· Fachbeitrag · Schwarzlohn
Schätzung: So wird der Schuldumfang bestimmt
von RA Philipp Külz, FA StR, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA), und RAin Annika Hecker, LL.M., RSM Ebner Stolz, Köln
| Mit Beschluss vom 13.6.23 hat der BGH erneut betont, dass auch im Rahmen des § 266a StGB der Schuldumfang im Wege der Schätzung bestimmt werden kann, wobei die Grundsätze gelten, die die Rechtsprechung bei Steuerhinterziehungen für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat. |
Sachverhalt
Der Angeklagte A beschäftigte von Juli 15 bis Dezember 17 viele nicht näher individualisierte Arbeitnehmer als Eisenflechter im (Trocken-)Baubereich. Deren Lohn zahlte er „schwarz“ aus und führte dafür weder Sozialabgaben noch Lohnsteuer ab. Um die ‒ im Einzelnen nicht feststellbaren ‒ Schwarzlohnzahlungen zu verschleiern, kaufte er von (nur formal verschiedenen) „Servicegesellschaften“ an sein Einzelunternehmen gerichtete Rechnungen für Subunternehmerleistungen, die tatsächlich nicht erfolgten. Nachdem A die Rechnungen beglichen hatte, zahlten die „Servicegesellschaften“ die Beträge abzüglich einer Provision in bar an A zurück. Das LG hat den A wegen mehrfacher Lohnsteuerhinterziehung sowie Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von über zwei Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. v. ca. 1,5 Mio. EUR angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision war nur hinsichtlich der Einziehungsentscheidung erfolgreich. Im Übrigen wurde sie verworfen, da das Urteil des LG auf den in der BGH-Entscheidung festgestellten Rechtsfehlern nicht beruhte.
Entscheidungsgründe
Während der Schuldspruch sachlich-rechtlicher Überprüfung standhält, weist der Strafausspruch Rechtsfehler auf, durch die A jedoch nicht beschwert ist, § 337 Abs. 1 StPO (BGH 13.6.23, 1 StR 126/23, Abruf-Nr. 236201).
Die Höhe des Beitragsschadens i. S. d. § 266a Abs. 1, Abs. 2 StGB bestimmt sich nach den geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen, deren Berechnung an das (nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben) zu ermittelnde Bruttoentgelt anknüpft. Daher muss das Tatgericht die Beiträge für die Fälligkeitszeitpunkte gesondert nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkassen feststellen und deren Höhe auf Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der (jeweiligen) Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung berechnen.
Der Schuldumfang kann im Wege der Schätzung bestimmt werden, wenn keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter sowie die „schwarz“ beschäftigten Arbeitnehmer vorliegen, nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten aber feststeht. Insoweit gelten auch hier die für Taten nach § 370 AO entwickelten Grundsätze, um die Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern darzulegen.
Die Schätzung steht insbesondere unter dem Gebot, dass sich unüberwindbare Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken müssen. Erforderlichenfalls muss der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen. Auch bei der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist der Zweifelssatz zu beachten.
Da es sich hier fast nur um Lohnarbeiten handelte, durfte das LG die Höhe der als Nettolöhne (§ 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV) gezahlten „Schwarzlöhne“ mit 90 Prozent der festgestellten Scheinrechnungssummen veranschlagen. Da vollumfänglich illegale Beschäftigungsverhältnisse vorliegen, konnte die Hochrechnung auf das Bruttoarbeitsentgelt anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI erfolgen, wobei sich eine tabellarische Auflistung der geschuldeten Beiträge ‒ für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert ‒ nach den jeweiligen Beitragssätzen (Krankenkasse, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung) empfiehlt. Entgegen des Zweifelsgrundsatzes hat das LG jedoch die Beitragsanteile zur gesetzlichen Pflegeversicherung für alle Arbeitnehmer unter Hinzurechnung des Beitragszuschlags für Kinderlose (§§ 55, 58 SGB XI) ermittelt. Anhaltspunkte dafür, dass sämtliche der nicht individualisierten Arbeitnehmer kinderlos wären und das 23. Lebensjahr vollendet hätten, waren nicht ersichtlich. Daher müssen personenbezogene Beitragszuschläge (wie auch die Kirchensteuer) bei nicht bekannten Arbeitnehmern zugunsten des A stets außer Ansatz bleiben. Diese rechtsfehlerhafte Berechnung ließ den Schuldumfang aufgrund des geringfügigen Wertes hier jedoch unberührt.
Das LG ist auch rechtsfehlerhaft von Lohnsteuerhinterziehungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AO) in nur sechs Fällen ausgegangen. Da die Betragsgrenzen des § 41a Abs. 2 S. 2 EStG überschritten waren, hätte A durchgehend monatlich Lohnsteueranmeldungen abgeben müssen. Da jede einzelne Nichtabgabe eine eigenständige Steuerhinterziehung darstellt, hätte das LG die Besteuerungsgrundlagen für die jeweiligen monatlichen Anmeldezeiträume ermitteln und die verkürzte Lohnsteuer berechnen müssen. Die fehlerhafte Zusammenfassung der dreißig Einzeltaten wirkt sich aber nicht nachteilig für A aus, insbesondere weil das LG für keinen der Fälle die Strafe dem Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO ‒ z. B. wegen einer Steuerverkürzung in großem Ausmaß ‒ entnommen hat.
Rechtsfehlerfrei durfte das LG das (sich aus den Feststellungen) selbst erklärende „kollusive Zusammenwirken“ des A mit den „schwarz“ bezahlten Arbeitnehmern zulasten der Solidargemeinschaft strafschärfend berücksichtigen.
Die Einziehungsanordnung war aufzuheben, da der Einziehungsbetrag ‒ anders als der im Rahmen der Strafzumessung erforderliche (Mindest-)Schuldumfang ‒ exakt nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei bestimmt sein muss. Hierfür sind die Berechnungsgrundlagen und der Rechenweg verständlich darzulegen, sodass eine Nachprüfung ohne Weiteres möglich ist.
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung zeigt, wie schwierig es für die Gerichte ist, den Schaden zutreffend festzustellen. Oft bietet diese Thematik einen lohnenden Verteidigungsansatz, der bereits im Ermittlungsverfahren das Verfahren erledigen kann. Frühzeitige Hinweise auf die Vorgaben des BGH können die behördliche „Einigungsbereitschaft“ häufig erheblich steigern.