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  • 22.12.2010 | Besondere Beratungstätigkeiten

    Prüfung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels

    von RiLG Dr. Julia Bettina Onderka, Bonn

    Prüft der Anwalt für seinen Mandanten die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels, wird häufig übersehen, dass hierfür eigene Gebühren nach Nr. 2100 VV RVG anfallen können. Der folgende Beitrag hilft Ihnen, in diesem Bereich keine Gebühren zu verschenken.  

    1. Prüfungsauftrag

    Es muss zunächst ein gesonderter Auftrag zur Prüfung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels erteilt werden. War der Anwalt - was in der Praxis den Regelfall darstellt - bereits in der ersten Instanz als Prozessbevollmächtigter beauftragt, so gehört nach § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 RVG die Empfangnahme der Entscheidung und ihre Mitteilung an den Auftraggeber noch zur Instanz und ist mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten. Die Prüfung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels ist dagegen von der erstinstanzlichen Verfahrensgebühr nicht umfasst.  

     

    Es reicht also z.B. nicht aus, dass der Anwalt dem Mandanten die gerichtliche Entscheidung übersendet und dabei unaufgefordert Ausführungen über eine mögliche Berufung, Revision o.Ä. macht. Er muss vorher mit dem Mandanten klären - und möglichst auch dokumentieren - dass er konkret damit beauftragt wurde, die Erfolgsaussichten des konkreten Rechtsmittels zu überprüfen. Eine solche Dokumentation kann beispielsweise auch im Begleitschreiben der Übersendung erfolgen.  

     

    Musterformulierung: Beauftragungsbestätigung

    In Sachen ... übersende ich Ihnen anliegend das Urteil des LG Bonn vom ... mit dem das Gericht unserer Klage lediglich in Höhe von 25.000 EUR stattgegeben hat. Wie bereits telefonisch besprochen, werde ich zunächst auftragsgemäß die Erfolgsaussicht einer Berufung gegen das Urteil prüfen.  

     

    2. Noch kein Rechtsmittelauftrag

    Die Prüfungstätigkeit wird allerdings nur nach Nr. 2100 VV RVG vergütet, wenn der Anwalt noch keinen Verfahrensauftrag für das Rechtsmittelverfahren hat. Ist dies bereits der Fall, so gehört die Prüfung der Erfolgsaussicht zum (Rechtsmittel-)Rechtszug und ist mit der betreffenden Verfahrensgebühr (Nrn. 3200, 3206, 3500, 3502, 3504 VV RVG) abgegolten. Es bleibt auch dann bei der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren, wenn der Anwalt nach Prüfung der Sach- und Rechtslage von der Durchführung abrät. Dann erhält er die Verfahrensgebühr allerdings nur in reduzierter Höhe (vgl. Nrn. 3201, 3207, 3503, 3505, 3507, 3509 VV RVG).  

     

    Beispiel 1: Rechtmittelauftrag bereits erteilt

    A wird in erster Instanz zur Zahlung von 50.000 EUR an B verurteilt. Er beauftragt Anwalt R mit seiner Vertretung im Berufungsverfahren. Nach Prüfung der Erfolgsaussicht rät R ihm von der Durchführung des Berufungsverfahrens ab.  

     

    Lösung: R erhält für die Beratung die reduzierte Verfahrensgebühr nach Nr. 3200, 3201 VV RVG, weil er einen Auftrag für das Berufungsverfahren hatte, der vor Einlegung des Rechtsmittels vorzeitig beendet wurde. Eine Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG kommt nicht in Betracht, weil R bei Durchführung der Prüfung bereits einen Rechtsmittelauftrag hatte.  

     

    Beispiel 2: Rechtsmittelauftrag später erteilt

    Dem Anwalt R wird von A der Verfahrensauftrag für das Rechtsmittelverfahren erst nach der Prüfung der Erfolgsaussicht erteilt.  

     

    Lösung: Die Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG ist bereits entstanden und kann nicht wieder entfallen (§ 15 Abs. 4 RVG). Sie wird allerdings nach der Anm. zu Nr. 2100 VV RVG auf die nachfolgend entstehende Verfahrensgebühr des Rechtsmittelverfahrens angerechnet (vgl. die Einzelheiten unter „Anrechnung“).  

