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  • · Fachbeitrag · Gebührenanrechnung

    Anrechnung der Geschäftsgebühr

    von RiLG Dr. Julia Bettina Onderka, Bonn

    | Die Anrechnung von Gebühren ist in der Praxis immer wieder problematisch. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG und stellt deren Voraussetzungen sowie die wichtigsten Anwendungsfälle vor. |

    1. Wann wird angerechnet?

    Die Anrechnung erfolgt nur, wenn die Geschäftsgebühr „wegen desselben Gegenstands“ entstanden ist wie die Gebühren für das gerichtliche Verfahren. Hier wird von der Rechtsprechung ein zeitlicher, personeller und sachlicher Zusammenhang zwischen der außergerichtlichen Tätigkeit und dem gerichtlichen Verfahren gefordert.

     

    a) Zeitlicher Zusammenhang

    Ein zeitlicher Zusammenhang liegt vor, wenn der Anwalt mit der Angelegenheit noch vertraut ist. Ist dagegen der zeitliche Abstand so groß, dass eine völlig neue Einarbeitung erforderlich ist, muss keine Anrechnung erfolgen. Denn ein Anwalt, der sich aufgrund eines Prozessauftrags wieder mit einem Sachverhalt vertraut machen muss, darf nicht schlechter stehen als ein Anwalt, der unmittelbar einen Klageauftrag erhält. Wann ein zeitlicher Zusammenhang besteht, der eine Anrechnung erforderlich macht, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Als Maximum kann die Zwei-Jahres-Frist des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG herangezogen werden.

     

    b) Personeller Zusammenhang

    Ein personeller Zusammenhang liegt vor, wenn derselbe Rechtsanwalt oder dieselbe Sozietät gegenüber der gleichen Person tätig geworden ist. Zur Frage, ob ein personeller Zusammenhang gegeben ist, gibt es folgende wichtige Entscheidungen:

     

    • Bei einem Anwaltswechsel zwischen der außergerichtlichen und der gerichtlichen Tätigkeit, scheidet eine Anrechnung der Geschäftsgebühr aus, weil die jeweiligen Gebühren von verschiedenen Anwälten verdient wurden (BGH AGS 10, 52; OLG Köln AGS 09, 461). Der BGH hat zutreffend ausgeführt, dass die Partei sich in solchen Fällen auch nicht so behandeln lassen müsse, als habe sie nur einen Anwalt beauftragt, da die Anrechnungsregelung nicht dem Schutz des Prozessgegners diene. Es bestehe daher kein Anlass, die Verfahrensgebühr nur deshalb zu kürzen, weil eine Partei vorprozessual von einem anderen Anwalt vertreten wurde, der allein die Geschäftsgebühr verdient habe.

     

    • Bei der Unfallschadensregulierung liegt kein personeller Zusammenhang vor, wenn der Anwalt zunächst den Haftpflichtversicherer des Gegners im Rahmen des Direktanspruchs zur Zahlung auffordert, dann aber lediglich den Unfallgegner selbst verklagt. Hier richtet sich das Begehren gegen zwei verschiedene Personen, nämlich den Schädiger und seinen Versicherer, sodass eine Anrechnung nicht erfolgt (OLG München AGS 12, 229; OLG Bamberg OLGR 98, 121; OLG München AnwBl 90, 325; a.A. OLG Karlsruhe AGS 94, 43). Anderes gilt jedoch, wenn der Geschädigte keinen Direktanspruch gegen den Versicherer des Schädigers hat, wie beispielsweise bei einer Berufshaftpflichtversicherung. In diesem Fall ist die Geschäftsgebühr für die außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen mit dem Versicherer auf die Gebühren des Klageverfahrens gegen den Schädiger anzurechnen (LG Bonn JurBüro 04, 653).

     

    c) Sachlicher Zusammenhang

    Schließlich muss auch ein sachlicher Zusammenhang zwischen der vorprozessualen Tätigkeit und dem gerichtlichen Verfahren vorliegen. Damit ist gemeint, dass der Streitstoff im Wesentlichen derselbe sein muss. Ein sachlicher Zusammenhang liegt vor, wenn:

     

    • der Anwalt den Schuldner in Verzug setzt und dann Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt,
    • nach Bezahlung einer Teilforderung die Restforderung eingeklagt wird,
    • nach Geltendmachung von Behandlungsfehlern ein selbstständiges Beweisverfahren durchgeführt wird.

