· Fachbeitrag · DAV-/BRAK-ECKPUNKTEPAPIER
Diese Änderungen fordern die Anwälte für das Zivilverfahren
von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz
| Mit dem Ziel, weitere RVG-Veränderungen anzuregen, haben der Deutsche Anwaltverein (DAV) und die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) gemeinsam ein „Eckpunktepapier“ erstellt. Eine Übersicht über potenzielle Neuerungen im Bereich zivilrechtlicher Verfahren präsentiert der folgende Beitrag. Weitere Details sind unter dem Link iww.de/s8773 verfügbar. |
1. Zusatzgebühr soll zusätzlichen Aufwand honorieren
Die Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG soll unabhängig von der Durchführung einer Beweisaufnahme bei der Teilnahme an mehr als zwei Terminen mit einer Gesamtdauer von insgesamt mehr als 120 Minuten entstehen. Dies gilt für gerichtliche Termine, Güterichtertermine und Termine mit gerichtlich bestellten Sachverständigen, jedoch nicht für Termine zur Verkündung von Entscheidungen oder Besprechungen. Der Änderungsvorschlag sieht im einzelnen Folgendes vor:
- Die Terminsgebühr wird in Angelegenheiten, die nach Teil 3 des RVG abgerechnet werden, um 0,3 erhöht. Voraussetzung ist, dass mehr als zwei Termine mit einer Gesamtdauer von mehr als 120 Minuten wahrgenommen werden.
- Bei Betragsrahmen erhöhen sich der Mindest- und Höchstbetrag der Terminsgebühr um 30 Prozent.
- Die Anmerkung in Satz 2 zu Nr. 1010 VV RVG wird gestrichen. Das Güterichterverfahren wird explizit im Normtext erwähnt, um Anreize für einvernehmliche Konfliktlösungen zu setzen.
Beachten Sie | Die vorgeschlagene Änderung basiert auf der Tatsache, dass die bestehende Gebühr aufgrund hoher Hürden in der Praxis kaum relevant ist. Die Neuregelung soll den erheblichen zusätzlichen Aufwand von Rechtsanwälten bei mehreren Gerichtsterminen ausgleichen. Nach einer Umfrage finden durchschnittlich zwei gerichtliche Termine pro Verfahren statt und die Terminsdauer beträgt im Median 60 bis 90 Minuten. Daher sollen mehr als zwei Termine mit einer Gesamtdauer von mehr als 120 Minuten die Zusatzgebühr auslösen. Rechtsanwälte sind an zügigen Verfahren interessiert, da lange Verfahren für sie unwirtschaftlich sind.
2. 0,5-Geschäftsgebühr wird wieder auf Inkasso beschränkt
Seit dem 1.10.21 kann nach Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG bei Inkassodienstleistungen nur eine 0,5-Geschäftsgebühr erhoben werden, wenn in einfachen Fällen eine unbestrittene Forderung auf die erste Zahlungsanforderung beglichen wird. Diese Regelung sollte die als zu hoch angesehenen Inkassokosten reduzieren und Schuldner vor unnötigen Belastungen schützen, insbesondere im Rahmen von Masseninkasso.
In der Praxis ist der reduzierte Gebührenrahmen dann jedoch nicht nur beim typischen Forderungseinzug, sondern auch in klassischen anwaltlichen Mandaten angewendet worden. So sehen Haftpflichtversicherer teilweise bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung in Verkehrsunfallsachen die reduzierte Geschäftsgebühr als einschlägig an. Dies geht über den ursprünglichen Anwendungsbereich des Gesetzes hinaus, das den Schutz von Verbrauchern bei Inkassodienstleistungen bezweckt.
Der Anwendungsbereich des reduzierten Gebührenrahmens soll daher auf diesen vom Gesetzgeber gewollten Anwendungsbereich beschränkt werden. Absatz 2 der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG soll entsprechend angepasst lauten: Die Gebühr von mehr als 0,9 soll nur gefordert werden können, wenn der Auftrag eine Inkassodienstleistung betrifft, die eine unbestrittene Forderung eines Unternehmers aus einem Verbrauchervertrag i. S. d. § 310 Abs. 3 BGB betrifft. Dadurch wird der Anwendungsbereich auf vertragliche Forderungen gegenüber Verbrauchern eingeschränkt.
