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  • 01.08.2006 | Vorzeitige Auftragsbeendigung

    Gebührenabrechnung beim Anwaltswechsel

    von RiLG Dr. Julia Bettina Onderka, Bonn

    Endet der Auftrag des Anwalts vorzeitig, wie z.B. bei einem Anwaltswechsel, sind zwei Themenkomplexe zu unterscheiden,  

    • zum einen (aus Sicht des Anwalts) die Auswirkungen auf den Gebührenanspruch gegenüber dem Mandanten und
    • zum anderen (aus Sicht des Mandanten) die Frage der Erstattungsfähigkeit der Gebühren im Verhältnis zum Gegner.

     

    Der Beitrag erläutert die beiden Themenkomplexe.  

    Innenverhältnis

    Der Anwalt erhält nach § 15 Abs. 1 RVG die Gebühren nur einmal. Sie gelten seine gesamte Tätigkeit von der Auftragserteilung bis zur Erledigung der Angelegenheit ab, § 15 Abs. 2 RVG. Das Gesetz sieht also keine gesonderte Vergütung für jede einzelne Tätigkeit vor, sondern vielmehr eine pauschale Gebühr, die sämtliche Einzeltätigkeiten derselben Angelegenheit abdeckt. In derselben Angelegenheit kann jede Gebühr grundsätzlich nur einmal ausgelöst werden und zwar auch dann, wenn der betreffende Gebührentatbestand mehrmals verwirklicht wird. Finden z.B. mehrere Verhandlungstermine statt, fällt die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG nur einmal an.  

     

    Nach § 15 Abs. 4 RVG ist es auf die entstandenen Gebühren regelmäßig ohne Einfluss, wenn sich die Angelegenheit vorzeitig erledigt oder der Auftrag endigt, bevor die Angelegenheit erledigt ist. Ebenso wie der Pauschalcharakter der Gebühr dazu führt, dass sie sämtliche Tätigkeiten des Anwalts in derselben Angelegenheit abdeckt und nicht auf den konkreten Umfang dieser Tätigkeiten abstellt, bleibt sie umgekehrt auch von einer Verringerung des Tätigkeitsumfangs unberührt.  

     

    Vorzeitige Erledigung

    Eine vorzeitige Erledigung der Angelegenheit liegt vor, wenn der Auftrag aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr durchgeführt werden kann. Der Anwalt behält seinen Anspruch auf die entstandenen Gebühren, § 15 Abs. 4 RVG. Der Höhe nach richtet sich die Vergütung ggf. nach besonderen Regelungen im Vergütungsverzeichnis, z.B. für Wertgebühren in Nrn. 3101, 3201, 3207, 3209, 3306 VV RVG.  

     

    Beispiel

    A beauftragt Rechtsanwalt R mit einer Räumungsklage. Bevor diese eingereicht werden kann, zieht der Mieter M freiwillig aus. A kann nur eine 0,8-Verfahrensgebühr aus Nr. 3101 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer fordern.  

     

    Bei den Rahmengebühren ist das vorzeitige Ende der Tätigkeit und der damit gegenüber dem Normalfall geringere Umfang der Sache bei der Bestimmung der konkreten Gebühr nach § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen.  

     

    Ende des Auftrags vor Erledigung der Angelegenheit

    Ein Ende des Auftrags vor Erledigung der Angelegenheit liegt vor, wenn der Anwaltsvertrag beendet wird, bevor der Anwalt seinen Auftrag vollständig erfüllt hat. Es sind dies die Fälle, in denen der Anwaltsvertrag einvernehmlich aufgehoben, gekündigt oder seine Erfüllung unmöglich wird. Auch hier gilt nach § 15 Abs. 4 RVG, dass der Anwalt die bereits entstandenen Gebühren dem Grunde nach fordern kann. Die Gebührenhöhe ergibt sich daraus, auf welche Umstände das vorzeitige Ende des Auftrags zurückzuführen ist.  

     

    • Einvernehmliche Aufhebung: Heben Anwalt und Mandant den Vertrag einvernehmlich auf, ist in erster Linie auf die Aufhebungsvereinbarung abzustellen. Wenn diese keine Regelung enthält, können die bisher angefallenen Gebühren in voller Höhe verlangt werden.

     

    Praxishinweis: Da mit einer solchen Aufhebungsvereinbarung, die sich nur auf die bereits entstandenen Gebühren bezieht, die gesetzliche Vergütung nicht überschritten werden kann, ist sie unabhängig von den Formerfordernissen des § 4 Abs. 1 RVG wirksam.

