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  • · Fachbeitrag · Haftung

    Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis

    von Dr. Karsten Webel, LL.M. (Indiana), Hamburg

    In Beraterverträgen gilt die Vermutung, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte, wenn nach der Lebenserfahrung bei vertragsgemäßer Leistung des steuerlichen Beraters lediglich ein bestimmtes Verhalten nahegelegen hätte. Diese Vermutung stellt einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises dar, sodass der Berater ihn entkräften kann, indem er Tatsachen beweist, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten sprechen (BGH 15.5.14, IX ZR 267/12, Abruf-Nr. 142185, WM 14, 1379).

     

    Sachverhalt

    Vom LG und OLG wurde die Klage gegen einen Rechtsanwalt/Steuerberater mit der Begründung abgewiesen, dass die erforderliche Kausalität der Falschberatung für den Vermögensschaden nicht dargelegt sei. Dagegen gingen die Kläger in die Revision und vertraten die Ansicht, das OLG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich eine Beweiserleichterung für den Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ergebe. Dies begründen die Kläger mit einem Verweis auf die Rechtsprechung des BGH zur Anlageberatungshaftung, in der der BGH von einer Beweislastumkehr zulasten des Anlageberaters ausgeht. Dies sei auch auf andere Fälle der Beraterhaftung zur übertragen.

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH bestätigt ausdrücklich sein Grundsatzurteil vom 30.9.93 (IX ZR 73/93, NJW 93, 3259) zu den Voraussetzungen für den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden in Fällen der Rechtsberaterhaftung. Danach hat der Geschädigte im Zivilrecht zwar grundsätzlich den Ursachenzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden als anspruchsbegründende Voraussetzung nachzuweisen. Im Anwalts- und Steuerberatervertragsrecht gilt aber Folgendes: Bei Verstößen gegen die Beratungspflicht zugunsten des Mandanten spricht die Vermutung, dass dieser sich bei vertragsgerechtem Handeln des von ihm beauftragten rechtlichen Beraters beratungsgemäß verhalten hätte. Dieser Grundsatz kommt allerdings nur zur Anwendung, wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend informierten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre.

     

    Da diese Beweisregel jedoch auf die Typizität eines bestimmten Geschehensablaufs gründet, rechtfertigt sie keine volle Beweislastumkehr, sondern sie stellt einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises dar. Folglich kann der der Beweiserleichterung zugrunde liegende Erfahrungssatz im Einzelfall erschüttert werden, wenn die konkrete Möglichkeit eines anderen Kausalverlaufs durch den Berater dargetan und bewiesen wird. Beweist der Berater solche Tatsachen, die einen atypischen Kausalverlauf möglich erscheinen lassen, ist es dem Mandanten auch unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Risikoverteilung zumutbar, nun selbst den Beweis zu führen, wie er bei sachgerechter Aufklärung oder Beratung reagiert hätte. Eine Beweislastumkehr wie bei der Anlageberatungshaftung ist demgegenüber nicht angezeigt.

     

    Praxishinweis

    Aus dem Urteil des BGH ergibt sich Folgendes:

     

    • Für einen Anscheinsbeweis ist kein Raum, wenn nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit für den Mandanten besteht, sondern verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht kommen und alle diese Alternativen gewisse Risiken in sich bergen, die zu gewichten und den Vorteilen gegenüber abzuwägen sind.

     

    • Ist hingegen ein Sachverhalt gegeben, der bei zutreffender rechtlicher Auskunft vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters allein eine Entscheidung möglich oder sinnvoll erscheinen lässt, gilt die Vermutung, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte.

     

    Folglich ist der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden z.B. in all den Fällen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu bestimmen, in denen der rechtliche Berater gar nicht, unvollständig oder falsch über die Möglichkeiten einer Selbstanzeige nach § 371 AO oder § 378 Abs. 3 AO aufklärt oder womöglich von ihr abrät. Will der rechtliche Berater, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis eingreift, hingegen im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität die Vermutung widerlegen, dass der Mandant sich beratungsgemäß verhalten hätte, so muss er nicht das Gegenteil beweisen, sondern es reicht aus, das Gericht von der Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs zu überzeugen. Dies dürfte allerdings im Hinblick auf fehlgeschlagene Selbstanzeigen ausgesprochen schwierig sein.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 224 | ID 42849288

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