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  • · Fachbeitrag · Hinterziehungszinsen

    Beginn des Hinterziehungszinslaufs bei unterlassener Anzeige einer Schenkung

    von RD David Roth, LL.M. oec., Staatl. Rechnungsprüfungsamt Köln

    | Der BFH hat klargestellt, dass bei einer mittels unterlassener Anzeige begangenen Schenkungsteuerhinterziehung der Lauf der Hinterziehungszinsen zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem das FA bei ordnungsgemäßer Anzeige und Erklärungsabgabe die Steuer festgesetzt hätte. Der Zeitpunkt kann dabei unter Beachtung der beim FA durchschnittlich erforderlichen Zeit, um Schenkungsteuererklärungen zu bearbeiten, bestimmt werden. |

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin reichte am 25.3.10 eine Selbstanzeige beim FA ein. Darin erklärte sie die schenkweise Übertragung zweier Konten bei Schweizer Banken nach, die ihre Mutter zum Stichtag 17.4.07 bzw. 19.12.07 auf sie umgeschrieben hatte. Zudem erklärte sie die ebenfalls schenkweise Übertragung eines schweizerischen Grundstücks von ihrer Mutter am 17.7.08 nach. Im Laufe des FG-Klageverfahrens erließ das FA geänderte Zinsbescheide. Darin war ein Zinslaufbeginn für die Schenkung vom 19.12.07 (unter Beachtung der Vorschenkung vom 17.4.07) zum 20.12.08 und für die Schenkung vom 17.7.08 (unter Beachtung der Vorschenkung vom 17.4.07) zum 18.7.09 berücksichtigt. Die hiergegen gerichtete Revision der Steuerpflichtigen blieb vor dem BFH erfolglos (BFH 28.8.19, II R 7/17, Abruf-Nr. 214715).

     

    Entscheidungsgründe

    Der Lauf der Hinterziehungszinsen beginnt u. a. mit dem Eintritt der Verkürzung (§ 235 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 AO), also mit Tatvollendung. Im Fall einer Steuer, deren Festsetzung nicht kontinuierlich abschnittsbezogen nach VZ, sondern wie bei der Schenkungsteuer anlassbezogen erfolgt, kann aber nicht festgestellt werden, wann im Wesentlichen die Bearbeitung der Steuererklärungen abgeschlossen ist (BGH 25.7.11, 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298; Klein/Jäger, AO, § 376 Rn. 23a). Für den Eintritt der Steuerverkürzung ist bei der Schenkungsteuer daher der Zeitpunkt maßgebend, zu dem das FA bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der Steuererklärung die Steuer festgesetzt hätte (BGH 14.10.15, 1 StR 521/14, wistra 16, 74 zur Tabaksteuer; a. A. Krumm in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Loseblatt, 159. Lieferung, April 2020, § 370 Rn 96). Wann dies der Fall ist, ist eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Tatfrage. Der Zeitpunkt für den Beginn des Zinslaufs kann dabei unter Beachtung der beim zuständigen FA durchschnittlich erforderlichen Zeit für die Bearbeitung eingegangener Schenkungsteuererklärungen bestimmt werden.

     

    Insofern ist bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nicht auf die tatsächliche Dauer der Festsetzung der hinterzogenen Schenkungsteuer abzustellen. Dies gilt insbesondere, wenn diese durch steuerstrafrechtliche Untersuchungen oder andere hinterziehungsbedingte Umstände beeinflusst ist. Dass hier die tatsächliche Veranlagung wegen der Ermittlungsmaßnahmen zunächst zurückgestellt worden war, um die Selbstanzeige zu überprüfen, musste bei der Frage des Zinslaufs daher unberücksichtigt bleiben.

