· Fachbeitrag · Bundesverfassungsgericht
Untersuchungshaft in Steuerstrafsachen
| Wenn ein Haftbefehl einmal unangefochten außer Vollzug gesetzt worden ist, ist jede neue haftrechtliche Entscheidung nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO möglich. Der erneute Vollzug des Haftbefehls durch den Richter kommt nach § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO nur in Betracht, wenn neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen. Dagegen kann eine lediglich andere Beurteilung des unverändert gebliebenen Sachverhalts einen Widerruf nicht rechtfertigen. |
Das BVerfG hat am 11.6.12 (2 BvR 720/12, 2 BvR 835/12, Abruf-Nr. 123704) über zwei Verfahrensbeschwerden in Strafverfahren entschieden, in denen der Vorwurf der Untreue, der Steuerhinterziehung und der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr erhoben wurde. Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Aufhebung von Haftverschonungsbeschlüssen wegen neu hervorgetretener Umstände i.S. von § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO (Wegner, PStR 12, 269).
PRAXISHINWEIS | Ein nach der Haftverschonung ergangenes - nicht rechtskräftiges - Urteil oder ein hoher Strafantrag der StA können geeignet sein, den Widerruf einer Haftverschonung und die Invollzugsetzung eines Haftbefehls zu rechtfertigen. Dies setzt jedoch voraus, dass von der Prognose des Haftrichters bezüglich der Straferwartung der Rechtsfolgenausspruch des Tatrichters oder die von der StA beantragte Strafe erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht. Ob dies der Fall ist, ist durch Abwägung und Beurteilung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Die insoweit heranzuziehenden Umstände müssen sich jeweils auf die Haftgründe beziehen. |
Die Anwendung des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO erfordert schließlich nachvollziehbare Feststellungen dazu, von welcher Straferwartung der Beschuldigte im Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Haftbefehls ausging. Bloße Mutmaßungen können insoweit nicht genügen. (CW)