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  • · Fachbeitrag · Kontrovers

    Reicht das SRP-Ergebnis für einen Anfangsverdacht?

    von Rain Dr. Janika Sievert, LL.M. Eur., FAin StR, FAin StrR, Ecovis L+C, Würzburg, und RD a.D. Dr. Henning Wenzel, Tremsbüttel

    | In der Juristerei kann man oft unterschiedlicher Ansicht sein. In der Rubrik „Kontrovers“ beleuchten zwei Experten ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Alles ist streitbar, so auch der Einsatz der Summarischen Risikoprüfung (SRP) bei den Betriebsprüfungsstellen der FÄ. Dabei werden aufgrund mathematischer Methoden (Chi-Quadrat-Test, Kassenfehlbeträge, interner und externer Betriebsvergleich usw.) die unternehmerischen Buchführungsdaten überprüft. Über die strafprozessuale Rolle von SRP kann man kontroverser Ansicht sein. |

     

    »RD a.D. Dr. Henning Wenzel: Diese von Steuerstrafrechtlern anfangs zu Unrecht kritisch eingeschätzte neue Prüfungsmethode ist für die Strafverfolgungsbehörden während der Vorermittlung wichtig und effektiv, um in die Fragestellung einzusteigen, ob gegen den Steuerpflichtigen ein Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung vorliegt (siehe dazu das Handbuch der Finanzverwaltung Schleswig Holstein für die SRP (www.iww.de/s7160. Besonders bedeutsam ist, die eigene unternehmerische Buchführung, die dem FA vorzulegen war, technisch zu überprüfen. Hierdurch sind die Ergebnisse sehr aussagekräftig. Denn sie sind wegen der umfassenden mathematischen Ermittlung genauer als die manuelle, vom Außenprüfer durchgeführte Buchprüfung.

     

    Den Strafverfolgungsbehörden bieten sich dadurch tiefe Einblicke in das wirtschaftliche und steuerliche Handeln des Unternehmers. Richtig gedeutet kann unproblematisch ein Anfangsverdacht hergeleitet werden, da ‒ grob zusammen gefasst ‒ im konkreten Einzelfall nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung Tatsachen vorhanden sein müssen, nach denen eine Steuerhinterziehung im objektiven und subjektiven Tatbestand möglich erscheint (ausführlich Wenzel, StBp 22, 17, 22). Die unternehmerischen Daten geben hierzu einen tiefen Einblick in die Handlungen des Steuerpflichtigen bei seiner Buchführung. Zum ersten Mal können zu einem frühen Zeitpunkt mit einem überschaubaren Aufwand die Buchungen umfassend fast lückenlos strafprozessual überprüft werden.

     

    SRP ermöglicht zudem, mit der statistischen 80-Prozent-Quantil-Methode ein steuerliches Mehrergebnis zu erzeugen, das sich der Wahrheit annähert. Dieses steuerliche Ergebnis ergibt sich aus dem systematischen Streichen von statistischen Ausreißern. Hierdurch werden nur die Mitteldaten für die steuerliche Berechnung herangezogen.

     

    Erste strafprozessuale Überprüfungen zeigen, dass die Berechnungen dieser fiskalischen Mehrergebnisse nicht grundlegend falsch sind. Allerdings ist m. E. anders als beim Anfangsverdacht darauf zu achten, dass bei der Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts die Handlungen des Unternehmers vor dem Hintergrund des Strengbeweises exakt zu beschreiben und zu beweisen sind, weshalb ein hinreichender Tatverdacht sich nicht aus der SRP-Methode ohne weitere intensive Beweissicherungen herleiten lässt. SRP kann aber ein richtungsweisendes Indiz sein.

     

    »Rechtsanwältin Dr. Janika Sievert: Mit der SRP hat die Finanzverwaltung sicherlich darauf reagiert, dass die Buchführung und Kassendaten digitalisiert wurden. Aus Sicht der Strafverteidigerin erscheint es jedoch sehr fraglich, dass mit der SRP, einem vorlagengestützten, interaktiven Prüfungsverfahren, tatsächlich ein Anfangsverdacht gegen den Steuerpflichtigen begründet werden kann, auch wenn es Stimmen aufseiten der Finanzverwaltung gibt, die die Ergebnisse der SRP sogar für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts heranziehen möchten.

     

    Im eingangs genannten Handbuch der Finanzverwaltung Schleswig-Holstein für die SRP (www.iww.de/s7160, dort S. 265 f.) wird es mit einem Vergleich zum Trend um Legal Tech begrüßt, dass verstärkt digitale Prüfungsmethoden angewandt werden.

     

    Aus Sicht der Strafverteidigung ist es jedoch auch im Jahr 2022 ein Unterschied, ob ich einen Mietvertrag durch KI erstellen lassen kann oder ob ein Computer einen Anfangsverdacht mit all seinen in der analogen Realität einhergehenden Konsequenzen für einen Menschen begründet. Letzteres ist abzulehnen. Denn es handelt sich bei der SRP lediglich um eine automatisierte Verprobungsmethode. Die SRP arbeitet dabei mithilfe der SRP-Vorlagen von BWA und Stochastik mit Vergleichen zwischen Beobachtung und Erwartung. Laut Handbuch (www.iww.de/s7160, dort S. 232 f.) geht aus Ergebnissen von Wahrscheinlichkeitstests hervor, „dass Aussagegewissheiten von „≥ 99 bzw. 99,5 Prozent“ zur (Nicht-)Übereinstimmung von untersuchten Besteuerungsdaten mit ihren erwarteten Punktidealen erreichbar sind und anhand weiterer (geschätzter) Informationen zur indiziellen Beweiskraft als Manipulationsverdacht umgerechnet werden können“. Dabei sollen u. a. durch zielgerichtete Funktionalitäten der SRP-Vorlage Stochastik nicht-manipulative Ursachen (weitestgehend) ausgeschlossen werden können und damit diese Methode nach Ansicht des Handbuchs (www.iww.de/s7160, S. 234) auch als strafrechtliches Schätzungsverfahren in Betracht kommen.

     

    Ein Anfangsverdacht gem. § 152 Abs. 2 StPO ist jedoch erst gegeben, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Der Anfangsverdacht muss in konkreten Tatsachen bestehen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. nur Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 152, Rn. 4.). Mithilfe der Stochastik erzeugte mathematische Wahrscheinlichkeiten dürfen hierfür nicht als ausreichend erachtet werden. Wir erinnern uns: judex non calculat. Eine oft bemühte Phrase, in diesem Fall aber durchaus passend. Um einen Anfangsverdacht i. S. d. StPO begründen zu können, sollten also neben Wahrscheinlichkeitsrechnungen eines Computers, konkrete Tatsachen, wie z. B. Kontrollmitteilungen, vorliegen ‒ diese sind natürlich in digitaler Form akzeptabel.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2023 | Seite 20 | ID 48708631