     

    • Kündigung: Nach § 627 Abs. 1 BGB kann der Anwaltsvertrag als Dienstvertrag mit dem Inhalt einer Geschäftsbesorgung von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist und ohne wichtigen Grund gekündigt werden. Welche Auswirkungen eine Kündigung auf den Gebührenanspruch des Anwalts hat, hängt davon ab, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie ausgesprochen wurde.

     

    • Kündigung durch den Anwalt: Kündigt der Anwalt auf Grund eines vertragswidrigen Verhaltens des Mandanten den Anwaltsvertrag, kann er die angefallenen Gebühren in voller Höhe geltend machen, § 628 Abs. 1 S. 1 BGB i.V. mit § 15 Abs. 4 RVG. Die angefallenen Gebühren sind der Teil der Vergütung, der der bisherigen Leistung des Anwalts entspricht.

     

    Gründe für die Kündigung des Mandats
    • ausbleibende Vorschusszahlung trotz Ankündigung der Mandatsniederlegung (OLG Düsseldorf AGS 93, 74);
    • vorsätzliche Falschinformation des Anwalts (OLG Düsseldorf AGS 93, 74);
    • Forderung unbegründeter Ansprüche gegen den Anwalt (OLG Karlsruhe AnwBl. 94, 522);
    • unzumutbare Forderungen, z.B. bezüglich der Prozessführung (OLG Hamm AGS 96, 16).
    Kündigt der Anwalt das Mandat, ohne dass ein vertragswidriges Verhalten des Mandanten vorliegt, kann er die angefallenen Gebühren zwar wieder voll liquidieren, § 628 Abs. 1 S. 1 BGB i.V. mit § 15 Abs. 4 RVG. Nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB kann er den Vergütungsanspruch aber insoweit nicht mehr geltend machen, als seine bisherige Tätigkeit für den Mandanten nicht mehr von Interesse ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Mandant einen zweiten Anwalt beauftragen muss, der das Mandat zu Ende führt (BGH NJW 85, 41; differenzierend: OLG Karlsruhe MDR 94, 519). Soweit für die Tätigkeit dieses Anwalts Gebühren anfallen, ist ein Vergütungsanspruch des ersten Anwalts ausgeschlossen, ohne dass es einer Aufrechnungserklärung des Mandanten bedarf (BGH NJW 82, 437). Der erste Anwalt kann nur noch die Gebühren verlangen, die für die Tätigkeit seines Nachfolgers nicht angefallen sind.

     

    Beispiel

    Anwalt A legt nach mündlicher Verhandlung sein Mandat nieder, da es zu persönlichen Differenzen zwischen ihm und dem Mandanten M gekommen ist, ohne dass diese ein vertragswidriges Verhalten darstellen. Für M bestellt sich bei Gericht Anwalt B. Sodann ergeht ohne weitere mündliche Verhandlung ein Urteil. Welche Gebühren kann A geltend machen?  

     

    Lösung: A kann die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG fordern. Da B erst nach der mündlichen Verhandlung mandatiert wurde und keinen weiteren Termin wahrgenommen hat, sind für seine Tätigkeit nur die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG und die Auslagenpauschale entstanden. Hinsichtlich der Terminsgebühr ist eine Doppelzahlung ausgeschlossen.  

    • Kündigung des Mandanten: Spricht der Mandant die Kündigung aus, weil sich der Anwalt vertragswidrig verhält, erlischt der Vergütungsanspruch des Anwalts nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB, soweit seine Leistung für den Mandanten nicht mehr von Interesse ist. Darüber hinaus ist der Anwalt nach § 628 Abs. 2 BGB dem Mandanten schadenersatzpflichtig, wobei der Schaden insbesondere in den Kosten für die Erhebung einer aussichtslosen Klage liegen kann. In diesen Fällen kann der Anwalt keine Vergütung verlangen.

