Konsequenz bei unangemessen hoher Vergütung: Ist eine vereinbarte Vergütung unter Berücksichtigung aller Umstände unangemessen hoch, kann sie im Rechtsstreit auf den angemessenen Betrag bis zur Höhe der gesetzlichen Vergütung herabgesetzt werden. Vor der Herabsetzung muss das Gericht ein Gutachten des Kammervorstands einholen, § 4 Abs. 4 RVG. Unangemessene Höhe einer vereinbarten Vergütung: Die Rechtsprechung nimmt eine unangemessene Höhe an, wenn - zwischen der vereinbarten Vergütung und der Tätigkeit des Anwalts,
- ein nicht zu überbrückender Zwiespalt besteht,
- so dass es schlechthin unerträglich ist, den Auftraggeber an seinem Honorarversprechen festzuhalten (BGH AnwBl. 05, 582 mit abl. Anm. Henke; OLG Frankfurt RVG prof. 06, 68, Abruf-Nr. 060726).
Eine generelle Vorhersage der unangemessenen Vergütung ist nicht möglich. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an. Es gelten aber folgende Maßstäbe für die Einzelfallprüfung: - Zeitpunkt der Prüfung: Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Anwaltsvergütung in angemessenem Verhältnis zur Tätigkeit steht, ist die Beendigung des Mandats. Anders als bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit, bei der auf den Moment der Vergütungsvereinbarung abzustellen ist, wird bei der Angemessenheitsprüfung eine nachträgliche Gesamtschau am Mandatsende durchgeführt, bei der der tatsächliche Verlauf der Bearbeitung berücksichtigt wird. Dem Einwand, die Vergütungshöhe sei unangemessen, kann der Anwalt also mit allen Aspekten, die bei der Mandatsbearbeitung von Belang waren, entgegentreten.
Praxishinweis: Um dem Vorwurf einer unangemessenen Vergütung entgegentreten zu können, empfiehlt es sich, die Einzelheiten der Mandatsbearbeitung so genau wie möglich zu dokumentieren. - Maßstab für Unangemessenheit: Die Rechtsprechung orientiert sich in der Regel an den gesetzlichen Höchstgebühren, um die Angemessenheit der Höhe der vereinbarten Vergütung zu beurteilen.
- Orientierungsgröße: Eine Überschreitung der Höchstgebühren bis zum Fünf- bis Siebenfachen war früher angemessen (OLG Hamm AGS 02, 268). Der BGH geht bei der Strafverteidigung davon aus, dass sich die Frage der Unangemessenheit nicht stellt, wenn die vereinbarte Vergütung nicht mehr als das Fünffache der gesetzlichen Höchstgebühren beträgt (AnwBl.05, 582 mit. abl. Anm. Henke).
Beim Zivilrecht oder öffentlichen Recht differenziert der BGH auch nach der Höhe des Streitwerts. Bei hohen Streitwerten, z.B. von 3,5 Mio. DM, wurde eine Anwaltsvergütung als unangemessen hoch bewertet, die mehr als das Fünffache der gesetzlichen Gebühr betrug, weil nichts dafür spreche, dass die anwaltliche Tätigkeit durch die gesetzlichen Gebühren nicht angemessen abgegolten sei (BGH NJW 00, 2669). Die Höhe des Streitwerts hilft allerdings nicht weiter, wenn sich die gesetzlichen Gebühren nicht nach dem Streitwert richten, z.B. bei Strafverteidigung oder in Sozialgerichtsverfahren (ausführlich zur Abrechnung im Sozialrecht Schäfer, RVG prof. 06, 71; 88; 106; 125; 142 und 159). Die gesetzlichen Gebühren stellen aber keine feste Obergrenze dar, von der ab die Unangemessenheit zu bejahen ist. Vielmehr ist eine darüber hinaus gehende Vergütungsvereinbarung auch unter dem Aspekt des erforderlichen Zeitaufwands und der Angemessenheit des Stundensatzes zu beurteilen (OLG Hamm, a.a.O.). Auch der BGH hält die Angemessenheit einer den sechsfachen Betrag der gesetzlichen Höchstgebühr übersteigenden Vergütungsvereinbarung bei Strafverteidigung für möglich, wenn der Anwalt ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzellfallbezogene Umstände darlegt. Die BGH-Entscheidungen in Zivilsachen lassen erkennen, dass die Begrenzung auf den fünf- bis sechsfachen Faktor der gesetzlichen Höchstgebühren nur bei hohem, also im oberen sechsstelligen Bereich, liegenden Streitwerten gilt (BGH NJW 02, 2774; BGHZ 144, 343). I.d. Sinne haben die Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern bei ihrer 51. Tagung im September 05 für Zeitvergütungen beschlossen: - Eine Vereinbarung, die beinhaltet, dass das Fünf- bis Sechsfache der gesetzlichen Höchstgebühr nicht überschritten wird, ist nicht unangemessen.
