· Fachbeitrag · Einziehung
Kein Nebeneinander von Tatertrag und ersparten Aufwendungen
von RA Dr. Lenard Wengenroth, Krause & Kollegen, Berlin
| Eine gleichzeitige Einziehung von Taterträgen und ersparter Aufwendungen durch auf die Taterträge nicht gezahlte Steuern steht im Widerspruch mit der Rechtsprechung des BVerfG. Das hat der BGH entschieden. |
Sachverhalt
Das LG hat den Angeklagten A wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 13 Fällen und wegen Computerbetrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt, wovon 3 Monate aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Daneben hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des A war überwiegend erfolgreich.
Entscheidungsgründe
Soweit der A wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung für das Besteuerungsjahr 2010 durch den gesondert Verfolgten B verurteilt worden ist, war das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung gem. § 206a Abs. 1 StPO einzustellen (BGH 10.3.22, 1 StR 515/21, Abruf-Nr. 229027). Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung des A zudem hinsichtlich der Hinterziehung von GewSt bezüglich des Besteuerungszeitraums 2014 wegen vollendeter Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht, weil das LG nicht die dafür erforderlichen Feststellungen getroffen hat. Bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen tritt ‒ sofern nicht ein Schätzungsbescheid ergangen ist ‒ der Taterfolg der Steuerverkürzung zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre. Dies ist spätestens der Fall, wenn das zuständige FA die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat. Hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen (st. Rspr.; BGH 4.11.21, 1 StR 236/21 Rn. 13; 6.4.21, 1 StR 60/21 Rn. 4).
Das angefochtene Urteil genügt diesen Anforderungen nicht. Das LG hat festgestellt, dass der A für den Besteuerungszeitraum 2014 weder eine GewSt- noch eine ESt- oder USt-Erklärung abgegeben hat. Nur im Hinblick auf die ESt hätte das zuständige FA „bei Abgabe der Erklärung innerhalb der Frist des § 149 Abs. 2 AO“ den Bescheid spätestens bis zum 30.9.15 erteilt. Es hat keine entsprechenden Feststellungen hinsichtlich der GewSt getroffen. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Tat vollendet ist. Die beweiswürdigungsrechtlichen Erwägungen zu der Vergleichbarkeit der Arbeitsbelastung des zuständigen FA mit den vorherigen Veranlagungsjahren reichen hierzu nicht aus.
Die Urteilsgründe tragen den Strafausspruch betreffend Hinterziehung von ESt- und GewSt 2010 und 2012 sowie wegen Beihilfe zur Hinterziehung von USt 2013 wegen unzutreffender Berechnung des Verkürzungsbetrags nicht. Das LG hat die Verkürzungsbeträge für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2013 fehlerhaft berechnet. Anstelle des Gesamtbetriebsergebnisses legt das LG nur die Ergebnisse „der nicht gebuchten Geschäfte“ zugrunde. Angesichts der Verluste, die der A in 2010 und 2012 mit seinem „offiziellen Geschäft“ erwirtschaftete, hat das LG die hinterzogene ESt und GewSt für die Zeiträume 2010 und 2012 zu hoch angesetzt und damit zulasten des A den Schuldumfang rechtsfehlerhaft bestimmt. Dem LG ist darüber hinaus bei der Berechnung der verkürzten USt für den Besteuerungszeitraum 2013 ein Berechnungsfehler unterlaufen.
Die Anordnung der Einziehung des Wertes der Taterträge hält rechtlicher Überprüfung bereits aufgrund der benannten Berechnungsfehler nicht stand. Darüber hinaus hat das LG die Einziehung der Summe der von dem A verkürzten Steuern hinsichtlich der Hinterziehung von USt, GewSt und ESt für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2014 gem. § 73 Abs. 1, § 73c S. 1, § 73d Abs. 2 StGB angeordnet. Ferner hat es die Einziehung der in 2013 erzielten Einnahmen des A aus dem als Computerbetrug qualifizierten Verkauf sog. Lines eines Cardsharing-Servers i. H. v. 33.100 EUR angeordnet. Dabei hat das LG den Zusammenhang zwischen der Einziehung der aufgrund des Computerbetrugs erzielten Erträge und der hierauf anfallenden GewSt, USt und ESt für den Besteuerungszeitraum 2013 nicht bedacht. Würde nebeneinander sowohl das aus der Begehung des Computerbetrugs Erlangte als auch der Wert der ersparten Aufwendungen für die wegen des Zuflusses entstandenen Steuern eingezogen, unterläge ein höherer als der insgesamt zugeflossene Betrag der Einziehung. Dies wäre mit der Rechtsprechung des BVerfG nicht zu vereinbaren, wonach der Täter durch Besteuerung und Vermögensabschöpfung nicht doppelt belastet werden darf (BVerfG 23.1.90, 1 BvL 4/87 u. a., BVerfGE 81, 228, 239 f.). Dies gilt auch, wenn Zahlungen auf eine Einziehungsanordnung in anderen Veranlagungszeiträumen steuerlich wieder angesetzt werden können (BGH 10.8.21, 1 StR 399/20 Rn. 41 und vom 5.9.19, 1 StR 99/19 Rn. 10).
Soweit das LG die Einziehung der ersparten Aufwendungen für die Gewerbesteuer 2014 angeordnet hat, war dem Revisionsgericht die Prüfung nicht möglich, ob die Tat vollendet oder lediglich versucht ist. Im letzten Fall käme eine Einziehung nicht in Betracht (BGH 8.3.22, 1 StR 360/21 Rn. 22 ff. Abruf-Nr. 228878).
Relevanz für die Praxis
Nach der sog. „steuerrechtlichen Lösung“ sind Steuern, die auf das strafrechtswidrig erlangte Vermögen als steuerrechtliche Einkünfte zu entrichten sind, im Rahmen der Ermittlung des Taterlangen nicht abzugsfähig i. S. d. § 73d StGB (Bruttoprinzip). Dies folgt daraus, dass die Festsetzung der Steuerbelastung und ihre Begleichung dem Zufluss der (strafrechtswidrigen) Einkünfte zeitlich nachfolgt. Etwaige Doppelbelastungen sollen dadurch vermieden werden, dass Zahlungen auf eine (Wertersatz-)Einziehungsanordnung nach §§ 73 ff. StGB als Ausgaben bei der ESt abgesetzt werden können. Dieses „Gleichgewicht“ wäre gestört und eine doppelte Inanspruchnahme würde drohen, wenn gleichzeitig die Einziehung von Taterträgen und ersparter Aufwendungen durch auf die Taterträge nicht gezahlte Steuern möglich wäre.
Der 1. Strafsenat des BGH bestätigt zudem seine Rechtsprechung, wonach eine Einziehung bei lediglich versuchter Steuerhinterziehung mangels Vermögensmehrung beim Täter nicht in Betracht kommt.