     

    Der BGH bejaht den sachlichen Zusammenhang auch, wenn der Zessionar aus abgetretenem Recht einen durch den Prozessbevollmächtigten namens des Zedenten vorgerichtlich geltend gemachten Anspruch einklagt (BGH ZfS 12, 163; ebenso: OLG Düsseldorf JurBüro 11, 589; OLG Hamm NJW-RR 11, 1566; a.A.: OLG Frankfurt 3.1.11, 23 U 259/09, juris). Denn eine formale, auf die Person des Auftraggebers abstellende Betrachtungsweise würde in solchen Fällen dem Sinn der Anrechnungsvorschrift nicht gerecht. Dagegen besteht kein innerer Zusammenhang zwischen:

     

    • einem Entwurf einer notariellen Anfechtungserklärung und der Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des notariellen Erbvertrags,
    • der außergerichtlichen Zahlungsaufforderung und der Klage auf Feststellung des Fälligkeitszeitpunktes für zukünftige Zahlungen,
    • der isolierten Klage auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten und der vorgerichtlichen Tätigkeit, nachdem der Versicherer nur den Unfallschaden reguliert hat.

     

    Umstritten ist die Frage des inneren Zusammenhangs zwischen der Kündigung einer Wohnung und dem nachfolgenden Räumungsprozess. Nach einer Ansicht fehlt der innere Zusammenhang, weil die Kündigung auf die Beendigung des Mietverhältnisses abziele, der Räumungsanspruch die Beendigung aber gerade voraussetze (OLG Köln MDR 04, 178; LG Mönchengladbach AGS 06, 6; LG Köln AGS 06, 562; LG Karlsruhe AGS 06, 112; LG Bückeburg AGS 07, 121). Nach der Gegenmeinung muss eine wertende Betrachtung vorgenommen werden, wonach die Kündigung als anspruchsbegründende Voraussetzung für den Räumungsanspruch Gegenstand des Räumungsprozesses sei und die Aufspaltung in zwei unterschiedliche Gegenstände willkürlich (BGH AGS 07, 289; OLG Frankfurt AGS 05, 390; AG Königstein NZM 04, 548; AG Hamburg-Altona AGS 07, 24).

     

    Die Begründung der zweiten Meinung überzeugt nicht. Der BGH postuliert die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise wohl nicht zuletzt deshalb, weil ihm die anwaltliche Vergütung ansonsten zu hoch erschien. Der Umstand, dass Kündigung und Räumungsklage naturgemäß einen engen Zusammenhang aufweisen, ändert nichts daran, dass es sich bei der Kündigung um eine Angelegenheit handelt, die eben nicht unmittelbar gerichtlich geltend gemacht werden kann. Der Anwalt hat nämlich zunächst außergerichtlich die Kündigung zu erklären und sodann die Reaktion des Mieters abzuwarten, bevor er den Räumungsanspruch gerichtlich geltend machen kann.

    2. Was wird angerechnet?

    Nach dem eindeutigen Wortlaut in Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG erfolgt eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach VV Teil 2. Damit ist klargestellt, dass auch die Gebühr für ein einfaches Schreiben nach VV 2302 angerechnet wird. Einige andere Sachverhalte scheiden jedoch aus der Anrechnung aus:

     

    • Hat der Anwalt für seine außergerichtliche Tätigkeit keine Geschäftsgebühr erhalten, sondern ein Honorar aus einer Vergütungsvereinbarung, greift die Anrechnungsvorschrift nicht ein (BGH AGS 09, 523; OLG München AGS 09, 379; OLG Frankfurt AGS 09, 157; KG AGS 09, 213; OLG Bremen AGS 09, 215). Denn die Anrechnung wird in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ausdrücklich auf „eine Geschäftsgebühr nach VV Teil 2“ bezogen und nicht auf ein Honorar, was aufgrund einer Vergütungsvereinbarung geschuldet wird. Man kann die Regelung in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auch nicht dahingehend auslegen, dass sie auch fiktive Geschäftsgebühren erfassen will (so OLG Stuttgart AGS 08, 510; ähnlich VG Frankfurt RVGreport 12, 177). Denn dagegen spricht schon der klare Wortlaut der gesetzlichen Regelung („Soweit ... entsteht“).

     

    • Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr, wenn der Anwalt außergerichtlich im Rahmen von Beratungshilfe tätig wurde, ist zwar nach dem durch das 2. KostRMoG geänderten Wortlaut - der nicht mehr auf Nr. 2300-2303 VV RVG a.F., sondern generell auf die Gebühren nach Teil 2 verweist - nicht mehr ausgeschlossen. Jedoch enthält Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG insofern eine speziellere Anrechnungsregel.

     

    • Schließlich muss der Anwalt sich die Geschäftsgebühr auch nicht auf die Verfahrensgebühr anrechnen lassen, wenn er mit seinem Mandanten einen Anrechnungsausschluss vereinbart hat. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist dispositiv und kann daher im Rahmen einer Vergütungsvereinbarung abbedungen werden.

