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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuerhinterziehung

    Das Geschäftskonzept war Steuerhinterziehung in Millionenhöhe

    von Oberstaatsanwalt Dr. Jost Schützeberg, Köln

    | Der BGH hatte über einen Fall aus dem europaweit durchgeführten Onlinehandel zu entscheiden, der dazu genutzt wurde, Umsatzsteuer in Millionenhöhe zu hinterziehen. |

     

    Sachverhalt

    Der Angeklagte (A) war Geschäftsführer und Gesellschafter der im Oktober 2012 gegründeten T-GmbH, die mit einem chinesischen Konzern verbunden war, der einen weltweiten Onlinehandel betrieb. Geschäftsgegenstand der T-GmbH war insbesondere der Im- und Export von Computerzubehör sowie der Haushalts- und Unterhaltungselektronik. Diese Waren importierte die Gesellschaft in erster Linie von anderen Unternehmen des Konzerns aus China und lagerte sie in Hamburg ein. Anschließend wurden die Waren auf Rechnung der T-GmbH über das Internet ‒ vor allem über Amazon und eBay ‒ an private Endabnehmer im In- und Ausland verkauft und von Fremdfirmen versandt.

     

    Das LG stellte fest, das Geschäftskonzept der T-GmbH sei spätestens Ende 2013 auf Steuerhinterziehung ausgerichtet gewesen. Dies sollte durch 15 eBay-Accounts gelingen, über die die T-GmbH die Waren veräußerte, wobei nur die Umsätze eines Accounts besteuert werden sollten. Anfang 2015 wurde A zwar als formeller Geschäftsführer abberufen, er führte die Geschäfte jedoch über eine schriftliche Generalvollmacht faktisch weiter. Insbesondere kümmerte er sich um die steuerlichen Belange und korrespondierte mit einem gutgläubigen Steuerberatungsbüro, über das er für die GmbH die USt-Jahreserklärung 2014 und die USt-Voranmeldungen I/2015 sowie April 2015 bis August 2016 abgab. Darin erklärte er nur die über einen Account erzielten Umsätze, nicht dagegen die Umsätze i. H. v. über 45 Mio. EUR, die über die übrigen 14 Accounts erzielt wurden. Bei drei USt-Voranmeldungen ergaben sich Steuervergütungen. Falls die Verkäufe an private Endabnehmer in anderen EU-Mitgliedstaaten der USt unterfielen, wurde weder die Registrierung im Bestimmungsland beantragt noch ‒ soweit die Lieferschwellen überschritten waren ‒ die erforderlichen USt-Erklärungen abgegeben und die geschuldete USt entrichtet.

     

    Zur Verdeckung der tatsächlichen Umsätze wurden die Verkäufe über die 14 weiteren Accounts buchhalterisch nicht erfasst. Dies betraf auch die Einkaufsrechnungen und die diese Waren betreffende Einfuhrumsatzsteuer.

     

    Das LG verurteilte A zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten und ordnete gegen die T-GmbH eine Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. v. ca. 4,4 Mio. EUR an, wobei es bei der Berechnung des Verkürzungsbetrags zugunsten des A angenommen hatte, dass alle Lieferungen in den EU-Staat mit dem niedrigsten Steuersatz erfolgt seien, also Luxemburg mit einem USt-Regelsatz von 17 %. Die Revisionen des A, der StA und der T-GmbH als Einziehungsbeteiligte waren wegen der Verletzung materiellen Rechts jeweils überwiegend erfolgreich (BGH 14.10.20, 1 StR 213/19 Abruf-Nr. 221099).

     

    Entscheidungsgründe

    Die Steuerbarkeit der Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG wurde nicht hinreichend festgestellt, was jedoch Voraussetzung für eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist (vgl. nur BGH 9.7.20, 1 StR 567/19). Das LG hat offengelassen, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt die Waren in die jeweiligen Bestimmungsstaaten versandt wurden. Damit kann der Senat nicht beurteilen, ob und in welcher Höhe die verfahrensgegenständlichen Umsätze in Deutschland steuerbar und von A anzumelden waren. Zudem hätte das LG nähere Feststellungen zu den Bestimmungsstaaten der Versandlieferungen, jedenfalls aber zu einem Mindestumfang der in Deutschland erwirtschafteten Umsätze, hilfsweise zu einer möglichen Überschreitung der Lieferschwellen nach § 3c Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 2 UStG a. F. treffen müssen. Sollten die vorgenannten Lieferschwellen überschritten worden sein, wären die Umsätze in einem anderen EU-Mitgliedstaat steuerbar gewesen, sodass sie gegenüber den dort zuständigen Behörden nach dort geltendem Umsatzsteuerrecht zu erklären gewesen wären.

     

    Gegenstand der hier angeklagten Tat im prozessualen Sinn (§ 264 Abs. 1 StPO) war jedoch alleine die Abgabe unrichtiger USt-Erklärungen gegenüber dem deutschen FA. Soweit es A nach § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 S. 2, Abs. 7 AO unterlassen hat, in einem anderen Mitgliedstaat eine USt-Erklärung abzugeben, wäre dies ein weiterer Gesetzesverstoß, der wegen des unterschiedlichen Erklärungsadressaten jedoch nicht von dem vorliegenden Verfahrensgegenstand umfasst ist (vgl. BGH 9.12.15, 1 StR 256/15, PStR 17, 54).

