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  • · Fachbeitrag · Vermögensarrest

    Vermögensarrest in Steuerstrafsachen

    von RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin

    | In zeitlicher Hinsicht ist der Vermögensarrest allein am allgemeinen Übermaßverbot zu messen. Eine Vorschrift zu zeitlichen Grenzen seines Vollzugs gibt es nicht mehr. Das hat das OLG Hamm klargestellt. |

     

    Sachverhalt

    Gegen den Beschwerdeführer (B) wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt. Er betreibt seit 2012 einen Imbiss. Ihm wird vorgeworfen, zwischen 2015 und 2018 Waren „schwarz“ gegen anonymisierte Barverkaufsrechnungen eingekauft und die aus den Einkäufen generierten Mehrumsätze nicht versteuert zu haben. Das AG hat am 16.10.20 einen Vermögensarrest i. H. v. mehr als 500.000 EUR angeordnet, um die Vollstreckung des staatlichen Anspruchs auf Einziehung des Wertes von Taterträgen zu sichern. Infolge der Coronapandemie wurden zunächst weder vorgesehene Durchsuchungen durchgeführt noch der Arrestbeschluss zugestellt und vollzogen. Dies geschah erst im August 2021. Das LG hat am 28.12.21 den Arrestbeschluss aufgehoben, soweit darin ein Vermögensarrest i. H. v. mehr als 157.013,83 EUR angeordnet war.

     

    Entscheidungsgründe

    Die weitere Beschwerde (§ 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO) blieb erfolglos (OLG Hamm 23.6.22, 5 WS 94/22, Abruf-Nr. 232144). Nach Ansicht des OLG besteht ein Anfangsverdacht dafür, dass der B sich der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO schuldig gemacht hat. In Höhe der ersparten Aufwendungen ‒ und damit jedenfalls in der noch angeordneten Höhe ‒ bestehen Gründe für die Annahme, dass die Einziehung des Wertes des Erlangten gem. § 73 StGB angeordnet werden wird.

     

    MERKE | Gem. § 111e Abs. 1 StPO kann der Vermögensarrest in das Vermögen eines Beschuldigten angeordnet werden, um die Vollstreckung zu sichern. Es muss die Annahme begründet sein, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen. Dies setzt voraus, dass ein Anfangsverdacht dafür besteht, dass eine Straftat begangen wurde. Gründe für die Annahme bestehen, dass in einem späteren Verfahren die Einziehung angeordnet wird, ein Sicherungsbedürfnis gegeben und die Anordnung des Arrestes verhältnismäßig ist.

     

    Relevanz für die Praxis

    Neben steuerrechtlichen Details wird in der Praxis oft darüber gestritten, ob das gem. § 111e Abs. 1 StPO erforderliche Sicherungsbedürfnis vorliegt. Dogmatisch wird insoweit diskutiert, ob ein Vermögensarrest erforderlich ist, wenn dem Beschuldigten ‒ wie hier ‒ eine vermögensbezogene Straftat vorgeworfen wird (so z. B. OLG Rostock 19.12.13, Ws 320/13), oder ob weitere Umstände erforderlich sind, etwa dass der Täter seine Vermögensverhältnisse verschleiert, Vermögenswerte versteckt oder seine gesamte Lebensführung darauf gerichtet ist, durch manipulatives Verhalten sein Vermögen zu verschleiern oder zu verschieben (so OLG Schleswig 25.10.18, 2 Ws 271/18, PStR 19, 113, ff.).

     

    MERKE | Die Anordnung eines Vermögensarrests ist jedenfalls erforderlich, um die künftige Vollstreckung zu sichern, wenn zu besorgen ist, dass eine Verschlechterung der Vermögenslage droht (OLG Hamm 4.6.20, III, 4 Ws 97/20) oder die künftige Vollstreckung oder Anordnung eines Arrestes vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Diese Besorgnis kann sich aus der Person des Beschuldigten, dem Vor- und Nachtatverhalten, seinen Lebensumständen sowie der Art und Weise der Tatbegehung ergeben (Huber, in: BeckOK, StPO, § 111e Rn. 9).

     

    Gestritten wird ferner darüber, ob der Vollzug des angeordneten Arrests auch verhältnismäßig ist. Neben der Schwere des Tatvorwurfs sowie des Verdachtsgrads sind die zeitliche Dauer der Arrestierungsmaßnahme sowie die damit für den Einziehungsadressaten verbundenen Belastungen zu berücksichtigen.

     

    MERKE | Starre zeitliche Regeln gibt es insoweit nicht (mehr). Vielmehr ist der Vermögensarrest allein an dem allgemeinen Übermaßverbot zu messen. Dabei ist von Verfassungs wegen zu beachten, dass dem Betroffenen auch durch eine vorläufige Maßnahme ein erheblicher Nachteil zugefügt werden kann und der Eigentumseingriff sich mit dem Umfang und der Dauer der Maßnahme intensiviert.

     

    Es hat de facto zu einem „Fristen-Lotto“ in der Praxis geführt, dass klare Regelungen in der StPO gestrichen wurden. So hat etwa kürzlich das BVerfG in einem Verfahren des Unterzeichners betreffend einen Arrest aus 2014 (bei zwischenzeitlicher Aufhebung der Verurteilung des Mandanten [§ 263 StGB] aus 2016 durch den BGH in 2018 und ohne dass es seither eine Neuterminierung gibt) nach 2½-jähriger Liegezeit am BVerfG mit einem Zweizeiler reagiert (nachdem das OLG die Arrestbeschwerde im Nachgang zu der Entscheidung des BGH verworfen hatte): „Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.“ Stillstand oder Kapitulation der Rechtspflege?

     

    Abschließend ein Hinweis auf eine weitere verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit, die in Praxis allerdings immer wieder aus dem Blick verloren zu werden scheint: „Der Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 GG wird bei der Arrestanordnung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens gesichert. Um das Eigentumsrecht zu gewährleisten, sieht das einfache Recht einen Richtervorbehalt vor (…). Nicht nur die entsprechenden Normen des Prozessrechts, sondern auch der Schutz des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG verlangen vom Ermittlungsrichter und dem Rechtsmittelgericht, dass sie die tatsächlichen Grundlagen einer Arrestanordnung selbst ermitteln und ihre rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnen und begründen. Die Gerichte sind nicht an die im Verfahren der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen gebunden. Vielmehr müssen sie ihre eigene richterliche Prüfung der Voraussetzungen des Eingriffs und die umfassende Abwägung, um die Angemessenheit festzustellen, mit auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen darlegen.

     

    Schematische Anordnungen oder formelhafte Bemerkungen in den Beschlussgründen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Sie lassen vielmehr den Schluss zu, dass der Richter die ihm obliegende Leistung eigenständiger Ermittlung, Prüfung und Bewertung nicht erbracht hat (BVerfG 3.5.05, 2 BvR 1378/04).

    Quelle: Ausgabe 09 / 2023 | Seite 199 | ID 48712687