01.09.2007 | Gebührenanrechnung
Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren
Im Kostenfestsetzungsverfahren kommt eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits nur in Betracht, wenn die Geschäftsgebühr im Erkenntnisverfahren tituliert worden ist oder der Kostenerstattungsschuldner die Geschäftsgebühr bereits außergerichtlich erstattet hat und dies im Festsetzungsverfahren unstreitig ist (KG 17. 7.07, 1 W 256/05, n.v., Abruf Nr. 072628). |
Sachverhalt
Der Anwalt des Beklagten war außergerichtlich und anschließend im Prozess tätig. Die Klage wurde abgewiesen. Bei der Kostenfestsetzung beantragte der Beklagte die Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Dem widersprach der Kläger, da eine Geschäftsgebühr auch dann gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG hälftig angerechnet werden müsse, wenn sie nicht mit eingeklagt worden sei. Der Einwand blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe und Praxishinweis
Das KG ist das erste Obergericht, das sich nach der BGH-Entscheidung vom 7. 3.07 (RVG prof. 07, 91, Abruf-Nr. 071415) damit befasst hat, unter welchen Voraussetzungen die Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten ist. Zu Recht hat es dem Irrtum, dass stets anzurechnen sei, eine Absage erteilt. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird allerdings die Ansicht vertreten, aus Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG folge, dass im Kostenfestsetzungsverfahren nicht die volle 1,3 Verfahrensgebühr festgesetzt werden könne, wenn bei der obsiegenden Partei zuvor eine Geschäftsgebühr angefallen sei (OVG Lüneburg AGS 07, 377; VG Minden AGS 07, 432). Vielmehr müsse die Geschäftsgebühr angerechnet werden, da Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG keine andere Auslegung zulasse. Zudem müsse der Rechtsuchende im Verwaltungsprozess das behördliche Ausgangsverfahren auf eigene Kosten durchführen. Daher sei es sinnwidrig, wenn er diese Kosten auf die im gerichtlichen Verfahren unterlegene Gegenseite abwälzen könne (VG Minden, a.a.O.). Andere Gerichte lassen auch hier die Anrechnung unberücksichtigt (VGH München. 7. 12. 06, 19 C 06/2279, Abruf-Nr. 072699(Aufgabe der bisherigen Rspr.); VG Sigmaringen AGS 07, 434).
Demgegenüber hat das KG entschieden, dass in Zivilsachen der Obsiegende im Kostenfestsetzungsverfahren trotz angefallener Geschäftsgebühr die volle Verfahrensgebühr gegen den unterlegenen Gegner geltend machen könne (RVG prof. 06, 2, Abruf-Nr. 053290). An dieser Ansicht hält der Senat fest.
Da das RVG nur das Rechtsverhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber regelt (§ 1 Abs. 1 S. 1 RVG), betrifft Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ihrem Sinn und Zweck nach auch nur das Innenverhältnis zwischen diesen (Schons, NJW 05, 3089; N. Schneider NJW 07, 2001). Sinn und Zweck der Anrechnungsregel ist es, den Auftraggeber vor zu hohen Anwaltshonoraren zu schützen sowie davor, dass der Anwalt nur aus Gebühreninteressen zur Klage rät (VGH München NJW 07, 170; OVG NRW NJW 06, 1991; VGH Kassel NJW 06, 1992).
Dagegen zielt das RVG nicht darauf ab, die Erstattungsforderung der obsiegenden Partei zu begrenzen. Der Umfang der Kostenerstattung richtet sich vielmehr nach § 91 ZPO. Danach sind der Partei die „Kosten des Rechtsstreits“ zu erstatten, soweit sie notwendig sind. Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Anwalts sind dabei nach § 91 Abs. 2 ZPO stets zu erstatten. Dazu gehört aber auch die (volle) Verfahrensgebühr, und zwar unabhängig davon, ob sich das Gebührenaufkommen im Verhältnis zum Mandanten anschließend durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr vermindert. Die Anrechnung ist eine materiell-rechtliche Einwendung. Solche Einwendungen sind im Kostenfestsetzungsverfahren nur beachtlich, wenn sie unstreitig oder evident sind, was anzunehmen ist, wenn die Geschäftsgebühr als materiell-rechtlicher Schadenersatzanspruch voll tituliert oder unstreitig außergerichtlich ausgeglichen wurde. Jedenfalls für das Zivilrecht ist nach Ansicht des KG kein sachlicher Grund ersichtlich, warum der Unterlegene nur deshalb niedrigere Kosten erstatten müsste, weil der Anwalt der Gegenseite bereits vorgerichtlich das Geschäft seines Mandanten betrieben hat.