Beachten Sie | Die Beschränkung auf Verbraucherverträge ist sachgerecht. Denn Schuldner z. B. aus unerlaubter Handlung sind nicht in gleicher Weise schutzwürdig, da die Prüfung einer solchen Forderung über die einer vertraglichen Forderung hinausgeht. Die neue Formulierung betont den gebührenrechtlichen Grundsatz, dass es immer auf den erteilten Auftrag ankommt. Dies folgt bereits einer bestehenden Regelung in Nr. 2301 VV RVG.
3. Verfahrenswerte in Kindschaftssachen u. Ä. anheben
Es wird vorgeschlagen, die Verfahrenswerte in Kindschafts-, Gewaltschutz- und Abstammungssachen anzuheben. Der aktuelle Verfahrenswert in isolierten Kindschaftssachen beträgt 4.000 EUR und sollte auf 5.000 EUR erhöht werden, um die Tätigkeit in diesem Bereich angemessen zu honorieren. Denn es ist nicht nachvollziehbar, warum andere Streitigkeiten mit geringerer Bedeutung (z. B. der Streit um einen Waffenschein, die Bewilligung von Urlaub, eine dienstliche Beurteilung im Beamtenrecht oder eine Jägerprüfung) mit 5.000 EUR zu bewerten sind. Und demgegenüber für Streitigkeiten im Bereich der elterlichen Sorge und des Umgangs, bei denen das Wohl eines Kindes im Mittelpunkt steht, nur 4.000 EUR anzusetzen sind.
Darüber hinaus wird vorgeschlagen, die Regelung des § 45 Abs. 2 FamGKG zu streichen und jedes Kind bei der Wertberechnung gesondert zu berücksichtigen. Geschwisterkinder sind eigene Subjekte mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen. Die Festsetzung eines Einheitswerts unabhängig von der Anzahl der Kinder berücksichtigt dagegen weder die tatsächliche Bedeutung noch den erhöhten Aufwand.
Die Verfahrenswerte in Gewaltschutzsachen nach dem GewSchG sind derzeit mit nur 2.000 EUR bzw. 3.000 EUR bei Wohnungsüberlassung (§ 49 FamGKG) sowie in Abstammungssachen mit 2.000 EUR (§ 47 FamGKG) ebenfalls deutlich zu niedrig bemessen. Diese Werte wurden seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angehoben und sind ebenfalls entsprechend anzupassen.
4. Angelegenheitsbegriff soll klargestellt werden
Es wird vorgeschlagen, § 17 RVG zu ändern. Damit wird klargestellt, dass jedes einzelne behördliche, vorgerichtliche oder gerichtliche Verfahren eine gesonderte gebührenrechtliche Angelegenheit darstellt. Dies soll Missverständnisse beseitigen, die durch eine frühere Gesetzesänderung entstanden sind. Obwohl § 17 Nr. 1 RVG bereits festlegt, dass das Verfahren über ein Rechtsmittel und der vorherige Rechtszug verschiedene Angelegenheiten sind, wird in der Rechtsprechung z. T. vorgetragen, dass verschiedene gerichtliche oder behördliche Verfahren eine einheitliche Angelegenheit sein können, wenn sie inhaltlich zusammenhängen.
Die vorgeschlagene Änderung soll im Gesetzestext festlegen, dass auch parallele behördliche oder gerichtliche Verfahren als verschiedene Angelegenheiten betrachtet werden. Dies ist konsequent, da Gerichtskosten in Parallelverfahren getrennt erhoben werden, unabhängig davon, ob sie getrennt weitergeführt oder aufgrund einer Sachnähe verbunden werden.
