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  • 29.04.2010 | Strafverfahren

    Was Sie im Strafverfahren zum Haftzuschlag wissen sollten

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    Das RVG sieht in Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG einen Zuschlag zur Gebühr vor, wenn sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet. Dieser sogenannte Haftzuschlag macht in der Praxis häufig noch Schwierigkeiten. Der folgende Beitrag zeigt Ihnen auf der Grundlage der seit dem Inkrafttreten des RVG zum Haftzuschlag ergangenen Rechtsprechung anhand von Checklisten, worauf Sie beim Ansatz dieser Gebühr achten müssen. Nach den allgemeinen Fragen werden die Voraussetzungen für den Anfall des Haftzuschlags dargestellt (vgl. auch Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Vorbem. 4 VV Rn. 83 ff.).  

     

    Checkliste 1: Allgemeine Fragen

    Welcher Zweck wird mit dem Haftzuschlag verfolgt?  

    Durch die erhöhten Gebühren sollen diejenigen Mehrarbeiten des Rechtsanwalts abgegolten werden, die durch die Verteidigung eines sich nicht auf freiem Fuß befindenden Mandanten entstehen.  

     

    Praxishinweis: Vorausgesetzt wird aber nicht, dass Erschwernisse tatsächlich entstanden sind.  

    In welchen Verfahren entsteht ein Haftzuschlag?  

    Der Haftzuschlag ist nur in den Verfahren vorgesehen, die nach Teil 4 VV RVG abgerechnet werden, also in Strafverfahren. In allen anderen Verfahren entsteht kein Haftzuschlag. Vorgesehen sind Zuschläge aber nur in Teil 4 Abschnitt 1 und 2 VV RVG.  

     

    Bei Einzeltätigkeiten nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG entsteht kein Zuschlag. Hier muss ggf. ein Ausgleich über § 14 RVG gefunden werden.  

    Entsteht der Haftzuschlag auch in Verfahren nach Teil 5 bzw. Teil 6 VV RVG?  

    Nein. In Bußgeldverfahren (Teil 5 VV RVG) und in den in Teil 6 VV RVG geregelten Verfahren muss der Umstand der Inhaftierung des Mandanten über § 14 RVG bei der Bemessung der angemessenen (Rahmen)Gebühr herangezogen werden.  

    Kann der Haftzuschlag auch im Wiederaufnahmeverfahren entstehen?  

    Ja, die Gebühren im Wiederaufnahmeverfahren entstehen nach Nrn. 4136 ff. VV RVG „in Höhe der Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug“.  

     

    In dieser Formulierung sieht die h.M. einen Verweis auch auf die Zuschlagsregelung (Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1.4 Rn. 12 m.w.N.).  

    Wer kann den Haftzuschlag verdienen?  

    Der Zuschlag kann sowohl vom Wahlanwalt als auch vom bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt verdient werden.  

    Entsteht der Haftzuschlag nur für den Verteidiger?  

    Nein, der Haftzuschlag kann auch für andere Rechtsanwälte entstehen, so z.B. für den Nebenklagevertreter oder einen Zeugenbeistand.  

     

    Entscheidend ist aber, dass sich der Mandant des Rechtsanwalts, also z.B. der Nebenkläger nicht auf freiem Fuß befunden hat. Ist das nicht der Fall, entsteht die Gebühr für den Nebenklägervertreter auch dann ohne Zuschlag, wenn sich der Angeklagte nicht auf freiem Fuß befunden hat (OLG Düsseldorf AGS 06, 435 = RVGreport 06, 389; OLG Hamm Rpfleger 07, 502 = JurBüro 07, 528; OLG Köln RVG prof. 10, 39, Abruf-Nr. 100487; LG Flensburg AGS 08, 340).  

    Welche Gebühren können mit Haftzuschlag entstehen?  

    Das RVG hat das Entstehen des Haftzuschlags systematisch so geregelt, dass grundsätzlich alle Gebühren mit Haftzuschlag entstehen können. Das ergibt sich daraus, dass zu der jeweiligen Gebühr im RVG immer bestimmt ist: „Gebühr ... mit Zuschlag“.  

     

    Praxishinweis: Nur die Befriedungsgebühr Nr. 4141 VV RVG entsteht nicht mit Zuschlag. Das folgt daraus, dass bei der Bestimmung der Gebührenhöhe ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass die Befriedungsgebühr „in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr (ohne Zuschlag)“ entsteht.  

    Nach welchen Kriterien bemisst sich der Haftzuschlag?  