     

    Checkliste: Vertragswidriges Verhalten des Anwalts
    • unzureichende Aufklärung über einen drohenden Interessenkonflikt (BGH NJW 85, 41);
    • unberechtigte Honorarforderungen (LG Karlsruhe MDR 91, 548);
    Spricht der Mandant die Kündigung aus, ohne dass ein vertragswidriges Verhalten des Anwalts vorliegt, kann dieser die bereits angefallenen Gebühren verlangen. Dieser Anspruch steht ihm, da § 628 Abs. 1 S. 2 BGB nicht einschlägig ist, auch insoweit zu, als der Mandant einen zweiten Anwalt beauftragt, für dessen Tätigkeit die Gebühren ebenfalls entstehen. Darüber hinaus kann er auf Grund der in § 628 Abs. 2 BGB normierten Schadenersatzpflicht vom Mandanten die Zahlung derjenigen Gebühren verlangen, die ohne eine Kündigung des Mandats voraussichtlich angefallen wären.

     

    Beispiel

    Am Vortag der mündlichen Verhandlung kündigt M seinem Anwalt A ohne Angabe von Gründen das Mandat und lässt sich im Termin von Anwalt B vertreten. In diesem Fall kann A – unabhängig von der Tätigkeit des B – neben der bereits entstandenen Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) sowie der Auslagepauschale auch noch die Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) abrechnen. Denn ohne eine Kündigung des Auftrags wäre diese Gebühr nach dem Verlauf des Verfahrens bzw. der bereits erfolgten Terminierung durch das Gericht ebenfalls entstanden.  

    Der Anwalt muss sich aber die Einkünfte anrechnen lassen, die er durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erzielt oder schuldhaft zu erzielen unterlassen hat, wobei die Darlegung eines solchen Schadens auf Grund der freien Zeitplanung eines Anwalts schwierig sein wird.

     

    • Ausscheiden des Anwalts aus der Kanzlei: Endet der Auftrag, weil der betreffende Sachbearbeiter aus der Kanzlei ausscheidet und den Mandanten „mitnimmt“, ist hinsichtlich des Vergütungsanspruchs zu unterscheiden: Hat der Mandant den Vertrag mit der Sozietät geschlossen (z.B. weil der Sachbearbeiter angestellter Anwalt war oder es dem Mandanten auf die persönliche Bindung nicht ankam), steht der Vergütungsanspruch auch weiterhin der Sozietät zu. Der Mandant kann nur die Zahlung verweigern, wenn der Anwaltsvertrag unmittelbar und ausschließlich mit dem Sachbearbeiter geschlossen wurde oder dieser anlässlich seines Ausscheidens eine entsprechende Vereinbarung mit der Sozietät getroffen hat.

     

    • Unmöglichkeit: Wird die Vertragserfüllung unmöglich, gilt allgemeines Schuldrecht. Mit der Unmöglichkeit der Anwaltsleistung, z.B. durch den Tod des Anwalts oder den Verlust der Zulassung, erlischt der Erfüllungsanspruch des Mandanten nach § 275 Abs. 1 BGB. Ob der Anwalt seinen Anspruch auf die Gegenleistung (Vergütung) behält, richtet sich nach § 326 BGB. Danach gilt im Grundsatz, dass mit Eintritt der Unmöglichkeit der Anwaltsleistung auch der Anspruch des Anwalts auf die Vergütung entfällt. Im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses wie des Anwaltsvertrages erfasst § 326 Abs. 1 BGB allerdings nur die künftig entstehenden Gebühren. Denn hinsichtlich der entstandenen Gebühren ist die Leistung erbracht und kann nicht mehr unmöglich werden. Ob der Anwalt also die bereits verdienten Gebühren abrechnen bzw. noch weitere Gebühren verlangen kann, hängt davon ab, welche Partei die Unmöglichkeit vertreten muss.

     

    Hat keine Partei die Unmöglichkeit zu vertreten, z.B. bei Aufgabe der Zulassung auf Grund plötzlicher Krankheit, kann der Anwalt nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB i.V. mit § 15 Abs. 4 RVG die entstandenen Gebühren fordern.

     

    Muss der Anwalt die Unmöglichkeit vertreten, z.B. bei Ausschluss aus dem Anwaltsstand oder Aufgabe der Zulassung, um einem solchen Ausschluss zuvorzukommen, verliert er den Anspruch auf künftig entstehende Gebühren nach § 326 Abs. 1 BGB. Darüber hinaus ist er nach §§ 275 Abs. 4, 281, 283 BGB dem Mandanten zu Schadenersatz statt der Leistung verpflichtet. Dieser Schadenersatzanspruch umfasst jedenfalls den Betrag, den der Mandant für die Tätigkeit eines neuen Anwalts aufbringen muss.

