01.11.2007 | Streitwert
So bewerten Sie Mandate aus dem gewerblichen Rechtsschutz richtig
Die Streitwertbestimmung im gewerblichen Rechtsschutz ist schwierig, da gesetzliche Regelstreitwerte fehlen und eine Streitwertbegünstigung möglich ist. Der Anwalt sollte diesen Bereich allerdings nicht vernachlässigen, da mit einem zu niedrig angegebenen Streitwert empfindliche Gebühreneinbußen verbunden sein können. Der folgende Beitrag stellt daher die wichtigsten Grundsätze anhand einer umfassenden Checkliste dar.
Checkliste: Streitwertbemessung beim gewerblichen Rechtsschutz |
Gesetzliche Vorschriften: In Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes wird der Wert für die Anwaltsgebühren gemäß § 23 Abs. 1 RVG, § 51 Abs. 1 GKG nach billigem Ermessen bestimmt. Im Übrigen richtet er sich nach freiem Ermessen (§ 23 Abs. 1 RVG, § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO), womit dasselbe gemeint ist: die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. In Streitigkeiten nach dem Unterlassungsklagegesetz darf der Streitwert 250.000 EUR nicht übersteigen, § 48 Abs. 1 S. 2 GKG. Damit die Partei auch bei hohen finanziellen Streitigkeiten nicht mit zu hohen Kosten belastet wird, sieht § 51 Abs. 2 GKG bzw. § 12 Abs. 4 UWG die Möglichkeit einer Streitwertbegünstigung vor, die auch für den Anwaltsgebührenwert gilt.
Regelstreitwerte als Ausgangspunkt der Schätzung: Wird Zahlung einer bestimmten Geldsumme verlangt, ist diese wertbestimmend. Es werden jedoch überwiegend Unterlassungs-, Auskunfts- und Feststellungsklagen erhoben, bei denen der Streitwert nur geschätzt werden kann. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Durchsetzung des Anspruchs, das u.a. von Umsatz, Größe und Wirtschaftskraft des Klägers, Marktstellung des Beklagten und Gefährlichkeit des Angriffs abhängt. Weil die Bewertung des klägerischen Interesses in der Praxis zu sehr unterschiedlichen Wertfestsetzungen führt, haben einige OLG vereinheitlichende Bewertungsgrundsätze erarbeitet (z.B. OLG Koblenz OLGR 98, 434; OLG Oldenburg MDR 91, 955; OLG Schleswig OLGR 98, 176):
Ausgehend davon sind die Umstände des Einzelfalls zu bewerten, wie weit sie von dem „Verfahren mittlerer Bedeutung“ abweichen und einen niedrigeren/höheren Streitwert rechtfertigen.
Achtung: Der Kläger wird an seinen eigenen Angaben festgehalten, wenn er mit einer Streitwertbeschwerde ohne zwingende Gründe davon abweichen will. Gleiches gilt für den Beklagten, falls er im Verfahren keine Bedenken gegen die Wertangabe des Klägers und die entsprechende Festsetzung geltend gemacht hat.
Anmerkung: Den Wertangaben im vorgerichtlichen Abmahnschreiben kommt dagegen i.d.R. nur geringe Bedeutung zu, da in diesem Stadium vielfach durch moderate Summen die Bereitschaft zur außergerichtlichen Regelung gefördert werden soll (OLG Köln OLGR 00, 101).
Von erheblicher Bedeutung ist dabei der vom Mandanten erzielte Umsatz, denn aus der Größe des Unternehmens wird seine wirtschaftliche Bedeutung erkennbar. Ausgangspunkt der Berechnung ist der Jahresumsatz, der durch die wettbewerbswidrige Handlung beeinträchtigt werden kann – nicht dagegen der entgangene Gewinn oder der vom Schädiger ggf. erzielte Mehrumsatz.
