· Fachbeitrag · Editorial PStR 01/2022
Rückblick ‒ Augenblick ‒ Ausblick
| Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Editorial im Heft 1/22 provoziert einen Rück- oder jedenfalls einen Ausblick. Doch weder das erstaunte Stöhnen, dass das Jahr 2021 trotz Corona viel schneller vorbeiging als ein Jahr ohne Corona, noch ein sorgengeboosteter Seufzer, wie und vielleicht sogar ob das Neue Jahr wohl ausfallen wird, bringt einen steuerstrafrechtlichen Erkenntnisgewinn. |
Da nur „in der hauchdünnen Mitte zwischen den Extremen (…) die Zone der psychischen Gesundheit“ (Sloterdijk) liegt, muss die Nachricht des Sinns von 2022 im Jetzt liegen. Und siehe da, sie liegt da: Seit den Zeiten der legendären Spiegel-Berichterstattungen aus den Hauptverhandlungen deutscher Gerichte nähert sich nicht nur das allgemeine Niveau der Presseberichterstattungen über Strafverfahren dem allgegenwärtigen, unser Leben im Jetzt umfassenden „2 Prozent Ziel“ (mit den Unter-Fallgruppen 1,5 Prozent Klima, 2 Prozent Wehretat, 2,3 Prozent Erfolgsquote Verfassungsbeschwerden) des Erträglichen an. Aber eine Nachricht zum Ende des Jahres 2021 ließ dann doch für 2022 aufhorchen:
- „Klassischer Bankraub kommt aus der Mode“ (Fonds online)
- „Wer noch eine Bank überfällt, ist eigentlich schön blöd“ (Spiegel online)
Während in 1993 noch 1.623 Überfälle gezählt wurden, fiel die Zahl seit 2018 unter 80. Neben der Ausdünnung des Filialnetzes ‒ und damit dem Wegfall potentieller Tatorte ‒ sei das Risiko, erwischt zu werden, mit über 90 Prozent Aufklärungsquote extrem hoch.
Generalpräventive, gar abschreckende Urteile deutscher Gerichte werden bisher nicht als Ursache angeführt, sondern es wird auf die ausgefeilten Sicherheitsmaßnahmen in den Banken hingewiesen (BKA-Mitteilung vom 15.11.21), also „Fortschritt durch Technik“!
Das ist vielleicht die lückenschließende Erkenntnis zwischen den Fingerspitzen Michelangelos im Blick auf die guten Vorsätze im neuen Jahr für die Entwicklung des Steuerstrafrechts: generalpräventive Erwägungen, verfassungsrechtliche Akzeptanz gesetzlicher Rückwirkungen im Strafrecht, der Versuch, ausgerechnet im sensiblen Bereich einer Haftbeschwerde das tradierte Recht der Abgrenzung zwischen Betrug und Steuerhinterziehung neu justieren zu wollen, werden den Täterkreis in Steuerhinterziehungen nicht minimieren; es geht auch hier nur über Fortschritt durch Technik, also über eine verbesserte Akzeptanz, Klarheit, Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des Steuersystems und der Sanktionierung identifizierten Fehlverhaltens auf Basis tatort- und tatzeitgerechter Sachverhaltsbeurteilung.
In diesem Sinne: Ein gutes, gesundes, wellenbrechendes Neues Jahr 2022.
Ihr Dr. Ingo Flore