     

    Der Grundsatz „in dubio pro reo“ zwingt nicht, auf den spätesten Zeitpunkt für den Zinsbeginn abzustellen (a. A. Joecks in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, § 370, Rn. 337). Dieser Grundsatz setzt Zweifel des Richters über tatsächliche Gegebenheiten voraus. Die Unsicherheit hinsichtlich des Zeitpunkts der Vollendung der durch Unterlassen begangenen Tat betrifft aber einen fiktiven Geschehensablauf. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen setzt zwar eine vollendete Steuerhinterziehung voraus. Dies verlangt, dass die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Der Taterfolg bei einer Hinterziehung von Schenkungsteuer durch Unterlassen der Anzeige lässt sich aber nicht an einen konkreten Umstand, der auf die Tatvollendung hindeutet, anknüpfen. Somit ist die Vollendung anhand der Tatsachen des Einzelfalls zu beurteilen. Bestehen diesbezüglich keine Zweifel, ist für den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ kein Raum. Maßgebend für den Beginn des Zinslaufs ist danach der Zeitpunkt, zu dem nach Überzeugung des Tatrichters bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der Steuererklärung die Schenkungsteuer festgesetzt worden wäre.

     

    Beachten Sie | Der BGH (1. Strafsenat) hat bei der Frage, wann die Hinterziehung von Schenkungsteuer beendet ist, auf den Zeitpunkt der frühestmöglichen Bekanntgabe des Schenkungsteuerbescheids abgestellt und kam auf eine Frist von vier Monaten nach der Schenkung. Die Bearbeitungsdauer beim FA sei bei der fiktiven Steuerfestsetzung mit einem Monat anzusetzen. Es könne die Abgabe der Steuererklärung binnen eines Monats verlangen, in dem der Steuerpflichtige die Steuer selbst berechnen müsse, § 31 Abs. 1 und Abs. 7 ErbStG (BGHSt 56, 298; a. A. Krumm in: Tipke/Kruse, a .a. O., § 370 AO Rn. 96). Der BFH konnte wegen des Verböserungsverbots die Frist hier nicht so berechnen.

     

    Unerheblich ist, wer für eine verspätete Festsetzung von Steuern verantwortlich ist. Denn § 235 AO soll den steuerlichen Vorteil beim Nutznießer der Hinterziehung abschöpfen. Hinterziehungszinsen kommt damit kein Strafcharakter zu.

     

    Die konkrete Berechnung des FG, dass die Anzeigefrist beim FA gem. § 30 Abs. 1 ErbStG von drei Monaten, eine ‒ nach § 31 Abs. 1 S. 2 und Abs. 7 ErbStG mindestens vom FA zu gewährende ‒ Erklärungsfrist von einem Monat sowie die durchschnittliche Bearbeitungsdauer beim beklagten FA von acht Monaten herangezogen hatte, war nach alledem revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

     

    Relevanz für die Praxis

    Höchstrichterlich ist nun geklärt, dass der Lauf der Hinterziehungszinsen bei unterlassener Schenkungsteuer zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem das FA bei ordnungsgemäßer Anzeige und Erklärungsabgabe die Steuer durchschnittlicherweise festgesetzt hätte. Es ist nicht auf die tatsächliche Veranlagung abzustellen. Nicht klar ist aber, ob es auf die durchschnittliche Bearbeitungszeit des gesamten FA (so der BFH), der jeweiligen Schenkungssteuerstelle/-veranlagungsbezirk „ESST“ (i. d. R. gibt es im FA mehrere ESST mit mehreren Bearbeitern) oder den einzelnen zuständigen Schenkungsteuer-Sachbearbeiter ankommt. Ob die vom BGH aus § 31 Abs. 1 und 7 ErbStG abgeleitete ‒ und für den Steuerpflichtigen kürzere (fiktive) durchschnittliche Bearbeitungsdauer von nur einem Monat zugrunde zu legen ist, bleibt offen. Jedenfalls sollten die FÄ die Zinsberechnung aufgrund der strengen BGH-Berechnungsmethode vornehmen, um dies vom BFH klären zu lassen. Aufgrund eines Vorläufigkeitsvermerks in den Steuerbescheiden ist auch die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Hinterziehungszinssatzes von 0,5 Prozent pro Monat weiterhin ungeklärt.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2020 | Seite 148 | ID 46531240