Weiter von Bedeutung ist die Gefährlichkeit des Wettbewerbsverstoßes. Man spricht hier vom “Angriffsfaktor”, der bei geringem Umsatz des Schädigers entsprechend gering ist, aber andererseits dadurch erhöht werden kann, dass ein soeben auf dem Markt in Erscheinung tretendes Unternehmen potenziell in der Lage ist, sich zu einem erheblichen Angriffsfaktor zu entwickeln. Weitere Faktoren für die Gefährlichkeit sind:
Einstweilige Verfügung: Der Streitwert bestimmt sich nach freiem Ermessen, § 23 Abs. 1 RVG, § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO. Maßgebend ist das Interesse des Antragstellers an dem erstrebten Unterlassungsgebot. Es wird vor allem bestimmt durch die Gefahr, die dem Umsatz des Antragstellers ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung drohen würde.
Eine Meinung legt den vollen Wert des Hauptsacheverfahrens zugrunde, wenn das Verfügungsverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Erledigung der Streitigkeit der Parteien führt (KG KGR 05, 208). Die Gegenmeinung spricht sich zutreffend dafür aus, beim Verfügungsverfahren regelmäßig vom Hauptsachewert einen Abzug vorzunehmen (OLG Bremen OLGR 97, 363). Der Titel im einstweiligen Verfügungsverfahren bringt nur eine vorläufige Regelung. Auch wenn die Parteien dies oft als endgültig akzeptieren und kein Hauptsacheverfahren mehr durchführen, bleibt es dabei, dass der Verfügungskläger im „Ernstfall“ auf das Hauptsacheverfahren angewiesen ist. Nach § 40 GKG ist für die Bestimmung des Streitwerts der Zeitpunkt der Antragstellung entscheidend. Ob die Parteien sich im Verfahren einigen und das Verfahren für sie trotz des einstweiligen Charakters eine endgültige Regelung erzielt hat, lässt sich in diesem Stadium meist noch nicht feststellen.
Anmerkung: Nur in Ausnahmefällen, in denen eine solche Feststellung schon im Zeitpunkt des instanzeinleitenden Antrags möglich ist, kann der Streitwert auf den vollen Hauptsachewert festgesetzt werden, z.B. wenn bei Antragstellung erkennbar ist, dass das Verfügungsverfahren zur endgültigen Klärung führen wird (OLG Köln JurBüro 00, 648). Dann tritt die Sicherungsfunktion der einstweiligen Verfügung so stark zurück, dass eine übereinstimmende Bezifferung der Streitwerte für Eil- und Hauptverfahren angebracht ist. In sonstigen Fällen verbleibt es bei einer Bruchteilsbewertung, wobei von den Gerichten überwiegend eine Quote von 1/3 bis 2/3 des Hauptsachewerts angesetzt wird.
Klagehäufung: Klagen mehrere durch unlauteren Wettbewerb Geschädigte gegen einen oder mehrere Schädiger, werden entsprechend viele Streitgegenstände geschaffen. Für die Streitwertberechnung müssten die Einzelwerte addiert werden, § 5 ZPO. Das kann zu hohen Streitwerten führen, die der wirtschaftlichen Bedeutung der Streitigkeit nicht mehr entsprechen. Der BGH hat daher entschieden, dass vom höchsten Interesse eines der Kläger auszugehen ist und für jeden weiteren Kläger ein Zuschlag in der Höhe erfolgt, die seinem Interesse daran entspricht, den titulierten Anspruch ggf. selbstständig geltend machen zu können (MDR 98, 1421). Diese Rechtsprechung zu den Gerichtsgebühren wird man wegen des Verweises in § 23 Abs. 1 RVG auch für den Anwaltsgebührenwert beachten müssen.
Streitwertbegünstigung: Um Rechtssuchende durch hohe Streitwerte und den damit verbundenen finanziellen Aufwand für Prozesse nicht rechtlos zu stellen, sind in den § 12 Abs. 4 UWG, § 144 PatG, § 26 GebrMG, § 142 MarkenG, § 54 GeschmMG soziale Kostenschutzvorschriften eingefügt worden. Die Streitwertbegünstigung bezieht sich auf den Gebührenstreitwert für die Gerichts- und Anwaltsgebühren, nicht dagegen auf den Zuständigkeits- oder den Rechtsmittelstreitwert („gespaltener“ Streitwert).
