07.01.2008 | Kostenerstattung
Anrechnung der Geschäftsgebühr und Kostenfestsetzung
Wenn die Geschäftsgebühr weder tituliert noch unstreitig bezahlt worden oder der Anrechnungseinwand im Kostenfestsetzungsverfahren streitig geblieben ist, hat der erstattungspflichtige Gegner die Verfahrensgebühr als Teil der prozessnotwendigen Kosten gemäß § 91 ZPO grundsätzlich in voller Höhe zu erstatten (OLG Hamm 26.9.07, 23 W 184/07, n.v., Abruf-Nr. 073793). |
Sachverhalt
Im Kostenfestsetzungsbeschluss wurde auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin die volle 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG gegen den Beklagten festgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten, mit der er eine Anrechnung der Geschäftsgebühr verfolgte, hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Anrechnungsregelung in Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG dient dazu, das Gebührenaufkommen des sowohl außergerichtlich als auch im anschließenden Rechtsstreit tätigen Anwalts im Verhältnis zu seinem Mandanten zu beschränken (KG RVG prof. 07, 145, Abruf-Nr. 072628; Schneider, NJW 07, 2001, 2006). Für den erstattungspflichtigen Gegner folgt aus der Anrechnung daher nicht, dass er bei Entstehung einer Geschäftsgebühr automatisch nur eine verminderte Verfahrensgebühr erstatten muss. Denn nach § 91 ZPO sind die prozessnotwendigen Kosten zu erstatten, zu denen die im Rechtsstreit aufseiten des Gegners angefallene volle Verfahrensgebühr gehört.
Da die Geschäftsgebühr nicht zu den Prozesskosten i.S. des § 91 ZPO gehört und deshalb grundsätzlich nicht im Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzt werden kann, ist eine zwingende Anrechnung auf die Verfahrensgebühr im Verhältnis zum kostenpflichtigen Prozessgegner ausgeschlossen. Denn sonst würde sich dessen prozessuale Erstattungspflicht nur verringern, weil der gegnerische Anwalt schon vorgerichtlich für die obsiegende Partei tätig war. Hierfür besteht aber kein sachlicher Grund.
Auf die Verringerung der zu erstattenden Verfahrensgebühr infolge der nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vorzunehmenden Anrechnung der Geschäftsgebühr kann sich die erstattungspflichtige Partei nur berufen, wenn sie der obsiegenden Partei aufgrund eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs die Geschäftsgebühr erstatten muss. Als materiell-rechtlicher Einwand ist die Erstattungspflicht aber nur zu beachten, wenn sie im Kostenfestsetzungsverfahren überprüfbar feststeht. Voraussetzung dafür ist, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der Schadenersatzpflicht unstreitig sind oder vom Rechtspfleger ohne Schwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden können (BGH NJW-RR 07, 422, 423). Das ist der Fall, wenn die volle Geschäftsgebühr tituliert oder unbestritten beglichen wurde (KG, a.a.O).
Der BGH-Entscheidung (RVG prof. 07, 91, Abruf-Nr. 071415) ist nichts anderes zu entnehmen, weil darin die Geschäftsgebühr voll tituliert wurde. Hier ist die Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr teilweise anzurechnen und führt daher zur Festsetzung einer verminderten Verfahrensgebühr.
Praxishinweis
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Der BGH hat zwar entschieden, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr zur Verringerung der Verfahrensgebühr führt. Daher kann die volle Geschäftsgebühr eingeklagt werden. Ihre Anrechnung ist dadurch erst im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen (RVG prof., a.a.O.; dazu Volpert, RVG prof. 07, 127; RVG prof. 07, 213). Die Entscheidung besagt aber nicht, dass die Geschäftsgebühr stets teilweise anzurechnen ist. Eine ausnahmslose Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren ist nicht sachgerecht, weil weder der Umfang der vorgerichtlichen Tätigkeit noch die für die Höhe der Geschäftsgebühr maßgebenden Umstände aus der Gerichtsakte hervorgehen. Zudem könnte der Rechtspfleger einen Streit der Parteien hierüber im Kostenfestsetzungsverfahren nicht klären (OLG München AGS 07, 495).
Es wäre sinnwidrig, die prozessuale Erstattungspflicht aus § 91 ZPO nur zu begrenzen, weil für die obsiegende Partei bereits vorgerichtlich ein Anwalt tätig war, sodass eine Geschäftsgebühr angefallen ist. Diese Partei würde gegenüber einer Partei, deren Anwalt nur im Prozess tätig war, durch Beschränkung des Erstattungsanspruchs unangemessen benachteiligt, zumal die vorgerichtliche Tätigkeit oft der Vermeidung eines Prozesses dient. Daher stellt die h.M. zutreffend auf die Titulierung oder unstreitige Zahlung der Geschäftsgebühr ab. Es steht dann auch der Anrechnungssatz fest. Im Kostenfestsetzungsverfahren muss nur sichergestellt werden, dass kein Teil der Kosten doppelt tituliert wird. Ist die Geschäftsgebühr weder durch Urteil tituliert noch unstreitig bezahlt worden, ist die volle Verfahrensgebühr festsetzbar (zu den Folgen für den Beklagten Volpert RVG prof. 07, 199, 201).