- Bei Vergütungsvereinbarungen, die das Fünf- bis Sechsfache der gesetzlichen Höchstgebühren überschreiten, ist der Maßstab der Aufwandsbezogenheit, z.B. der Zeitaufwand, heranzuziehen.
- Die vereinbarte Zeitvergütung ist angemessen, wenn der Stundensatz angemessen ist und der Zeitaufwand nachvollziehbar dargelegt wird (RVG prof. 06, 34; Ebert, BRAK-Mitteilungen 05, 271).
- Sonderfall Musterprozesse: Bei diesen sind aus ökonomischen Gründen regelmäßig geringere Streitwerte anzusetzen, als es der über den entschiedenen Fall hinausgehenden Bedeutung entspricht. Daher kann hier die Grenze der Fünf- bis Sechsfachen gesetzlichen Höchstgebühren nicht maßgeblich sein. Es ist unter dem Aspekt der einzellfallüberschreitenden Bedeutung des Verfahrens eine Angemessenheit auch bei darüber hinaus gehenden Vergütungsvereinbarungen anzunehmen. Gleiches soll auch bei Streitigkeiten „um das Prinzip“ oder mit Präzedenzwirkung gelten. Beispiel: Nachbarrechtliche Auseinandersetzungen.
- Sonderfälle bei nicht ausreichender gesetzlicher Honorierung: Es gibt auch Rechtsbereiche, bei denen die gesetzliche Vergütung nach allgemeiner Übereinstimmung nicht zur ausreichenden Honorierung des Anwalts führt. Ausdrücklich genannt werden sozialrechtliche Angelegenheiten, Unterhaltsstreitigkeiten auf Grund der Streitwertbegrenzung auf den Jahresbetrag, Kündigungsschutzverfahren im Arbeitsrecht, Verwaltungsrechtsstreitigkeiten auf Grund der Orientierung am relativ niedrig gehaltenen verwaltungsrechtlichen Streitwertkatalog (dazu Hauskötter, RVG prof. 05, 88; 106; 142).
Kriterien zur Angemessenheit: Für die Prüfung der Angemessenheit können auch die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG, die für die Bestimmung einer Anwaltsgebühr im Einzelfall aus einem Gebührenrahmen verwendet werden, herangezogen werden: - Umfang der anwaltlichen Tätigkeit: Gemeint ist der zeitliche Arbeitsaufwand einschließlich Akten- und Literaturstudium, Abfassen von Texten, Besprechungen mit Mandanten, Gegnern und Dritten, einschließlich Telefonate, Recherchen zu rechtlichen und tatsächlichen Fragen usw.
- Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit: Maßgeblich sind besondere Schwierigkeiten der Bearbeitung im tatsächlichen und rechtlichen Bereich sowie in der Person des Mandanten bzw. der Beteiligten, z.B. fehlende Sprach- oder Ausdrucksfähigkeit, Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen usw.
- Bedeutung der Angelegenheit: Abzustellen ist auf die subjektive Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten, wie Auswirkung auf seine berufliche Stellung, auf sein Ansehen in der Öffentlichkeit, auf seine persönliche, familiäre oder wirtschaftliche Gesamtlebenssituation.
