29.01.2008 | Arbeitsrecht
Verfahren vor dem Integrationsamt
Soll einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gekündigt werden, muss der Arbeitgeber zunächst die Zustimmung des Integrationsamts einholen, §§ 85 ff. SGB IX. Bei der Abrechnung dieser Verfahren ergeben sich oft Fragen zu Streitwert und Gebühren. Dazu im Einzelnen:
Umfang der Angelegenheit
Wird der Anwalt vom Auftraggeber sowohl mit dessen Vertretung vor dem Integrationsamt als auch dem Ausspruch der Kündigung bzw. deren Abwehr beauftragt, liegen zwei verschiedene Angelegenheiten i.S.d. § 15 RVG vor. Bei der einen (Zustimmungsverfahren) handelt es sich um eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit, bei der anderen (Kündigung bzw. deren Abwehr) um eine arbeitsgerichtliche Angelegenheit.
Gegenstandswerte
Soweit der Anwalt hinsichtlich einer Kündigung tätig wird, gilt § 42 Abs. 4 S. 1 GKG. Streitwert ist höchstens ein Vierteljahres-Arbeitsentgelt. Für Streitigkeiten nach dem Schwerbehindertengesetz gilt § 52 Abs. 1 GKG, der durch den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (z.z. i.d.F. v. 7./8.7.04, abgedruckt RVG prof. 05, 88, 106 und 142) konkretisiert wird. Gemäß dessen Nr. 38 greift der Auffangwert von 5.000 EUR nach § 52 Abs. 2 GKG. In beiden Fällen gelten die Werte gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 RVG auch für die außergerichtliche Vertretung, wozu auch das Verfahren vor dem Integrationsamt gehört (s. Überschrift zu Teil 2 VV RVG).
Gebühren bei außergerichtlicher Vertretung
Da es sich beim Verfahren vor dem Integrationsamt und der Tätigkeit im Hinblick auf den Ausspruch oder die Abwehr einer Kündigung um verschiedene Angelegenheiten handelt, erhält der Anwalt in jeder Angelegenheit eine gesonderte Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (Mittelgebühr 1,5). Das Verfahren vor dem Integrationsamt ist kein Fall der Nr. 2301 VV RVG. Eine Terminsgebühr kann in diesem Verfahren nicht entstehen, da es sich um eine außergerichtliche Tätigkeit handelt und dort Terminsgebühren nicht vorgesehen sind. Eine eventuelle Terminswahrnehmung kann nur im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG berücksichtigt werden. Hinzu kommen kann im Verfahren vor dem Integrationsamt jedoch eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG, wenn der Anwalt an einer Erledigung mitwirkt und in der arbeitsrechtlichen Angelegenheit eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG, wenn er an einer Einigung mitwirkt.
Beispiel: Vertretung vor Integrationsamt und anschließende Kündigung mit Einigung | ||||||||||||||||||||||
Arbeitgeber A des schwerbehinderten Mandanten M möchte diesem kündigen und beauftragt seinen Rechtsanwalt R, vor dem Integrationsamt die Zustimmung hierzu einzuholen. Die Genehmigung wird erteilt. Hiernach erhält R den Auftrag, M zu kündigen (Monatseinkommen 2.000 EUR). Anschließend kommt es zu einer Einigung mit M. Im Beispiel werden Mittelgebühren angesetzt.
Lösung: R kann folgende Gebühren abrechnen:
I. Verfahren vor dem Integrationsamt, Wert: 5.000 EUR
II. Außergerichtliche Vertretung betreffend die Kündigung, Wert: 6.000 EUR
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Im Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt kann der Anwalt die Geschäftsgebühr zudem ein zweites Mal verdienen, wenn er zudem im Widerspruchsverfahren tätig wird. Das Verwaltungs- und ein anschließendes Widerspruchsverfahren sind zwei verschiedene Angelegenheiten, § 17 Nr. 1 RVG. Für das Verwaltungsverfahren fällt die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG und für das Widerspruchsverfahren die nach Nr. 2301 VV RVG (Mittelgebühr 0,9) an. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühren untereinander erfolgt nicht.
Abwandlung 1: Vertretung vor Integrationsamt, Widerspruchsverfahren, Kündigung, Einigung | ||||||||||
Wie im Beispiel; die Zustimmung war jedoch erst im Widerspruchsverfahren erteilt worden.
Lösung: R kann folgende Gebühren abrechnen:
I. Verfahren vor dem Integrationsamt Vertretung im Verwaltungsverfahren, Wert: 5.000 EUR, wie im Beispiel. Vertretung im Widerspruchsverfahren, Wert: 5.000 EUR
II. Außergerichtliche Vertretung betreffend die Kündigung, Wert: 6.000 EUR, wie im Beispiel. |
Abwandlung 2: Wie Abwandlung 1, aber Erledigung, Kündigung mit Einigung | ||||||||||||
Wie Abwandlung 1; die Zustimmung wird im Widerspruchsverfahren aufgrund einer Mitwirkung des R i.S. der Nr. 1002 VV RVG erteilt.
Lösung: R kann folgende Gebühren abrechnen:
I. Verfahren vor dem Integrationsamt Vertretung im Verwaltungsverfahren, Wert: 5.000 EUR, wie im Beispiel. Vertretung im Widerspruchsverfahren, Wert: 5.000 EUR
III. Die Gebühren bei anschließender gerichtlicher Vertretung: Möglich ist, dass es wegen der beantragten Zustimmung noch zu einem gerichtlichen Verfahren vor dem VG kommt. Der Anwalt erhält dann noch die Gebühren der Nrn. 3100 ff. VV RVG, wobei die vorangegangene Geschäftsgebühr hälftig, höchstens mit 0,75 anzurechnen ist (Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG). |
Abwandlung 3: Wie im Beispiel, nach Widerspruchsverfahren Anfechtungsklage | ||||||||||||||||||||||||
Im Verfahren vor dem Integrationsamt wird die Zustimmung erteilt. Das Widerspruchsverfahren bleibt erfolglos, sodass M vor dem Verwaltungsgericht Anfechtungsklage gegen die Zustimmung erhebt.
Lösung: R kann folgende Gebühren abrechnen:
I. Vertretung im Verwaltungsverfahren, Wert: 5.000 EUR,wie Beispiel 1. II. Vertretung im Widerspruchsverfahren, Wert: 5.000 EUR, wie Abwandlung 1. III. Vertretung im Verfahren vor dem VG, Wert: 5.000 EUR
Ebenso ist es möglich, dass es betreffend der Kündigung noch zu einem gerichtlichen Kündigungsschutzverfahren vor dem ArbG kommt. Der Anwalt erhält dann im Verfahren vor dem ArbG die Gebühren der Nrn. 3100 ff. VV RVG, wobei auch hier die vorangegangene Geschäftsgebühr hälftig, höchstens mit 0,75 anzurechnen ist (Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG). |
Abwandlung 4: Vertretung vor Integrationsamt, Kündigung und Kündigungsschutzprozess | ||||||||||||||||||||||||||||||||||
Im Verfahren vor dem Integrationsamt wird die Zustimmung erteilt. Gegen die daraufhin ausgesprochene Kündigung wehrt sich der Arbeitnehmer zunächst außergerichtlich und erhebt anschließend Kündigungsschutzklage vor dem ArbG. Lösung: R kann folgende Gebühren abrechnen:
I. Vertretung im Verwaltungsverfahren, Wert: 5.000 EUR, wie Beispiel 1. II. Außergerichtliche Vertretung betreffend die Kündigung, Wert: 6.000 EUR
III. Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht, Wert: 6.000 EUR
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