· Fachbeitrag · Editorial PStR 10/2022
Legal, illegal, global!
| Liebe Kolleginnen und Kollegen,(Steuer-)Strafrechts-DBA (?!). Der Paradigmenwechsel in der rechtsstaatlichen Verortung des Strafrechts und einhergehend insbesondere des Steuerstrafrechts steht nicht mehr nur ante portas! |
Folgende Formulierung ließ aufhorchen: (Nur dann,) wenn die naheliegende, konkrete Gefahr bestehe, dass der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde, verletzte es ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, wenn das Strafverfahren fortgesetzt werde (BVerfG 16.11.20, 2 BvQ 87/20 Rn. 51). Im Übrigen sei es aber die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen. Folge: Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sei legitimiert (BVerfG, a. a. O., Rn. 50).
In einem weiteren Beschluss hat das BVerfG Folgendes ausgeführt: Das Interesse der Allgemeinheit daran, durch Steuerhinterziehung in großem Ausmaß eingetretene, in die Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen und so der Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen, dass sich Straftaten „nicht lohnen“, gehe dem Interesse der Betroffenen vor, durch Steuerdelikte erlangte Vermögenswerte nach Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung „behalten zu dürfen“ (7.4.22, 2 BvR 2194/21 Rn. 84). Dies ist als Staatsprinzip „Strafrecht first“ zu begreifen.
Der Entwurf eines Gesetzes zum Protokoll vom 8.10.21 zur Änderung des Abkommens vom 9.7.08 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Mexikanischen Staaten, um die Doppelbesteuerung (DBA Deutschland-Mexiko) zu vermeiden, ist der „Deckel auf den Topf“, wenn es dort heißt, dass die bisherige Präambel des Abkommens durch den folgenden Wortlaut ersetzt werde: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Mexikanischen Staaten ‒ in der Absicht, in Bezug auf die unter dieses Abkommen fallenden Steuern eine Doppelbesteuerung zu beseitigen, ohne Möglichkeiten zur Nicht- oder Niedrigbesteuerung durch Steuerverkürzung oder -umgehung … zu schaffen. …“ (scil.: Hervorhebung nicht im Original).
Das DBA Deutschland-Mexiko in diesem Entwurfsprotokoll (BT-Drucksache 20/2243) betritt Neuland: Es wird Aufgabe des DBA, Möglichkeiten zur Nicht- und Niedrigbesteuerung durch Steuerverkürzung und Steuerumgehung zu beseitigen. Die Erweiterung des Aufgabenkatalogs i. d. S. in der Präambel kann als weiteres Zeichen des „Strafrecht first“, also der nationalen wie globalen vorrangigen Durchsetzung staatlicher Strafrechtspflege, verstanden werden, um materielle Gerechtigkeit auf dem Gebiet des Steuerrechts durchzusetzen; „Speedy Gonzales“ als Treiber dieser „Zeitenwende“. Legal, illegal, global!
Ihr
Dr. Ingo Flore