Die Gegenmeinung, die stets anrechnet, ist nicht durchführbar. Dem Kostenfestsetzungsbeamten ist oft nicht bekannt, ob und hinsichtlich welchen Gegenstands oder welcher Gegenstände der Anwalt vorgerichtlich tätig war. Darüber hinaus müsste der Beamte auch noch entscheiden, zu welchem Gebührensatz die Geschäftsgebühr entstanden ist, denn sonst könnte er die anzurechnende Hälfte nicht berechnen. Damit würde ihm die Überprüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG übertragen. Faktisch würde er den anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr inzidenter mit festsetzen. Die Festsetzung der Geschäftsgebühr gehört aber nicht in das Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 ff. ZPO (BGH RVG prof. 06, 127, Abruf-Nr. 061691).
Soweit in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Teil eine andere Ansicht vertreten wird, weil der Prozessgegner nicht im Prozess nachträglich die im vorangegangenen Verwaltungsverfahren entstandene Geschäftsgebühr übernehmen müsste, greift diese Überlegung im Zivilprozess nicht. Eine allgemeine Regelung, dass jede Partei ihre vorgerichtlich entstandenen Kosten selbst tragen muss, besteht hier nicht. Vielmehr kann die Partei in zivilrechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich eine vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr im Prozess als Verzugsschaden geltend machen (BGH AGS 07, 283 u. 289). Geschieht dies, wird in der Kostenfestsetzung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG angerechnet. Geschieht dies nicht, unterbleibt die Anrechnung.
Soweit der BGH in den Entscheidungen AGS 07, 283 u. 289 ausgeführt hat, die Anrechnung sei „erst im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu berücksichtigen“, besagt dies nur, dass die im dortigen Hauptverfahren titulierte Geschäftsgebühr zu berücksichtigen ist (Schneider, NJW 07, 2001, 2006). In den vom BGH entschiedenen Fällen war die volle Geschäftsgebühr zugesprochen worden. In einem solchen Fall ist es zutreffend, dass der Kläger neben der durch Urteil zugesprochenen vollen Geschäftsgebühr nicht auch noch im Kostenfestsetzungsverfahren die unverminderte Verfahrensgebühr beanspruchen kann (Hansens, AGS 07, 285; N. Schneider, AGS 07, 287). Da ein Ausnahmefall, in dem die volle Geschäftsgebühr durch Urteil tituliert oder – was dem gleichzustellen ist – unstreitig gezahlt wurde, nicht vorlag, war die Partei nach Ansicht des KG hier nicht daran gehindert, im Kostenfestsetzungsverfahren die volle Verfahrensgebühr geltend zu machen. Wegen der besonderen Bedeutung hat das KG die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Beispiel: Volles Obsiegen mit Hauptsache und Kostenerstattungsanspruch | ||||||
Der Kläger klagt erfolgreich eine Forderung über 10.000 EUR nebst einer 1,5 Geschäftsgebühr i.H von 729 EUR ein. Welche Gebühren kann er noch festsetzen lassen?
Lösung: Da dem Kläger bereits die gesamte Geschäftsgebühr im Erkenntnisverfahren zugesprochen worden ist, darf er zur Festsetzung jetzt nur noch anmelden:
Der Kläger kann noch 267,30 EUR festsetzen lassen. |
Abwandlung 1: Volles Obsiegen mit Hauptsache und zum Teil mit Kostenerstattungsanspruch | ||||||
Dem Kläger werden statt einer 1,5 Geschäftsgebühr nur 1,0 aus 10.000 EUR zugesprochen (486 EUR).
Lösung: Festzusetzen ist wie folgt:
Der Kläger kann noch 388,80 EUR festsetzen lassen. |
Abwandlung 2: Geschäftsgebühr wird nicht eingeklagt |
Da dem Kläger von der Geschäftsgebühr nichts zugesprochen wird, braucht er sich im Erstattungsverhältnis auch nichts anrechnen zu lassen. Die Verfahrensgebühr ist voll festzusetzen, es sei denn, der Beklagte hat die Geschäftsgebühr bereits gezahlt und dies ist unstreitig (unzutreffend insoweit OLG Koblenz AGS 07, 376 m. abl. Anm. N. Schneider). |
Abwandlung 3: Obsiegen mit Hauptsache, Unterliegen mit Kostenerstattungsanspruch |
Da dem Kläger auch hier von der Geschäftsgebühr nichts zugesprochen worden ist, braucht er sich im Festsetzungsverfahren wiederum nichts anrechnen zu lassen. Das ist z.B. der Fall, wenn die Hauptforderung zugesprochen wird, sich der Beklagte aber vorgerichtlich nicht in Verzug befunden hat oder das Gericht die vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht als notwendig sieht. |
Abwandlung 4: Teilweises Obsiegen mit Hauptsache und Kostenerstattungsanspruch | ||||||
Dem Kläger werden von den eingeklagten 10.000 EUR nur 8.000 EUR zugesprochen sowie eine 1,5 Geschäftsgebühr aus 8.000 EUR, also 618 EUR.
Lösung: Wird dem Kläger die Geschäftsgebühr zwar zum vollen Gebührensatz zugesprochen, jedoch nur aus einem geringeren Wert, ist diese hälftig, höchstens jedoch zu 0,75 anzurechnen.
Der Kläger kann noch 322,80 EUR festsetzen lassen. |