     

    Anmerkung: Soweit also das überprüfte Rechtsmittel im vollen Umfang der Überprüfung eingelegt wird, geht die Prüfungsgebühr nach Nr. 2100 VV RVG vollständig in der Verfahrensgebühr auf.  

     

    3. Rechtsmittel

    Die Prüfungsgebühr nach Nr. 2100 VV RVG umfasst nur Rechtsmittel, also Berufung, Revision, Rechtsbeschwerde und Nichtzulassungsbeschwerde. Die Prüfung von Rechtsbehelfen (Beschwerde, Erinnerung, Anhörungsrüge, Gegenvorstellung etc.) ist dagegen nicht umfasst - sie wird im Regelfall von der Verfahrensgebühr der jeweiligen Instanz mit abgegolten. Die Prüfung muss sich allerdings nicht unbedingt auf ein Rechtsmittel des Mandanten beziehen, sondern kann auch Rechtsmittel der Gegenseite betreffen.  

     

    Beispiel

    A verklagt B auf Zahlung von 50.000 EUR. Der Klage wird in erster Instanz stattgegeben. B bietet A an, auf eine Berufung gegen das Urteil zu verzichten, wenn die Forderung auf 40.000 EUR reduziert wird. A beauftragt seinen Anwalt R mit der Prüfung der Erfolgsaussicht einer Berufung des B, um das Für und Wider des Vergleichsvorschlags abwägen zu können (insgesamt durchschnittliche Angelegenheit).  

     

    Lösung: R kann neben der Gebühren für die erste Instanz eine 0,75-Prüfungsgebühr nach Nr. 2100 VV RVG aus einem Wert von 50.000 EUR nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer abrechnen.  

     

    4. Prüfung der Erfolgsaussicht

    Der Anwalt muss prüfen, ob das in Aussicht genommene Rechtsmittel Erfolg haben wird. Im Rahmen der Entstehung der Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG kommt es nicht darauf an, wie die Prüfung der Erfolgsaussicht ausfällt und ob der Mandant dem Rat seines Anwalts entsprechend handelt.  

    5. Bestimmung der Gebührenhöhe

    Die Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG ist eine Rahmengebühr, sodass der Anwalt die konkrete Gebühr nach § 14 Abs. 1 RVG aus dem Rahmen von 0,5 bis 1,0 bestimmen muss. Für eine insgesamt durchschnittliche Angelegenheit kann die Mittelgebühr in Höhe von 0,75 geltend gemacht werden. Endet die Angelegenheit vorzeitig, so gibt es keine spezielle Vorschrift, die einen geringeren Gebührenrahmen vorsieht. Die vorzeitige Beendigung ist vielmehr beim Merkmal „Umfang der Angelegenheit“ zu berücksichtigen. Ist die Prüfung der Erfolgsaussicht auftragsgemäß mit der Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens verbunden, fällt nach Nr. 2101 VV RVG eine Festgebühr in Höhe von 1,3 an.  

    6. Gegenstandswert

    Entscheidend für den Gegenstandswert, aus dem die Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG bestimmt wird, ist der Umfang des Auftrags. Dieser ist wiederum begrenzt durch die Beschwer des Mandanten hinsichtlich der Entscheidung, die angegriffen werden soll (§ 23 Abs. 1 RVG, § 47 Abs. 1 GKG).  

     

    Beispiel

    A ist im Rahmen einer Klage über 70.000 EUR zur Zahlung von 50.000 EUR verurteilt worden und beauftragt R mit der Prüfung der Erfolgsaussicht  

    a) einer uneingeschränkten Berufung  

    b) einer Berufung gegen die Verurteilung von mehr als 30.000 EUR.  

     

    Lösung: Die erstinstanzlichen Gebühren berechnen sich nach einem Wert von 70.000 EUR. Da die Beschwer aus dem Urteil jedoch nur 50.000 EUR beträgt, ist der Wert einer uneingeschränkten Berufung gem. Alternative a) auf 50.000 EUR festzusetzen. Dagegen wird die Prüfungsgebühr bei der Alternative b) nur aus einem Wert von 20.000 EUR berechnet, weil sich der Auftrag des Anwalts nur auf diese Teilforderung bezieht.  

     

    7. Anrechnung

    Wird der Anwalt nach Prüfung der Erfolgsaussicht mit der Vertretung im Rechtsmittelverfahren beauftragt, unterliegt die Prüfungsgebühr nach der Anmerkung zu Nr. 2100 VV RVG der Anrechnung auf die Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren. Damit soll eine Doppelhonorierung der Prüfung vermieden werden.  

