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  • · Fachbeitrag · Editorial PStR 04/2024

    Ist in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO das Merkmal der Unkenntnis hineinzulesen?

    | Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Aprilscherz gehört seit 1618 zu unserer leitkulturellen Identität; ernste Erwägungen wollen daher in diesen Tagen im Blick auf ein satirisch-humoresk aufgeladenes Publikum mit Bedacht vorgetragen werden. Aber, man wird ja wohl noch nachdenken können …? |

     

    Auf der gemähten Wiese des Steuerstrafrechts gibt es einen höchstrichterlich unbearbeiteten Fleck, die Frage, ob in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO das Merkmal der Unkenntnis hineinzulesen ist. Der Mut der Instanzgerichte (OLG Köln 31.1.17, III-1 RVs 253/16 oder OLG Oldenburg 10.7.18, 1 Ss 51/18) oder einzelner Finanzgerichte (FG Düsseldorf 26.5.21, 5 K 143/20), dies BGH-vorgreiflich zu bejahen, leitet unweigerlich zu §§ 93a, 93c AO über. Danach sind deutsche Behörden verpflichtet sind, den Finanzbehörden steuerlich erhebliche Tatsachen mitzuteilen. Daten, die von mitteilungspflichtigen Stellen nach Maßgabe des § 93c AO an die Finanzverwaltung übermittelt wurden, gelten nach § 150 Abs. 7 S. 2 AO als Angaben des Steuerpflichtigen, soweit sie in den Steuererklärungsformularen als eDaten gekennzeichnet sind oder bei nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Datenfernübertragung übermittelten Steuererklärungen für den Belegabruf bereitgestellt werden und der Steuerpflichtige nicht in einem dafür vorgesehenen Abschnitt oder Datenfeld der Steuererklärung abweichende Angaben macht.

     

    Was wäre, wenn der 1. Strafsenat des BGH zu der Erkenntnis käme, dass elektronisch übermittelten Datensätze gar nicht dazu gedacht sind, von der Sachbearbeitung im FA aktiv zur Kenntnis genommen zu werden? Könnte sich die (Un-)Kenntnis im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ‒ im möglichen Verständnis des BGH ‒ nicht nur auf tatsächliche Wahrnehmungen der Sachbearbeitung außerhalb des elektronischen, digitalen Datenzuflusses beschränken? Wäre mithin die hypothetische Unterstellung, dass das, was dem FA elektronisch übermittelt wird, zugleich der Sachbearbeitung im FA bekannt sei, bereits deshalb bierdeckelgleich zu beerdigen, weil die Sachbearbeitung diese Daten tatsächlich gar nicht zur Kenntnis nimmt und auch gar nicht zur Kenntnis nehmen will? Oder muss derjenige, der so denken will, nicht antizipieren, dass damit die Kenntnis der Sachbearbeitung in der Finanzverwaltung mit jeder fortschreitenden Evolutionsstufe der Digitalisierung umgekehrt proportional schrumpft, wenn Maschinenkenntnis nicht zugerechnet werden soll?