· Fachbeitrag · Editorial PStR 12/2021
Lesen, was gesund macht
| Liebe Kolleginnen und Kollegen: „Lesen, was gesund macht“ gilt nicht nur für ein anderweitiges Mitteilungsblatt, sondern auch für Sie: Lesen Sie bitte jede Zeile der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ([EGMR] 16.2.21, 1128/17). Diese wird Form und Inhalt von Anklagen der Staatsanwaltschaften und die Geschäftsverteilungspläne der Strafjustiz nachhaltigst gesunden! Jeder Satz der Würdigung des EGMR, Rn. 42 ff., ist Medizin: |
„Allerdings wird eine Frage der Unparteilichkeit aufgeworfen, wenn das frühere Urteil bereits eine detaillierte Bewertung der Rolle der später wegen einer von mehreren Personen begangenen Tat angeklagten Person enthält … und insbesondere wenn aus dem früheren Urteil eine bestimmte Einordnung der Beteiligung des Beschwerdeführers vorgenommen wird … oder wenn das Urteil so zu verstehen ist, dass es hinsichtlich der später angeklagten Person alle für die Erfüllung eines Straftatbestands erforderlichen Kriterien erfüllt sieht. Unter den Umständen des konkreten Falls können solche Elemente als Vorverurteilung der später angeklagten Person angesehen werden. … Folglich liegt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 der Konvention vor“.
Folgt einem z. B. Umsatzsteuerkarussell, Dieselmanipulation oder Ähnlichem ein „Anklagekarussell“ von „unten nach oben“ zur Hauptverhandlung vor der immer identisch besetzten Strafkammer, „isch over“ now. Immer dann ergeben sich nach dem EGMR „objektiv gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit eines Richters, wenn die innerstaatlichen Gerichte über die Beschreibung der Tatsachen, die den später Angeklagten betreffen, hinaus auch eine rechtliche Bewertung des Verhaltens dieser Person vornahmen“. Im Lichte dieser EGMR-Rechtsprechung sind Formulierungen eines Strafsenats im Revisionsverfahren, wonach man auf die Revision (eines Gehilfen) die Strafbarkeit der Haupttaten „vollumfänglich überprüft habe“, aber keine Rechtsfehler festzustellen seien, wohl zugleich in dienstliche Erklärungen aller befassten Berufsrichter des Senats zur Feststellung der Befangenheit für nachfolgende Revisionen zu lesen. Dass der BGH keine Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit erkannte, ließ der EGMR ausdrücklich nicht gelten.
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