     

    Umstritten ist, ob der Anwalt seinen Anspruch auf die bisherigen Gebühren verliert, wenn er die Zulassung aus sog. achtenswerten Gründen (Wechsel in den öffentlichen Dienst, Umzug aus beruflichen oder persönlichen Gründen etc.) aufgibt. Viele OLG belassen ihm diese Gebühren, soweit er nicht bei Übernahme des Mandats die Aufgabe der Zulassung absehen konnte (OLG Hamburg JurBüro 93, 351; OLG Hamm NJW-RR 96, 1343). Das OLG München rechnet dagegen die freiwillige Aufgabe der Zulassung dem Anwalt zu, so dass er keine Gebühren verlangen könne, die für einen zweiten Anwalt ebenfalls entstanden seien (AGS 02, 174).

     

    Hat der Mandant den Umstand, der zur Unmöglichkeit führte, allein oder weit überwiegend zu vertreten, behält der Anwalt nach § 326 Abs. 2 S. 1 BGB den Anspruch auf seine vollständige Vergütung. Er kann damit vom Mandanten die Zahlung derjenigen Gebühren verlangen, die ohne Eintritt der Unmöglichkeit voraussichtlich angefallen wären. Er muss sich nach § 326 Abs. 2 S. 2 BGB allerdings dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Befreiung von der Leistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

    Erstattung der Mehrkosten

    Hat eine Partei im Verfahren den Anwalt gewechselt, sind – wenn der erste Anwalt seinen Vergütungsanspruch nicht verloren hat – Mehrkosten für den zweiten Anwalt entstanden. Nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO sind die Kosten mehrerer Anwälte von der unterlegenen Partei nur zu erstatten, wenn in der Person des Anwalts ein Wechsel eintreten musste. Dies wird nur angenommen, wenn weder die Partei noch den ersten Anwalt ein Verschulden am Wechsel trifft, denn der unterlegene Gegner soll nicht die Nachteile aus einer Doppelbeauftragung tragen müssen, die von der Gegenseite verschuldet wurden.  

     

    Ein verschuldeter Wechsel wurde in den folgenden Fällen angenommen und daher auch eine Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten abgelehnt:  

    • Tod einer Partei, worauf der Erbe zur Fortführung des Rechtsstreits einen neuen Anwalt beauftragte (OLG Hamburg MDR 79, 762);
    • Versicherer will anderen Anwalt (OLG Nürnberg JurBüro 90, 726);
    • Differenzen zwischen Partei und Anwalt (OLG Hamburg MDR 98, 928).

     

    Ein unverschuldeter Wechsel, der eine Erstattungspflicht der Mehrkosten nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO nach sich zieht, wurde bejaht bei  

    • Tod des Anwalts (OLG Düsseldorf JurBüro 85, 1870), wenn nicht von vornherein eine Sozietät beauftragt war (OLG München AnwBl. 95, 109);
    • Aufgabe der Zulassung bzw. Berufsunfähigkeit infolge schwerer Krankheit (LG Regensburg ZfS 04, 528; LG Landshut JurBüro 04, 144);
    • Mandatsniederlegung auf Grund unvorhersehbarer Interessenkollision.

     

    Ist der Anwaltswechsel durch die Aufgabe der Zulassung des ersten Anwalts bedingt, wird wiederum danach unterschieden, auf welchen Gründen er beruht. Sind sog. achtenswerte Gründe für die Aufgabe der Zulassung gegeben (z.B. Wechsel in den öffentlichen Dienst, Umzug aus persönlichen oder beruflichen Gründen), sieht eine Vielzahl von Obergerichten darin keinen vom Anwalt verschuldeten Wechsel (OLG Hamburg JurBüro 93, 351; OLG Hamm NJW-RR 96, 1343). Eine Ausnahme wird nur in den Fällen gemacht, in denen dem Anwalt bereits bei Mandatsübernahme bekannt war, dass er die Zulassung in absehbarer Zeit aufgeben und deshalb das Mandat voraussichtlich nicht zu Ende führen kann. Darin wird ein Verschulden im Hinblick auf eine Informationspflichtverletzung gesehen, die einen Schadenersatzanspruch des Mandanten auslöse und einer Erstattungsfähigkeit der Gebühren entgegenstehe (a.A. OLG Naumburg OLGR 05, 438 und OLG München AGS 02, 174: Das Vorliegen achtenswerter Gründe ist nicht entscheidend).  

    Quelle: Ausgabe 08 / 2006 | Seite 136 | ID 91927