· Fachbeitrag · Rechtsprechungsübersicht
Bemessung der Verfahrensgebühr im Strafverfahren
von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster /Augsburg
| Die Verfahrensgebühr zählt zu den Gebühren, die das RVG zur Abrechnung der Tätigkeiten des Verteidigers in Straf-/Bußgeldverfahren neben der Terminsgebühr und der Grundgebühr vorsieht (RVG prof. 13, 176). Wesentliches Bemessungskriterium ist der zeitliche Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Nachfolgend wird die für die Gebührenhöhe maßgebliche Rechtsprechung zusammengestellt. |
Rechtsprechungsübersicht / Allgemeine Kriterien zur Bemessung der Verfahrensgebühr | |
KG StV 06, 198 = AGS 06, 278 = RVGreport 07, 180 OLG Hamm StraFo 07, 218 OLG Köln RVG prof. 08, 12 | Bei der Feststellung der angemessenen Gebühr nach § 14 Abs. 1 RVG ist eine Abwägung aller Umstände, das heißt der gebührenerhöhenden und -mindernden vorzunehmen. Dabei ist jeweils von der Mittelgebühr auszugehen. |
KG StV 06, 198 = AGS 06, 278 = RVGreport 07, 180 | Entscheidendes Kriterium für den „Umfang der anwaltlichen Tätigkeit“ ist vor allem der zeitliche Aufwand, den der Verteidiger auf die Führung des Mandats verwendet hat. |
LG Meiningen JurBüro 11, 642 LG Zweibrücken RVG prof. 11, 34 LG Zweibrücken JurBüro 12, 247 = AGS 12, 433 | Bei der Gebührenbemessung ist grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen.
(Fahren ohne Fahrerlaubnis, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Hauptverhandlung von weit mehr als einer Stunde, Anhörung mehrerer Zeugen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers, vorbelasteter Angeklagter mit drohender erheblicher Fahrerlaubnissperre) |
OLG Düsseldorf RVGreport 11, 57 = StRR 11, 119 | Die Angelegenheit ist von einschneidender Bedeutung, wenn eine langjährige Haftstrafe droht (hier: Haftbefehl mit 22 Fällen, Haftrahmen ein bis zehn Jahre). Auch in Anbetracht der einschneidenden Bedeutung sind im Hinblick auf einen eher durchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und insbesondere schlechter finanzieller Verhältnisse (hier: teilmöblierte Ein-Zimmer-Wohnung, 800 EUR Monatseinkommen als Reinigungskraft) aber keine höheren Gebühren als leicht erhöhte Verfahrensgebühren gerechtfertigt. |
OLG Düsseldorf RVGreport 13, 54 = NStZ-RR 13, 63 = JurBüro 13, 80 = StRR 13, 238 | Die Bedeutung der Angelegenheit war für die unbescholtene Mandantin, die einen Handyladen in exponierter Lage in einer deutschen Großstadt betrieb, überdurchschnittlich, weil mit dem Ausspruch einer nichtbewährungsfähigen Freiheitsstrafe die berufliche Existenz bedroht gewesen wäre. |
OLG Hamm AGS 13, 254 | Die Bedeutung der Angelegenheit für die Mutter der Getöteten war hoch. |
OLG Köln NStZ-RR 11, 360 = RVGreport 12, 98 | Schwurgerichtssache: Es bestand ein erhebliches persönliches Interesse des Mandanten/Nebenklägers als Angehöriger des Verstorbenen. Dies wurde aber durch den eher durchschnittlichen Umfang des Verfahrens (zwar zehn Hauptverhandlungs-Tage, aber nur rund 600 Blatt Akten) aufgewogen. |
OLG Köln NStZ-RR 11, 360 = RVGreport 12, 98 | Der Ansatz der Höchstgebühr allein wegen eines Bestimmungsmerkmals muss Extremfällen vorbehalten bleiben. |
LG Dortmund 15.6.11, 35 Qs 50/11, Abruf-Nr. 133535 | 400 EUR unterdurchschnittliche Einkommensverhältnisse, eine besondere Bedeutung der Sache für den nicht vorbestraften Angeklagten und eine überdurchschnittliche Schwierigkeit führen zu einer insgesamt durchschnittlichen Angelegenheit und dem Ansatz der Mittelgebühr. |
LG Essen AGS 08, 225 = StV 08, 375 | Unterdurchschnittlichkeit besteht nicht allein deshalb, weil nur eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht droht. |
LG Koblenz JurBüro 10, 34 | Der/die unterdurchschnittliche Umfang/Schwierigkeit werden durch die hohe Bedeutung für den Betroffenen (zu erwartende Freiheitsstrafe in einer Verkehrsstrafsache) kompensiert. Der Ansatz der Mittelgebühr ist gerechtfertigt. |
LG Neuruppin 19.4.12, 21 Qs 4/12, Abruf-Nr. 133536 | Jugendsachen sind nicht grundsätzlich von geringerer Bedeutung. |
LG Koblenz JurBüro 10, 475 | Ein (Strafrichter-)Verfahren für einen Angeklagten, der unter zweifacher Bewährung steht und bei einer Verurteilung mit dem Widerruf rechnen muss, ist von großer Bedeutung. |
AG Bensheim | Ein Verfahren, in dem nach einem Verkehrsunfall eine Geldstrafe von mindestens 50 Tagessätzen sowie ein Fahrverbot nach § 44 StGB mit Auswirkungen auf einen Zivilrechtsstreit drohte, hat überdurchschnittliche Bedeutung. |