     

    Praxishinweis: Ist die Prüfung mit erheblichem Aufwand verbunden, so sollte der Anwalt eine Gebührenvereinbarung mit dem Mandanten treffen, in der die Anrechnungsvorschrift ausgeschlossen wird. Der Mandant sollte jedoch in diesem Fall unbedingt darauf hingewiesen werden, dass seine Rechtsschutzversicherung die Prüfungsgebühr nicht gesondert neben der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren erstattet.  

     

    Wird das Rechtsmittel nach Durchführung der Prüfung nur teilweise eingelegt, muss dies in analoger Anwendung von Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG bei der Anrechnung berücksichtigt werden.  

     

    Beispiel:

    A wird in erster Instanz zur Zahlung von 50.000 EUR verurteilt. Sein erstinstanzlicher Anwalt R soll prüfen, ob eine Berufung Aussicht auf Erfolg hat (insgesamt durchschnittliche Angelegenheit). R kommt zu dem Ergebnis, dass eine Berufung nur hinsichtlich der Verurteilung von mehr als 40.000 EUR Aussicht auf Erfolg hat. A erteilt ihm daher einen Rechtsmittelauftrag für eine entsprechend beschränkte Berufung, die auch durchgeführt wird. R kann folgende Gebühren abrechnen:  

     

    I. Erste Instanz (Wert: 50.000 EUR)

    1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG  

    1.359,80 EUR  

    1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG  

    1.255,20 EUR  

    Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG  

    20,00 EUR  

    Zwischensumme  

    2.635,00 EUR  

    Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG  

    500,65 EUR  

    Gesamt  

    3.135,65 EUR  

     

    II. Prüfung der Erfolgsaussicht (Wert: 50.000 EUR)

    0,75-Prüfungsgebühr, Nr. 2100 VV RVG  

    784,50 EUR  

    Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG  

    20,00 EUR  

    Zwischensumme  

    804,50 EUR  

    Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG  

    152,86 EUR  

    Gesamt  

    957,36 EUR  

     

    III. Berufungsverfahren (Wert: 10.000 EUR)

    1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG  

    777,60 EUR  

    abzgl. Anrechnung von 0,75 aus 10.000 EUR  

    - 364,50 EUR  

    1,2-Terminsgebühr, Nr. 3202 VV RVG  

    583,20 EUR  

    Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG  

    20,00 EUR  

    Zwischensumme  

    1.016,30 EUR  

    Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG  

    193,10 EUR  

    Gesamt  

    1.209,40 EUR  

     

     

    8. Erstattung durch Gegner und Rechtsschutzversicherung

    Eine Erstattung der Prüfungsgebühr nach Nr. 2100 VV RVG durch den Gegner dürfte kaum vorkommen. Wird das Rechtsmittel nach erfolgversprechender Prüfung durchgeführt, geht die Prüfungsgebühr aufgrund der Anrechnungsvorschrift in der Anmerkung zu Nr. 2100 VV RVG vollumfänglich in der Verfahrensgebühr des Rechtsmittelverfahrens auf.  

     

    Rät der Anwalt hingegen von der Durchführung des Rechtsmittels ab, weil er keine Erfolgsaussicht sieht, bleibt die Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG zwar bestehen. Es ist jedoch keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, aus welcher der Gegner für die Prüfung eines in der Sache erfolglosen Rechtsmittels in Anspruch genommen werden könnte.  

     

    Die Gebühr für das Abraten von einem Rechtsmittel wird jedoch in der Regel vom Rechtsschutzversicherer des Mandanten übernommen, soweit der Auftrag zur Prüfung der Erfolgsaussicht nicht mutwillig war. Denn es liegt (auch) im Interesse des Rechtsschutzversicherers, dass vor Erteilung eines Rechtsmittelauftrages - der selbst bei vorzeitigem Ende der Angelegenheit eine Gebühr von 1,1 bzw. 1,8 auslösen würde - die Erfolgsaussichten geprüft werden.  

     

    Praxishinweis: Der Anwalt sollte unter Hinweis auf seinen Prüfungsauftrag eine vorherige Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers für diese Tätigkeit einholen.  

    Quelle: Ausgabe 01 / 2011 | Seite 6 | ID 141018