- Wirtschaftliche Verhältnisse des Mandanten: Maßgeblich sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, soweit sie überdurchschnittlich sind, wobei als Durchschnittssituation im Jahr 03 ein Brutto-Monatseinkommen für einen Ein-Personen-Haushalt von 2.066 EUR (= netto 1.654 EUR) und ein Brutto-Monatseinkommen bei Paaren ohne Kinder von 3.812 EUR (= netto 3.119 EUR) angesetzt werden (Otto, NJW 06, 1472). Überdurchschnittliche Einkommensverhältnisse werden bei einem um mehr als 50 Prozent über den genannten Beträgen liegenden Einkünften angenommen; angemessenes Wohneigentum wird noch nicht als Rechtfertigung für einen Aufschlag bewertet.
- Haftungsrisiko: Insbesondere dort, wo sich das gesteigerte Risiko nicht im erhöhten Gegenstandswert ausdrückt, z.B. bei Abfindungsvergleichen, anwaltlicher Beratung bei der Vertragsgestaltung, Entwurf von allgemeinen Geschäftsbedingungen, anwaltlicher Tätigkeit für ein Rechtsgeschäft, das wiederum Grundlage für weitere Rechtsgeschäfte ist usw.
- Sonstige Umstände: Insbesondere Spezialkenntnisse oder Sprachkenntnisse (die den Einsatz eines Dolmetschers einsparen) des Anwalts, Erfolg der Bearbeitung, schnelle Erledigung des Mandats, vom Mandanten erwünschte oder sachlich notwendige Tätigkeiten in der Nachtzeit, an Wochenenden oder Feiertagen, eine geniale Idee des Anwalts, die dem Mandanten einen erheblichen Vorteil bringt.
Vorzeitige Mandatsbeendigung: Hier gilt Folgendes: - Mandatskündigung: Endet das Mandat früher, als bei der Vergütungsvereinbarung zu Grunde gelegt, ergeben sich Probleme für die Angemessenheit des Honorars. Solche Fälle kommen vor bei
- Hinzuziehung eines anderen Anwalts durch den Mandanten,
- Vertrauensverlust zwischen Mandant und Anwalt verbunden mit Mandatsbeendigung,
- Mandatsbeendigung durch den Anwalt nach fehlerhafter oder fehlender Informationserteilung oder ausbleibender Honorarzahlung.
Falls für diese Fälle keine Regelung getroffen wurde, gilt § 628 BGB. Danach steht dem Anwalt nur jener Anteil der vereinbarten Vergütung zu, der der erbrachten Tätigkeit entspricht. § 628 BGB kann nicht durch allgemeine Geschäftsbedingungen ausgeschlossen werden. Der BGH bewertet § 628 BGB als zentrale Vorschrift zur Bestimmung der Gegenleistung (BGH NJW 87, 315; vgl auch Onderka, RVG prof. 06, 137). Nach § 15 Abs. 4 RVG bleibt die vorzeitige Erledigung der Angelegenheit ohne Einfluss auf bereits entstandene Gebühren. Diese Vorschrift gilt aber bei einer vereinbarten Anwaltsvergütung nicht, sondern nur die Vorgaben von § 628 Abs. 1 S. 1 BGB. Nur auf den so ermittelten Vergütungsteil ist die Angemessenheit nach § 4 Abs. 4 RVG festzustellen. Frühzeitige Mandatsbeendigung: Ein Auftrag kann auch durch unerwartet schnelle Verfahrensbeendigung abgeschlossen werden. Dies kann für den Mandanten ein Vorteil sein. Beispiel: Ein Ermittlungsverfahren wird noch vor Anklageerhebung durch umsichtige Tätigkeit des Strafverteidigers zur Einstellung gebracht und dadurch für den Mandanten die Belastungen der Hauptverhandlung vermieden. Bei solchen Konstellationen kann auch eine relativ hohe Vergütung trotz frühzeitiger Mandatsbeendigung angemessen sein. Ist ein Zeithonorar vereinbart, sind Angemessenheitsprobleme der vorzeitigen Mandatsbeendigung nicht möglich, weil hier die tatsächlich geleistete Arbeit des Anwalts vergütet wird. Allenfalls könnte der Anwalt seine Vergütung als unangemessen gering ansehen angesichts seiner erfolgreichen Bearbeitung. |