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  • · Fachbeitrag · EEA

    EncroChat: Das ist die Entscheidung des EuGH

    von RiAG a. D. Frank Buckow, Berlin

    | Der EuGH hat die erste Entscheidung zu EncroChat getroffen. |

     

    Sachverhalt

    Der Anbieter EncroChat bot ein soft- und hardwaremäßig kryptiertes und „gehärtetes“ Handy an, das vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen schützen sollte. Ein Server des Unternehmens stand in Frankreich. Dieser wurde gem. richterlichen Beschlüssen überwacht. Der Datenverkehr wurde überwiegend kriminell genutzt. Aufgrund von Folgebeschlüssen französischer Gerichte wurden Endgeräte der Kunden von EncroChat im Zeitraum vom 1.4. bis 30.6.20 überwacht. Über die Updatefunktion für die Software wurden auf unbekannte Weise auch die Endgeräte von Kunden in Deutschland infiltriert. Die informierten deutschen Ermittlungsbehörden beantragten daher über eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) der Staatsanwaltschaft, dass die Erkenntnisse für in Deutschland lebende Teilnehmer von EncroChat übermittelt wurden. Sie erhielten diese aufgrund eines französischen Beschlusses im Wege der Rechtshilfe für Endgeräte, die sich zum Zeitpunkt der Datenerfassung auf deutschem Boden befunden hatten.

     

    Der BGH hält die Daten gem. § 261 StPO für verwertbar (BGHSt 67, 29). Es lägen weder Rechtshilfeverstöße vor noch sei Völkerrecht verletzt. Die französischen Ermittlungsbehörden hätten die Daten ordnungsgemäß erhoben. Die Erkenntnisse beträfen schwere Straftaten i. S. d. § 100e Abs. 6, § 100b StPO, sodass es möglich ist, die Daten nach dem Recht des ersuchenden Staates (Deutschland) zu verwerten.

     

    Die 25. Große Strafkammer des LG Berlin legte mit Beschluss vom 19.10.22 ein Verfahren wegen BtM‒Handels dem EuGH vor (BeckRS 2022, 28421). Dabei wurde u. a. darum gebeten, Folgendes zu klären: Steht eine EEA im Anordnungsstaat (hier Deutschland) im Vollstreckungsstaat (hier Frankreich) unter Richtervorbehalt, um bereits erhobene Beweismittel zu erlangen, insbesondere bei Beweismitteln, die auf dem Gebiet des Anordnungsstaats erhoben wurden? Steht einer EEA entgegen, dass keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass bei Anordnung der Maßnahme im Vollstreckungsstaat schwere Straftaten begangen worden waren, die Maßnahme im Anordnungsstaat nicht zulässig gewesen wäre und die Integrität der Daten aufgrund der Geheimhaltung im Vollstreckungsstaat nicht überprüft werden könnten? Fraglich sei, ob es zu einem Beweisverwertungsverbot führe, wenn die unionsrechtlichen Grundsätze der Effektivität (Möglichkeit der Geltendmachung der Rechte der Unionsbürger) und Äquivalenz (Gleichrangigkeit der Behandlung von unter das Unionsrecht fallenden Sachverhalten mit innerstaatlichem Recht [EuGH NZA 23, 621]), verletzt seien.

     

    Am 4.7.23 hat der EuGH die Verfahrensbeteiligten angehört. Am 26.10.23 nahm die Generalanwältin beim EuGH in ihrem Schlussantrag Stellung (BeckRS 2023, 29194).

     

    Entscheidungsgründe

    Eine EEA, die sich auf Beweismittel bezieht, die bereits im Vollstreckungsstaat erhoben wurden, steht nicht unter einem Richtervorbehalt (EuGH 30.4.24, C-670/22, Abruf-Nr. 242712). Die Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft ist gegeben, wenn diese für eine Datenauskunft in einem innerstaatlichen Verfahren ausreichen würde.

     

    Eine EEA, um bereits erhobene Beweise zu übermitteln, erfordert nicht, dass die Voraussetzungen vorliegen, um Beweise zu erheben, solange das rechtliche Gehör und die Möglichkeiten eines Rechtsbehelfs für die Zielperson bestehen.

     

    Ein nationales Gericht darf bedeutsame Beweismittel nicht berücksichtigen, wenn einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, kein rechtliches Gehör dazu gewährt wird. Eine mit der Infiltration von Endgeräten verbundene Maßnahme, um Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes abzuschöpfen, ist eine „Überwachung des Telekommunikationsverkehrs“ i. S. v. Art. 31 RL 2014/41. Diese Norm bezweckt auch den Schutz der Rechte des betroffenen Nutzers.

     

    Relevanz für die Praxis

    Zu Beweisverwertungsverboten äußert sich der EuGH erwartungsgemäß nicht. Ob dies bei den anhängigen Verfahren beim BVerfG und beim EGMR der Fall sein wird, bleibt abzuwarten.

     

    Die ermittlerfreundliche Entscheidung des EuGH berücksichtigt die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU, die verlangt, dass gerichtliche Entscheidungen in einem anderen EU-Staat anerkannt werden. Den deutschen Gerichten liegen die anordnenden Entscheidungen der französischen Gerichte vor.

     

    Bei SkyECC, einem Nachfolger von EncroChat, ist die Rechtslage vergleichbar (vgl. OLG Hamm 10.1.23, III-5 Ws 341 - 344/22 -, juris).

     

    Bezüglich ANOM, einem weiteren Kryptohandy, das über einen V-Mann des FBI vertrieben und vom FBI überwacht wurde, ist es umstritten, ob die Daten verwertbar sind (dafür: OLG Karlsruhe 4.1.24, 3 Ws 353/23, juris; dagegen: OLG München 19.10.23, 1 Ws 525/23, juris). Entscheidungen des BGH dazu stehen aus.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Krause-Ablaß, Rechtsschutz gegen die Europäische Ermittlungsanordnung, PStR 23, 231
    • Schott, EuGH bremst Finanzbehörden aus: EEA müssen von der Staatsanwaltschaft validiert werden, PStR 23, 126
    • Buckow, Einzug der digitalen Beweisführung, PStR 23, 61
    • Roth, Merkblatt: Internationale Rechtshilfe in Steuerstrafsachen, PStR 22, 193
    • Krug/Püschel, Die internationale Rechtshilfe (Teil 1), PStR 17, 226
    • dieselben, Die internationale Rechtshilfe (Teil 2), PStR 17, 259
    Quelle: Ausgabe 08 / 2024 | Seite 174 | ID 50050143

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