    Bei einer Gebühr mit Zuschlag ist die Höchstgebühr des jeweiligen Betragsrahmen bzw. der Festbetrag jeweils um 25 Prozent angehoben. Die Gebühr entsteht immer aus diesem höheren Rahmen, wenn sich der Mandant des Rechtsanwalts nicht auf freiem Fuß befunden hat. Es kommt - anders als früher nach § 83 Abs. 1 BRAGO - nicht (mehr) darauf an, ob der „normale“ Rahmen ausreichte, die Erschwernisse, die durch die Inhaftierung des Rechtsanwalts entstanden, auszugleichen. Es handelt sich also nicht (mehr) um eine Ermessensvorschrift.  

     

    Praxishinweis: Bei der Bemessung der konkreten Gebühr innerhalb des Rahmens nach § 14 RVG wird allein der Umstand der Inhaftierung des Mandanten dann aber nicht mehr berücksichtigt. Innerhalb des erhöhten Rahmens spielen dann aber die Länge der Untersuchungshaft und die vom Verteidiger/Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten (Anzahl von Besuchen in der JVA usw.) eine Rolle (vgl. Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 92 m.w.N.).  

     

     

     

     

    Checkliste 2: Das sind die Voraussetzungen für den Anfall des Haftzuschlags

    Muss sich der Mandant während des gesamten Verfahrensabschnitts, für den die jeweilige Gebühr geltend gemacht wird, nicht auf freiem Fuß befunden haben?  

    Nein, ausreichend ist, dass er „irgendwann“ während des Verfahrensabschnitts sich nicht auf freiem Fuß befunden hat (OLG Celle StraFo 08, 443 = AGS 08, 490 = StRR 09, 38 = NStZ-RR 08, 392 = RVGreport 09, 427; OLG Hamm StRR 09, 39 = RVGreport 09, 149; AG Heilbronn StraFo 06, 516).  

     

    Es ist auch nicht erforderlich, dass der Mandant schon beim Entstehen der jeweiligen Gebühr in Haft war (KG RVG prof. 07, 41, Abruf-Nr. 070502).  

    Beispiele  

     

    Beispiel 1: Der Beschuldigte wird im Lauf des Ermittlungsverfahrens in Untersuchungshaft genommen, dann aber im Rahmen einer Haftprüfung vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont. In dem Fall ist die Gebühr Nr. 4104 VV RVG mit Zuschlag, also die Gebühr Nr. 4105 VV RVG, entstanden. Beim Wahlanwalt hat allerdings die Dauer der Inhaftierung Auswirkungen auf die Höhe der Gebühr.  

     

    Beispiel 2: Der Angeklagte wird erst am Ende des Verhandlungstages, aber vor Beendigung des Hauptverhandlungstermins, in Haft genommen. Terminsgebühr ist mit Zuschlag entstanden (OLG Celle StraFo 08, 443 = AGS 08, 490 = StRR 09, 38 = NStZ-RR 08, 392; OLG Hamm StRR 09, 39 = RVGreport 09, 149).  

    Entsteht der Haftzuschlag auch für frühere Verfahrensab- schnitte, wenn der Mandant erst im Laufe des Verfahrens in Haft genommen wird?  

    Nein, wenn der Mandant erst später inhaftiert wird, führt das nicht zum Entstehen des Haftzuschlags auch für Verfahrensabschnitte, die bereits abgeschlossen sind (LG Offenburg NStZ-RR 06, 358 = AGS 06, 436).  

     

    Beispiel: Der Angeklagte wird im Laufe der Hauptverhandlung festgenommen. Es entsteht nur die gerichtliche Verfahrensgebühr mit Zuschlag und ggf. Terminsgebühren. Die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren und die Grundgebühr entstehen ohne Zuschlag.  

    Muss sich der Mandant in dem jeweiligen Verfahren in Haft befinden?  

    Nein, das ist nach inzwischen h.M. nicht erforderlich. Ausreichend ist auch eine Inhaftierung in einem anderen Verfahren (OLG Hamm RVG prof. 09, 204 [Ls.], Abruf-Nr. 093692) = RVG report 10, 27 = AGS 10, 17; LG Bochum 10.6.09, 1 Qs 49/09; AG Bochum RVG prof. 09, 78, Abruf-Nr. 091199).  

    Sind für das Entstehen „tatsächliche Erschwernisse“ erforderlich oder reicht allein der Umstand, dass der Mandant inhaftiert ist?  