Die Streitwertbegünstigung steht selbstständig neben PKH. Für sie ist allein maßgebend, ob die Kostenbelastung des konkreten Rechtsstreits den Antragsteller wirtschaftlich untragbar belasten würde bzw. ob die Sache nach Art und Umfang einfach gelagert ist oder die Belastung mit den vollen Kosten untragbar erscheint. Die Hilfsbedürftigkeit des Antragstellers oder die Erfolgsaussichten sind unerheblich. Nur wenn die Klage völlig aussichtslos oder mutwillig bzw. rechtsmissbräuchlich ist, kann daran die Festsetzung eines verminderten Gebührenstreitwerts scheitern.
Beispiel: Der Wettbewerbsverstoß ergibt sich aus der beanstandeten Zeitungsanzeige (OLG Köln JurBüro 94, 241) oder aus dem Schriftwechsel (OLG Zweibrücken OLGR 03, 268). Es handelt sich um serienweise wiederkehrende Wettbewerbsverletzungen oder rechtlich eindeutige Verstöße.
Der Streitwert ist auch zu vermindern, wenn eine Belastung der Partei mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert angesichts ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse untragbar erscheint. Es ist abzuwägen zwischen der wirtschaftlichen Lage der Partei und der Höhe der Kostenbelastung. Die Partei muss, obwohl die Streitwertbegünstigung von Amts wegen zu veranlassen ist, ihre finanziellen Verhältnisse darlegen und ggf. beweisen, wenn diese nicht gerichtsbekannt sind.
Für die Wertermäßigung reicht es aus, dass eine der beiden wertmindernden Alternativen (einfach gelagert – untragbare Kostenbelastung) gegeben ist. Sind beide erfüllt, führt das nicht zur zusätzlichen Streitwertverminderung, da der Wortlaut („oder“) eindeutig ist (OLG Köln GRUR 95, 446).
§ 12 Abs. 4 UWG gilt auch für klagebefugte Verbände. Allerdings müssen Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen – um als klagebefugt anerkannt zu werden – über eine angemessene finanzielle Ausstattung verfügen. Im Hinblick darauf ist die Anwendung des § 12 Abs. 4 UWG zwar nicht ausgeschlossen. Es wird aber eine Grenze gezogen, bis zu deren Erreichen eine Streitwertherabsetzung nicht in Betracht kommt. Nach einer Entscheidung des BGH können sich Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen nur auf die Streitwertbegünstigung berufen, wenn der volle Streitwert deutlich über der Revisionssumme liegt (BGH MDR 98, 1237). Bei darüber hinausgehenden Streitwerten kommt eine Streitwertbegünstigung in Betracht.
Das Gericht bestimmt den zunächst „vollen“ Streitwert nach § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO. Danach wird von Amts wegen über dessen Verringerung aufgrund der Streitwertbegünstigung entschieden. Einige Gerichte (OLG Zweibrücken OLGR 03, 268; OLG Bamberg OLGR 99, 246) setzen regelmäßig die Hälfte des vollen Streitwerts an. Das OLG Koblenz ermäßigt den Streitwert auf 1/2 bis 1/4 (OLG Koblenz WRP 88, 763). Bei Klagen von Verbänden i.S. des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG kommt bis zur Streitwerthöhe von 30.000 EUR eine Begünstigung – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – nicht in Betracht, weil die Mittel eines Verbandes für solche Prozesse ausreichen müssen (BGH MDR 98, 1237). Solche außergewöhnlichen Umstände können sein: Häufung von Verfahren mit besonders hohem Kostenrisiko, große Anzahl von Passivprozessen, die den eigentlich für die Führung von Verfahren ausreichenden Prozesskostenfonds ausgeschöpft haben.
Rechtsmissbrauch kommt auch in Betracht, wenn dem Antragsteller PKH wegen mangelnder Erfolgsaussicht versagt worden ist und er den Rechtsstreit auf eigene Kosten, aber streitwertbegünstigt führen will. Denn es ist missbräuchlich, Prozesse auf Kosten der Allgemeinheit zu führen, die von vornherein aussichtslos sind. Ebenso verhält es sich, wenn der Antragsteller sich in Liquidation befindet, nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde. Dann kann die Prozessführung seine wirtschaftliche Existenz nicht weiter verschlechtern. Dass möglicherweise eine bessere Befriedigung der Gläubiger erzielt wird, ist unerheblich.
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