09.03.2022 · Fachbeitrag · Editorial PStR 05/2022

Vorhaben des „Morgen“ im Lichte des „Heute“

| Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter dem Eindruck des Krieges im östlichen Teil Europas fällt es naturgemäß nicht leicht, Zukunftsthemen aus dem Koalitionsvertrag der „Ampel“ zum Gegenstand eines steuerstrafrechtlichen Editorials zu machen, weil die Zukunftssicherheit ein Stück weit ungewisser erscheint. Vorhaben des „Morgen“ müssen im Lichte des „Heute“ eventuell komplett neu gedacht werden. |

„Das Strafrecht ist immer nur Ultima Ratio … Wir überprüfen das Strafrecht systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche und legen einen Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz … Wir machen Strafprozesse noch effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher, ohne die Rechte der Beschuldigten und deren Verteidigung zu beschneiden. Vernehmungen und Hauptverhandlung müssen in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Unter anderem regeln wir die Verständigung im Strafverfahren einschließlich möglicher Gespräche über die Verfahrensgestaltung … Wir stellen die Verteidigung der Beschuldigten mit Beginn der ersten Vernehmung sicher …“

Die Digitalisierung und damit einhergehend die Virtualisierung des Strafprozesses ist somit Gegenstand der Reformbemühungen der Regierungskoalition. Wenn künftig generell ‒ über den heute zulässigen Umfang hinaus ‒ Vernehmungen und die Hauptverhandlung in Bild und Ton aufgezeichnet werden müssen, deutet sich eine Überholung der bisherigen Erheblichkeit des Protokolls in der tradierten Form an. Die digitale Aufzeichnung scheint das Vernehmungsprotokoll zu ersetzen. Der Revisionsrichter könnte zum Video-Chat-Partner der Prozessbeteiligten mutieren. Die künstliche Intelligenz (KI) steht in der Recherche von Ermittlungsakten, Beweismittelordnern etc. ante portas, um stichwortfokussiert Ermittlungszusammenhänge zu generieren.