    Die ganz h.M. in der Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass ein Zuschlag nicht voraussetzt, dass Erschwernisse tatsächlich entstanden sind (KG RVGreport 07, 462 = StraFo 07, 483; OLG Celle StraFo 08, 443 = AGS 08, 490 = StRR 09, 38 = NStZ-RR 08, 392; OLG Hamm StRR 09, 39 = RVGreport 09, 149; AG Hanau 19.5.09, 50 Ds 4200 Js 20340/07; AG Tiergarten AGS 10, 73). A.A. ist nur das AG Bochum (vgl. AG Bochum StRR 09, 440 = RVGreport 09, 464 = AGS 10, 19 m. abl. Anm. N.Schneider).  

     

    Die Gebühr entsteht also z.B. auch aus dem erhöhten Rahmen, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten nicht in der Justizvollzugsanstalt besucht hat.  

    Spielt der Grund, warum der Mandant inhaftiert ist für das Entstehen des Zuschlags eine Rolle?  

    Nein, Voraussetzung ist nur, dass der Mandant sich nicht auf freiem Fuß befindet. Der Grund ist für das Entstehen ohne Bedeutung. Der Begriff „nicht auf freiem Fuß“ ist weit auszulegen (Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 Rn. 88).  

     

    Das bedeutet, die Gebühr entsteht im Fall der  

     

    • Untersuchungshaft,
    • Strafhaft,
    • (einstweiligen) Unterbringung,
    • Unterbringung nach dem PsychKG,
    • Abschiebe- und Auslieferungshaft,
    • Polizeigewahrsam,
    • Unterbringung nach § 72 Abs. 4 JGG i.V. mit § 71 Abs. 2 JGG (OLG Jena StraFo 03, 219 = AGS 03, 313 zu § 83 BRAGO),
    • Vollstreckung eines Vorführungsbefehls nach § 230 StPO.

     

    Praxishinweis: Auch der (nach § 127 Abs. 1, § 127b StPO) nur vorläufig Festgenommene befindet sich nicht auf freiem Fuß (KG StraFo 07, 482 = RVGreport 07, 463 = StRR 07, 359 = JurBüro 07, 643 = AGS 08, 32; AGS 08, 31; AG Tiergarten AGS 10, 73).  

    Entsteht der Haftzuschlag auch, wenn sich der Mandant (nur) im offenen Vollzug befindet?  

    Ja, nach zutreffender h.M. entsteht der Haftzuschlag auch in diese Fall (KG StraFo 07, 483 = RVGreport 07, 462 = AGS 07, 619 = StRR 07, 359 = JurBüro 07, 644; OLG Jena AGS 09, 385 = NStZ-RR 09, 224 [Ls.]; LG Aachen AGS 07, 242 = StRR 07, 40 = RVGreport 07, 463; LG Wuppertal StraFo 09, 528; AG Aachen AGS 07, 242 = StRR 07, 40; a.A. soweit ersichtlich nur AG Osnabrück AGS 06, 232).  

    Entsteht der Haftzuschlag, wenn sich der Mandant freiwillig in einer stationären Therapie befindet?  

    Die Rechtsprechung verweigert in diesen Fällen den Haftzuschlag (OLG Bamberg StRR 07, 283 [Ls.] = RVGreport 08, 225; OLG Hamm StraFo 08, 222; LG Berlin AGS 07, 562; LG Wuppertal JurBüro 09, 532 = Rpfleger 09, 697 = AGS 10, 17; AG Koblenz JurBüro 07, 82 = AGS 2007, 8; AG Neuss 25.8.08, 7 Ds 30 Js 1509/07 (263/07); AG Osnabrück AGS 08, 229).  

     

    Das ist m.E. allerdings nicht zutreffend, weil sich der Mandant auch in den Fällen nicht frei bewegen kann und in der Wahl seines Aufenthaltsortes beschränkt ist.  

    Entsteht der Haftzuschlag, wenn ein in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachter bereits dauerhaft in einem externen Pflegeheim wohnt (betreutes Wohnen)?  

    Nach Auffassung des KG entsteht der Zuschlag nicht (KG RVG prof. 08, 212, Abruf-Nr. 083466 = NStZ-RR 09, 31 = JurBüro 09, 83 = StRR 09, 156; s. auch LG Berlin AGS 07, 562 = StRR 07, 280 = RVGreport 07, 463).  

    Fällt der Haftzuschlag an, wenn sich ein Untergebrachter im Rahmen von Lockerungen in einem Übergangswohnheim befindet?  

    Das OLG Jena hat in dem Fall den Haftzuschlag gewährt (OLG Jena NStZ-RR 09, 224 [Ls.] = AGS 09, 385).