· Fachbeitrag · Prozessrecht
Nachweis von Schwarzeinkäufen aufgrund von IT-Daten des Großhändlers
von RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin
| Der BFH hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein tatrichterliches Urteil hinsichtlich der Feststellung von Einzelvorgängen ausreichend begründet ist. |
Sachverhalt
Der Kläger und Beschwerdeführer (K) betrieb eine Pizzeria. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. K tätigte seine Wareneinkäufe bei einem Großhändler (G). Dieser verwendete ein Warenwirtschaftssystem, mit dem Lieferscheine bei Barverkäufen storniert werden konnten. Dies ermöglichte den Kunden Schwarzeinkäufe. Den Mitarbeitern des G war nicht bekannt, dass das Warenwirtschaftssystem die Stornierung in der Tabelle „Stornoprotokolle“ unter Angabe der entsprechenden Kundennummer dokumentierte und durch Vergabe einer übereinstimmenden Nummer eine Verknüpfung zu den ebenfalls dauerhaft gespeicherten Barbelegen herstellte.
IT-Prüfer der Steuerfahndung waren daher in der Lage, diese Daten wieder lesbar zu machen. Bei einer Betriebsprüfung ging der Prüfer davon aus, dass K auch diejenigen Warenlieferungen bestellt und erhalten hatte, deren Lieferscheine G storniert hatte. Weiter nahm der Prüfer an, K habe den nicht gebuchten Wareneinkauf verwendet, um nicht gebuchte Erlöse zu erzielen. Er setzte für die Streitjahre entsprechende Hinzuschätzungen zu den Betriebseinnahmen und den Umsätzen unter Anwendung eines Rohgewinnaufschlagssatzes von 250 Prozent an, was noch unter dem Mittelwert der Richtsatzspanne lag. Die zusätzlichen Wareneinkäufe wurden als Betriebsausgabe berücksichtigt; einen Vorsteuerabzug hierfür gewährte der Prüfer mangels Vorlage ordnungsgemäßer Rechnungen nicht. Klagen gegen geänderte Steuerbescheide blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Der BFH verwarf eine Nichtzulassungsbeschwerde des K (BFH 27.8.19, X B 160/18, Abruf-Nr. 212252, u. a.). Dieser habe nicht die geltend gemachten Zulassungsgründe gem. den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 S. 3 FGO) dargelegt.
MERKE | In Verfahren vor dem BFH geht es nicht um die materielle Wahrheit oder Richtigkeit einer Entscheidung des FG. Wer sich nicht auf eine ‒ in ihren Ergebnissen vor allem für einen Laien kaum verlässlich vorhersagbare ‒ „Revisions-Lotterie“ einlassen will, sollte erstinstanzlich zufriedenstellende Ergebnisse anstreben. Denn das FG wird i. d. R. die Revision nicht zulassen. |
Ungehört bleibt ein Beschwerdeführer im Zulassungsverfahren mit dem Hinweis, das FG habe seinen Sachverhaltsvortrag außer Acht gelassen. Darin liegt nicht die Rüge eines Verfahrensmangels, sondern es wird eine ‒ vermeintlich ‒ fehlerhafte Tatsachenwürdigung gerügt. Damit kann die Zulassung der Revision jedoch nicht erreicht werden (BFH 19.1.11, X B 68/10, BFH/NV 11, 818).
Aussichtsreicher mag da eine Rüge sein, das Gericht habe gegen den klaren Akteninhalt verstoßen. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO ist einschlägig, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unbeachtet gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (BFH 8.5.17, X B 78/16, BFH/NV 17, 1061).
Hingegen wird kein Verfahrensmangel, sondern ein nicht zur Revisionszulassung führender materiell-rechtlicher Fehler geltend gemacht, wenn gerügt wird, das FG habe eine unzutreffende Sachverhalts- oder Beweiswürdigung vorgenommen oder bestimmte Vorgänge in rechtlicher Hinsicht abweichend gewürdigt (BFH 30.8.17, II R 48/15, BFHE 259, 127).
Will der Betroffene rügen, dass die Sachaufklärungspflicht verletzt wurde, weil z. B. Beweise nicht erhoben wurden, muss die Beschwerdebegründung folgende Anforderungen einhalten (vgl. BFH 31.7.90, I R 173/83, BFHE 162, 236):
- die ermittlungsbedürftigen Tatsachen (Beweisthemen),
- die angebotenen Beweismittel,
- die genauen Fundstellen (Schriftsatz oder Terminprotokoll), in denen die Beweismittel benannt worden sind, die das FG nicht erhoben hat,
- das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme,
- inwieweit das Urteil des FG aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann.
Relevanz für die Praxis
Allgemein ist für „Auslese-Fälle“ Folgendes in den Blick zu nehmen: Der Steuerpflichtige kann in Fällen, in denen es der Steuerfahndung möglich ist, aus Daten eines Lieferanten in erheblichem Umfang detaillierte Unterlagen zu nicht gebuchten Warenlieferungen zu rekonstruieren, in die Situation kommen, faktisch gezwungen zu sein, einen ‒ denklogisch niemals lückenlosen Negativbeweis zu führen. Das FG muss diesen Umstand bei seiner Entscheidung beachten, welche Anforderungen es im Einzelfall an das erforderliche Beweismaß stellt.
Wenn das FG für seine Überzeugung, der Steuerpflichtige habe Schwarzeinkäufe getätigt, zahlreiche individuell auf den Betrieb des Steuerpflichtigen bezogene Umstände anführen kann, ist es nach Ansicht des BFH i. d. R. nicht zu beanstanden, wenn es vom Steuerpflichtigen verlangt, sein schlichtes Bestreiten näher zu substanziieren. Anders als im Strafverfahren hilft Schweigen also nicht zwingend. Eine genaue Substanziierung der Schwarzeinkäufe, von denen das FG überzeugt war, soll nicht immer erforderlich sein (etwa Zeitpunkt der Bestellung, Benennung einzelner Verkaufsmitarbeiter des Lieferanten, Zeitpunkt der Lieferung, empfangende Person, Zeitpunkt der Bezahlung, zahlungsempfangende Person, Zahlungsweg).
Wenn das FG die Überzeugung gewinnt, der Steuerpflichtige habe im Zusammenwirken mit seinem Lieferanten Schwarzeinkäufe getätigt, bei denen die Barverkaufsbelege vernichtet und die Lieferscheine storniert worden sind, um die entsprechenden Vorgänge bewusst und möglichst vollständig zu verschleiern, lässt sich naturgemäß nicht alles rekonstruieren. Es soll ‒ so der BFH ‒ genügen, wenn das FG anhand der Nachweise, die die Steuerfahndung vorgelegt hat, die nicht gebuchten Wareneinkäufe individualisieren kann.