     

    Darüber hinaus hat das LG den Schuldumfang des A rechtsfehlerhaft bestimmt, da es nach § 15 Abs. 1 UStG abzugsfähige Vorsteuern nicht berücksichtigt hat und es letztlich auch nicht auszuschließen ist, dass insoweit gar keine Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 1, 4 AO eingetreten ist. Laut Buchhaltung der T-GmbH machte diese im Jahr 15 von der für Einfuhren aus China gezahlten Einfuhrumsatzsteuer von insgesamt 830.000 EUR nur ca. 460.000 EUR an Vorsteuern geltend. Die Differenz wäre jedoch im Rahmen der Berechnung der Steuerverkürzung abzuziehen, vgl. § 16 Abs. 2 UStG. Das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO steht dem nach neuerer BGH-Rechtsprechung nicht entgegen, da zwischen Eingangs- und Ausgangsumsätzen ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang besteht (BGH 13.9.18, 1 StR 642/17, PStR 19, 4).

     

    Zwar ist das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn der Steuerpflichtige unmittelbar selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (vgl. schon EuGH 6.7.06 [Kittel und Recolta Recycling], PStR 07, 221). Diese Voraussetzungen lagen nach dem festgestellten Sachverhalt jedoch nicht vor.

     

    Auch war die durch das LG vorgenommene Schätzung hinsichtlich des Umfangs der Steuerverkürzung und der Höhe des Wertes von Taterträgen rechtsfehlerhaft, da sie den getroffenen Feststellungen widersprach. Während die Kammer einerseits davon ausging, dass die Lieferungen der T-GmbH auch nach Deutschland erfolgten, unterstellte sie im Rahmen der Schätzung andererseits zugunsten des A, die T-GmbH habe sämtliche Waren nach Luxemburg, in das Land mit dem niedrigsten USt-Satz, geliefert. Träfe dies jedoch zu, würde es schon an einem in Deutschland strafbaren Verhalten des A fehlen, da der Leistungsort wegen Überschreitens der Lieferschwelle in Luxemburg und nicht in Deutschland gelegen hätte, § 3c Abs. 1, 3 UStG a. F. In diesem Fall würde es an unrichtigen Angaben i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO fehlen, da die Umsätze in Luxemburg anzumelden gewesen wären.

     

    Soweit die StA die Revision mit der Nichtanordnung einer Einziehung gegen A begründet hat, war die Revision erfolglos. Die wirtschaftlichen Vorteile der ersparten USt flossen alleine der T-GmbH zu, § 73 Abs. 1 Alt. 1, § 73c S. 1 StGB. Zwar bezog A Gehalt als Geschäftsführer, ihm war jedoch nicht nachzuweisen, dass er dies „für“ die begangenen Steuerhinterziehungen erhielt , § 73 Abs. 1 Alt. 2, § 73c StGB. Soweit die StA begehrte, den Haftungsanspruch der Finanzverwaltung gegen A nach § 71 AO als Abschöpfungsgegenstand heranzuziehen, blieb auch dies erfolglos, da dieser erst durch eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde ergeht (§ 191 AO) und daher keinen unmittelbar durch die Steuerhinterziehung erlangten Vermögenswert darstellt. Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass A über einen dem Haftungsbetrag entsprechenden Vermögenszuwachs verfügte.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der Senat legt die EuGH-Rechtsprechung zur missbräuchlichen Geltendmachung des Vorsteuerabzugs dahingehend aus, dass die von A begangene Steuerhinterziehung alleine nicht „vorsteuerschädlich“ ist. Die Tathandlung, aus der sich seine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung ergibt, war nicht die Geltendmachung unberechtigter Vorsteuerabzüge gegenüber den Finanzbehörden, sondern das Verschweigen steuerpflichtiger Ausgangsumsätze. Alleine dieser Umstand, dass für ein nicht in ein betrügerisches System eingebundenes Unternehmen Ausgangsumsätze nicht angemeldet werden, begründet nach dem Senat jedoch kein missbräuchliches Verhalten. Diese Auslegung korrespondiert mit dem Wortlaut des zum 1.1.20 eingeführten § 25f UStG, der die EuGH-Rechtsprechung in nationales Recht umsetzen soll. Danach führt die eigene Steuerhinterziehung nicht dazu, dass der Vorsteuerabzug versagt wird (entgegen: EuGH 1.7.21 C-521/19, Tribunal Economico Administrativo Regional de Galicia, DStR 21, 1700).

     

    Der Senat gibt dem LG schließlich Hinweise an die Hand, wie der Mindestumfang der Umsätze in Deutschland bestimmt werden kann. Zulässige Rückschlüsse lassen sich etwa ziehen aus der Kennung „.de“ bei den E-Mail-Adressen der jeweiligen Käufer, erhaltenen Fremdwährungen oder aus älteren Geschäftsunterlagen. Dies ist für die Frage der Steuerbarkeit der Umsätze in Deutschland sowie den Umfang der Steuerverkürzung sehr relevant.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Wild, Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortet: Zum Entfallen der Vorsteuerabzugsberechtigung, PStR 20, 119
    Quelle: Ausgabe 01 / 2025 | Seite 4 | ID 47279721