung und gaben insoweit unrichtige Erklärungen ab. Da sie insoweit erklärungsgemäß veranlagt wurden, wurde zu Unrecht der Splittingtarif angewandt, der zu einer zu geringen Steuerfestsetzung führte.

     

    Die Eheleute handelten insoweit auch als Mittäter, ohne dass es für die Frage der Täterschaft einer Bezugnahme auf die Zusammenveranlagung bedarf. Die h. M. geht zwar davon aus, dass die Mitunterzeichnung der gemeinsamen Steuererklärung durch einen Ehegatten, obwohl er weiß, dass der andere unrichtige Angaben zu seinen ‒ des anderen Ehegatten ‒ Einkünften gemacht hat, keine Beihilfe oder Mittäterschaft des mitunterzeichnenden Ehegatten begründet. Vorliegend handelt es sich bei der Beantragung der Zusammenveranlagung jedoch um falsche Angaben aus der gemeinsamen Sphäre bzw. der eigenen Sphäre beider Ehegatten, sodass es sich für beide Eheleute um eigene falsche Angaben handelt.

     

    Der subjektive Tatbestand dürfte vorgelegen haben, da die Eheleute sich aufgrund ihrer Lebensumstände bewusst gewesen sein müssen, dass die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung ‒ wohl schon seit 1994 ‒ nicht mehr vorgelegen haben.

     

    Dementsprechend wurde gegen die F mit Verfügung vom 12.6.20 das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der gemeinschaftlich mit dem verstorbenen M begangenen Steuerhinterziehung eingeleitet. Vorgeworfen wurde ihr eine Steuerverkürzung bzw. versuchte Steuerverkürzung von ESt und Soli i. H. d. aufgrund der Zusammenveranlagung zur ESt im Vergleich zur jeweiligen Einzelveranlagung zur ESt entstandenen Differenz von insgesamt ca. 9.200 EUR.

     

    Im Hinblick auf die Strafverfolgungsverjährung war zu berücksichtigen, dass es sich nicht um besonders schwere Fälle handelte, sodass gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB i. V. m. § 78a StGB die Verjährungsfrist fünf Jahre beträgt. Folge: Alle Taten bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2011 waren verjährt. Die Steuerhinterziehung 2012 war hingegen noch nicht verjährt, weil die diesbezügliche Erklärung erst am 8.6.15 abgegeben wurde und der diesbezügliche Bescheid erst am 13.8.15 erging. Folglich wurden der F vollendete Steuerhinterziehungen bezüglich der Jahre 2012 bis 2017 und eine versuchte Steuerhinterziehung bezüglich des Jahres 2018 vorgeworfen.

    4. Steuerstrafrechtliche Folgen

    Da die Verkürzungsbeträge noch verhältnismäßig gering sind bzw. waren, handelt es sich hier um einen typischen Fall für einen Verfahrensabschluss gem. § 153a StPO, sofern der im Hinblick auf die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2017 eingetretene Steuerschaden ‒ wie vorliegend ‒ wieder gutgemacht wird. Die genaue Höhe der Auflage ist abhängig von den tatsächlichen finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnissen der F. In diesem Fall betrug sie 4.000 EUR.

    5. Steuerliche Folgen

    Besonderer Beachtung bedurften im Gegensatz zu den steuerstrafrechtlichen die rein steuerlichen Folgen, die zu einem auf den ersten Blick überraschenden Ergebnis führten. Vorliegend waren die Zusammenveranlagungen aufzuheben und neue Einzelveranlagungen durchzuführen. Dies musste aufgrund der zehnjährigen Verjährungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 2 AO für die Jahre 2008 bis 2017 erfolgen, sodass es sich steuerlich um deutlich höhere Beträge als im Strafverfahren handelte. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die hinterzogenen Beträge zu verzinsen waren.

     

    Im Hinblick auf die Aufhebung der Zusammenveranlagung war zu beachten, dass es in einem Teil der Jahre zu Erstattungen kam, die sich insbesondere aus den hinsichtlich des M geleisteten Vorauszahlungen ergaben. Erstattungen aus einer Zusammenveranlagung stehen den Ehegatten nicht gemeinsam zu, sondern sind gem. § 37 Abs. 2 S. 1 AO dem Ehegatten zuzuordnen, auf dessen Rechnung die zu erstattenden Beträge geleistet wurden. Folglich sind diese Erstattungen im Rahmen der Aufhebung der Zusammenveranlagung wieder rückgängig zu machen und von jeweils dem Ehegatten zurückzuzahlen, dem die Erstattung zuzurechnen war.

     

    Für die Jahre 2012 bis 2014, in denen im Rahmen der Zusammenveranlagung Nachzahlungen festgesetzt wurden, entstehen hingegen durch die Aufhebung der Zusammenveranlagung Guthaben. Der diesbezügliche Erstattungsanspruch steht dem Ehegatten zu, auf dessen Rechnung die Steuer gezahlt wurde. Ist dies aus der Überweisung nicht zu erkennen, erfolgt bei intakten Ehen eine hälftige Zurechnung. Dies war jedoch vorliegend offensichtlich nicht der Fall, sodass die Nachzahlung dem M zugerechnet wurde, da sie vermutlich von diesem geleistet wurde und aufgrund seiner Einkünfte entstand.

     

    MERKE | Im Hinblick auf die Zinsen ist ferner zu beachten, dass es sich im Gegensatz zu einem normalen Wechsel der Veranlagungsart nicht um ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 AO in Form der Ausübung eines Wahlrechts handelt, sondern um eine Änderung nach § 173 AO aufgrund neuer Tatsachen, da die Eheleute nicht freiwillig einen Antrag auf Einzelveranlagung gestellt haben. Vielmehr wurde nachträglich bekannt, dass die Voraussetzungen der Zusammenveranlagung nicht vorlagen. Folglich ist § 233a Abs. 2a AO nicht anzuwenden, sodass sämtliche Guthaben/Rückzahlungsbeträge bereits ab dem regulären Beginn des Zinslaufs des jeweiligen Veranlagungszeitraums bis zum Zeitpunkt der Aufhebung der Zusammenveranlagungsbescheide zu verzinsen sind.

     

    Die steuerliche Abwicklung des Falls betraf die F und die Y als die Gesamtrechtsnachfolgerin des M. Bezüglich des M überstiegen die sich aus den Einzelveranlagungen ergebenden Nachzahlungen deutlich die Erstattungen aus den Zusammenveranlagungen, was zu immensen Nachzahlungsbeträgen für die Jahre 2008 bis 2017 führte. Diese waren zusätzlich auch noch zu verzinsen, was bei lange zurückliegenden Zeiträumen die jeweiligen Beträge erheblich erhöht.

     

    Da die F jedoch im Gegensatz zum M ein deutlich geringeres Jahreseinkommen hatte, führte die Änderung der Veranlagungsart im Ergebnis dazu, dass sie nach Durchführung der Einzelveranlagung letztendlich im Hinblick auf den gesamten Zeitraum eine Steuererstattung erhielt, während die Y ‒ als Rechtsnachfolgerin des M ‒ eine erhebliche Nachzahlung in Höhe des Mehrfachen des Hinterziehungsbetrags leisten musste.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2021 | Seite 210 | ID 47360718