Beachten Sie | Die Regelung erscheint sachgerecht, da die Anzahl der Verfahren in der Regel in der Hand der Behörden liegt. Wenn die Behörde mehrere Bescheide erlässt, muss der Rechtsanwalt in jedem Verfahren gesondert tätig werden. Ein möglicher geringerer Aufwand bei der Bearbeitung kann durch die Bemessung der Gebühren berücksichtigt werden. Die Befürchtung einer möglichen willkürlichen Aufspaltung von Verfahren ist unbegründet: Denn die Rechtsanwälte haben die Pflicht, die Kosten möglichst gering zu halten. Und Mehrkosten ohne objektiven Grund sind nicht durchsetzbar. Dies ist allerdings eine Frage der Erstattung und nicht des Entstehens der Gebühren.
5. Fiktive Terminsgebühr auch für Erörterungstermine
In Verfahren, in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, kann auch ohne Termin oder Besprechung nach der Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG eine Terminsgebühr anfallen. Dies ist u. a. der Fall, wenn in einem solchen Verfahren eine Einigung erzielt wird (Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 1 VV RVG). Dadurch sollen gebührenrechtliche Anreize geschaffen werden, damit die Anwälte zur Vermeidung oder Erledigung von Rechtsstreiten beitragen und dem Gericht Aufwand ersparen.
Einige Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie Kindschaftssachen, erfordern zwingend einen gerichtlichen Termin, nämlich einen Erörterungstermin, der nicht im Ermessen des Gerichts liegt (vgl. § 155 Abs. 2 FamFG). Die Frage, ob in diesen Fällen eine „fiktive“ Terminsgebühr anfällt, wenn eine Einigung ohne tatsächlichen Termin erzielt wird, führte in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtsprechung:
- Ein Teil der Gerichte argumentiert, dass der Wortlaut der Vorschrift nur mündliche Verhandlungen betrifft, nicht jedoch Erörterungstermine (OLG München FamRZ 20, 367; OLG Zweibrücken FamRZ 19, 1083; OLG Karlsruhe FamRZ 14, 1941; OLG Schleswig NZFam 14, 470).
- Andere Gerichte erkennen richtigerweise den Anfall einer Terminsgebühr auch in diesen Fällen an (OLG Brandenburg, NZFam 21, 1026; OLG Brandenburg, MDR 22, 728; OLG Frankfurt, NJW 2022, 1822). Sie legen die Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 1 VV RVG dahin gehend aus, dass der Begriff „mündliche Verhandlung“ auch eine Erörterung nach § 155 Abs. 2 FamFG umfasst. Nur diese Auslegung entspreche dem Sinn und Zweck der Regelung.
Um Klarheit zu schaffen und dem Sinn und Zweck der Regelung gerecht zu werden, wird vorgeschlagen, die Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 1 VV RVG um Erörterungstermine zu ergänzen. Dies würde sicherstellen, dass der Gebührentatbestand auch in Verfahren mit vorgeschriebenen Erörterungsterminen Anwendung findet und die Gerichte entlastet werden.
6. Gegenstandswerte auch für Hilfsaufrechnung/-anträge
Derzeit gilt nach § 45 GKG, dass hilfsweise geltend gemachte Ansprüche, die einen anderen Gegenstand betreffen als der Hauptanspruch, oder streitige Hilfsaufrechnungen wertmäßig nur berücksichtigt werden, wenn eine Entscheidung darüber ergeht oder ein Vergleich geschlossen wird. Diese Regelung gilt auch für den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit, was BRAK und DAV jedoch als nicht sachgerecht ansehen. Sie schlagen deshalb vor, im RVG eine neue Gegenstandswertbestimmung einzuführen, wonach ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch oder eine streitige Hilfsaufrechnung wertmäßig berücksichtigt werden sollen, sofern sie Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit sind und einen anderen Gegenstand betreffen als der Hauptanspruch. Dies würde die Haftung des Rechtsanwalts in solchen Fällen angemessen berücksichtigen.
Weiterführender Hinweis
- Diese Änderungen fordern die Anwälte für das Strafverfahren, RVG prof. 23, 206