OLG Hamm AGS 13, 254 | Wenn der Rechtsanwalt der Nebenklägerin nicht ausschließlich rechtlich Beistand zu leisten hatte, sondern ihr auch persönlich in der für sie äußerst belastenden Situation beratend und unterstützend zur Seite stehen musste, ist die Art der Tätigkeit des Beschwerdeführers als schwierig einzustufen. |
LG Zweibrücken RVG prof. 11, 34 | Die Mindestgebühr kommt nur bei ganz einfachen Sachen von geringem Umfang in Betracht, wenn zudem die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und die Bedeutung der Angelegenheit für den Beschuldigten unterdurchschnittlich sind. |
LG Bochum 10.5.06, 10 Qs 8/06, www.burhoff.de | Die Frage, ob Höchstgebühren angemessen sind, ist eine Einzelfallentscheidung. Der Höchstwert des Rahmens ist nur bei überdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und einer besonderen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit anzusetzen - nicht schon, wenn die Sache zwar eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hat, rechtlich aber einfach gelagert ist. |
LG Nürnberg-Fürth | Bei überdurchschnittlichem Umfang (500 Seiten Verfahrensakte) und überdurchschnittlicher Bedeutung der Angelegenheit (fahrlässige Tötung) hat der Nebenklägervertreter Anspruch auf die Höchstgebühr. |
LG Saarbrücken StraFo 09, 174 = RVGreport 09, 424 | Wenn ein Freispruch in der Berufungsinstanz erkennbar auf eine verbesserte Verteidigungsstrategie zurückzuführen ist, die im Ergebnis zu einer anderen Bewertung der Beweismittel durch das Berufungsgericht führt, kann es gerechtfertigt sein, für die Berufungsinstanz höhere Rahmengebühren als für die erste Instanz als angemessen anzusehen. |
Rechtsprechungsübersicht / Besondere Kriterien zur Bemessung der Verfahrensgebühr | |
KG StV 06, 198 = AGS 06, 278 = RVGreport 07, 180 | Schwerhörigkeitsbedingte Verständigungsschwierigkeiten mit dem Mandanten können bei der für die Bestimmung der Verfahrensgebühren vorzunehmenden Bewertung des Schwierigkeitsgrads der anwaltlichen Tätigkeit erheblich ins Gewicht fallen. |
KG JurBüro 13, 361 | Die Anordnung der Selbstlesung von Schriftstücken ist bei der Terminsgebühr nicht gebührenerhöhend zu berücksichtigen. Das Studium von Urkunden, die nach § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, steht in keinem direkten Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit für einen bestimmten Verhandlungstermin. Der dafür erforderliche Zeitaufwand wird mit der gerichtlichen Verfahrensgebühr bezahlt. |
LG Detmold StRR 08, 363 (Ls.) = VRR 08, 363 (Ls.) | Der Schriftsatz, in dem sich der Verteidiger gegen die beantragte vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wendet, rechtfertigt keine Erhöhung der Verfahrensgebühr um mehr als 50 Prozent gegenüber der Mittelgebühr. |
LG Kiel 7.1.13, 2 Qs 67/12, Abruf-Nr. 133537 | Es war eine leicht erhöhte Mittelgebühr im amtsgerichtlichen Verfahren wegen deutlich erhöhten Arbeitsaufwands infolge der Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen und eines fünfseitigen Schriftsatzes mit Würdigung der Beweisaufnahme gerechtfertigt. |
LG Dresden 9.8.06, 4 Qs 20/06, www.burhoff.de | Zur Zuerkennung der Wahlanwaltshöchstgebühr bei Einstellung des Verfahrens aufgrund einer umfangreichen Schutzschrift des Verteidigers |
LG Karlsruhe 2.11.05, 2 Qs 26/05, NStZ-RR 06, 132 | Bei der Bemessung der Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren sind Vergleichsmaßstab sämtliche Strafverfahren. |
LG Meiningen JurBüro 11, 642 | Für ein einfaches Privatklageverfahren (Vorwurf der Sachbeschädigung) war eine Verfahrensgebühr von 80 EUR angemessen. |
AG Lüdinghausen RVGreport 06, 183 | Verfahren vor dem Strafrichter: Der Ansatz der Mittelgebühren ist angemessen, wenn (aufgrund mehrerer Mandantengespräche und der schwierigen Beweislage) keine unterdurchschnittliche Tätigkeit vorliegt. |
AG Oschatz StRR 12, 240 = VRR 12, 240 | Die Teilnahme des Verteidigers an einem Sachverständigentermin berechtigt den Verteidiger nicht zu einer Erhöhung der (gerichtlichen) Verfahrensgebühr. Seine Teilnahme ist nicht notwendig im Sinne von § 464b StPO in Verbindung mit § 91 ZPO. |
AG Sinzig JurBüro 08, 249 | Die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren Nr. 4106 VV RVG deckt auch die Tätigkeit des Verteidigers in einem Verfahren über die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Wiedereinsetzungsantrags ab. Die zusätzliche Tätigkeit führt lediglich zur Erhöhung der Gebühr. Die Tätigkeit im Beschwerdeverfahren rechtfertigt eine Erhöhung der Mittelgebühr um 15 Prozent. |
Weiterführender Hinweis
- RVG prof. 13, 176: 25 Fragen und Antworten zur Verfahrensgebühr in Straf- und Bußgeldverfahren