Rechtsprechungsübersicht zur Anrechnung der Geschäftsgebühr | ||||||||||||||||||||||||
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Beim BGH sind dazu mehrere Rechtsbeschwerdeverfahren anhängig (Az.: VII ZB 93/07; VI ZB 55/07; I ZB 110/07; X ZB 35/07; IV ZB 24/07; I ZB 99/07; II ZB 35/07 und XII ZB 175/07). Es bleibt zu hoffen, dass die verschiedenen Senate des BGH der h.M. folgen und die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren davon abhängig machen, ob und in welcher Höhe sie im Rechtsstreit tituliert worden ist.
Der Titulierung und der unstreitigen Zahlung sind folgende Fälle gleichgestellt, in denen die Anrechnung der Geschäftsgebühr ebenfalls in der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen ist:
Unklar ist, ob die Geschäftsgebühr im Fall ihrer Titulierung oder unstreitigen Zahlung stets gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG mit der Hälfte des titulierten oder unstreitig gezahlten Betrags anzurechnen ist.
Das OLG Hamm ist nach den Entscheidungsgründen offenbar davon ausgegangen, dass nur die Titulierung der vollen Geschäftsgebühr zur Anrechnung auf die Verfahrensgebühr führt (so auch OLG Karlsruhe AGS 07, 494; Enders, JurBüro 07, 449, 453). Wird nicht die volle Geschäftsgebühr tituliert, könnte der Rechtspfleger danach im Kostenfestsetzungsbeschluss stets die volle 1,3 Verfahrensgebühr festsetzen. Wird z.B. entsprechend der bislang geübten Praxis nur der sog. nicht anrechenbare Teil der Geschäftsgebühr eingeklagt, wäre mangels Titulierung der vollen Geschäftsgebühr nichts anzurechnen.
Beispiel 1 |
R klagt neben der Hauptforderung über 10.000 EUR die volle nach diesem Wert angefallene 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 631,80 EUR ein. a) Aus der Klageschrift ergibt sich, dass eine 2,0 Geschäftsgebühr angefallen ist, diese aber nur mit dem Regelsatz von 1,3 eingeklagt worden ist. Die 1,3 Geschäftsgebühr wird dem Kläger zugesprochen. b) Statt der eingeklagten 1,3 Geschäftsgebühr wird diese nur mit einem Satz von 0,65 tituliert. R macht hier in der Kostenfestsetzung eine 1,3 Verfahrensgebühr geltend. Zu Recht? |
Die Geschäftsgebühr ist hier in beiden Fällen nicht voll, sondern jeweils nur teilweise tituliert worden. Eine Anrechnung wäre nach der o.g. Auffassung ausgeschlossen, weil keine volle Titulierung vorliegt. Durch die Formulierung der Klageschrift (vgl. lit. a im Beispiel) könnte somit eine Anrechnung der Geschäftsgebühr verhindert werden. Richtig ist es daher, von dem titulierten Gebührensatz der Geschäftsgebühr unabhängig von dessen Höhe in der Kostenfestsetzung stets die Hälfte anzurechnen (vgl. Hansens, RVGreport 07, 241, 244). Im Beispiel wäre zu lit. a) ein Gebührensatz in Höhe von 0,65 und zu lit. b) ein Gebührensatz in Höhe von 0,325 in der Kostenfestsetzung anzurechnen. Zur Frage, ob im Kostenfestsetzungsverfahren die Verfahrensgebühr in voller Höhe berücksichtigt werden kann, wenn nur eine 0,65 Geschäftsgebühr eingeklagt worden ist, ist beim BGH ein Rechtsbeschwerdeverfahren anhängig (Az.: I ZB 110/07).
Die Beachtung des Grundsatzes, dass die Geschäftsgebühr stets mit der Hälfte des titulierten Betrags anzurechnen ist, erleichtert auch in anderen Fällen die Abrechnung.
Beispiel 2 | |||||||||||||||||||||||||||
Rechtsanwalt R klagt neben der Hauptforderung über 10.000 EUR die volle nach diesem Wert angefallene 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 631,80 EUR ein. Das Gericht spricht dem Kläger 3/4 der Hauptforderung mit 7.500 EUR und 3/4 der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung zu. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/4 und der Beklagte 3/4. Welche Gebühren kann R für den Kläger geltend machen?
Lösung: Der Kläger kann nach §106 ZPO Folgendes geltend machen:
Von der eingeklagten 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 631,80 EUR sind dem Kläger im Urteil 3/4 mit 473,85 EUR zugesprochen worden. Zur Vermeidung einer doppelten Titulierung ist daher bei der Kostenausgleichung die Verfahrensgebühr um die nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnende 0,65 Geschäftsgebühr zu vermindern, allerdings nur in dem titulierten Umfang von 3/4. |
Wird im Urteil eine Geschäftsgebühr nur aus dem Erledigungswert zugesprochen, ist eine aus diesem Erledigungswert berechnete Geschäftsgebühr zur Hälfte, höchstens mit 0,75 anzurechnen. Wenn im Beispiel 2 eine Geschäftsgebühr aus 7.500 EUR tituliert worden ist, ist eine 0,65 Geschäftsgebühr aus 7.500 EUR mit 267,80 EUR anzurechnen, sodass von der Verfahrensgebühr ein Betrag von 364 EUR verbleibt.