    3. Welcher Gebührensatz wird angerechnet?

    Anzurechnen ist die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zur Hälfte, höchstens jedoch mit einem Gebührensatz von 0,75. Diese Kappungsgrenze von 0,75 wird immer dann relevant, wenn der Rechtsanwalt einen Gebührensatz von mehr als 1,5 berechnet. In den anderen Fällen ist die Hälfte der Geschäftsgebühr ohnehin niedriger als die Höchstgrenze von 0,75. Berechnet der Rechtsanwalt also die Mindestgebühr von 0,5, werden 0,25 angerechnet. Stellt er die Regelgebühr von 1,3 in Rechnung, werden 0,65 angerechnet, bei einer Gebühr von 1,5 werden 0,75 angerechnet. Bei allen höheren Beträgen werden ebenfalls 0,75 angerechnet.

    4. Aus welchem Gegenstandswert wird angerechnet?

    Nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 5 VV RVG erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist. Sind der Wert des Gegenstands, der in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist, und der Wert des Gegenstands der außergerichtlichen Vertretung identisch, ergeben sich keine Besonderheiten für die Anrechnung. Weichen diese beiden Werte voneinander ab, ist dies zu berücksichtigen. Ist der Gegenstandswert für die gerichtliche Tätigkeit geringer als für die außergerichtliche, erfolgt die Anrechnung nur im Hinblick auf diesen geringeren Wert.

     

    • Beispiel: Klageverfahren hat niedrigeren Wert

    Der Rechtsanwalt wird mit der außergerichtlichen Geltendmachung einer Forderung von 8.000 EUR beauftragt (durchschnittliche Angelegenheit). Auf die Aufforderungen des Anwalts hin zahlt die Gegenseite 5.000 EUR. Nun beauftragt der Mandant den Anwalt, den Restbetrag von 3.000 EUR einzuklagen.

     

    Lösung: Der Anwalt erhält für die außergerichtliche Tätigkeit eine 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 8.000 EUR. Da die Angelegenheit lediglich mit einem Gegenstandswert von 3.000 EUR in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist, wird auch nur eine 0,65-Geschäftsgebühr aus 3.000 EUR auf die Verfahrensgebühr angerechnet.

     

    Andererseits kann es auch vorkommen, dass das Klageverfahren einen höheren Gegenstandswert hat als die vorprozessuale Tätigkeit.

     

    • Beispiel: Klageverfahren hat höheren Wert

    Ein Händler macht gegen einen Kunden Forderungen aus Warenlieferungen geltend. Zunächst macht er lediglich einen Teilbetrag von 2.300 EUR geltend, um die Möglichkeiten für eine Einigung auszuloten. Der Kunde beauftragt seinen Rechtsanwalt mit der Abwehr der Forderungen (schwierige Angelegenheit). Der Händler erhebt nun Klage über 4.800 EUR. Der Kunde beauftragt seinen Anwalt mit der Abwehr der Klage.

     

    Lösung: Hier erfolgt die Anrechnung auf Grundlage des vollen Gegenstandswerts für die außergerichtliche Tätigkeit, weil der vorprozessual geltend gemachte Anspruch voll in dem im Klageweg geltend gemachten enthalten ist. Der Anwalt erhält für die außergerichtliche Tätigkeit eine 1,5-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 2.300 EUR. Für das Klageverfahren erhält der Anwalt eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 4.800 EUR, auf die eine 0,75-Geschäftsgebühr aus 2.300 EUR anzurechnen ist.

     

    5. Wie wird bei mehreren Gebühren angerechnet?

    Nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV RVG wird, wenn mehrere Gebühren entstanden sind, die zuletzt angefallene Gebühr angerechnet. So vor allem, wenn dem gerichtlichen Verfahren ein Schlichtungsverfahren nach § 15a EGZPO vorausgegangen ist oder der außergerichtlichen Tätigkeit ein Mahnverfahren und - nach Widerspruch des Gegners - eine Tätigkeit im streitigen Verfahren folgt.

     

    a) Schlichtungsverfahren

    Für das Schlichtungsverfahren bestimmt Vorbem. 2.3 VV RVG, dass die Geschäftsgebühr auf die Gebühr für das Schlichtungsverfahren zur Hälfte, höchstens jedoch mit einem Satz von 0,75 anzurechnen ist. Geht das Schlichtungsverfahren dann in das gerichtliche Verfahren über, stellt Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV RVG klar, dass für die Anrechnung auf die zuletzt entstandene Gebühr, also auf die Geschäftsgebühr für das Schlichtungsverfahren abzustellen ist.

     

    • Beispiel

    Anwalt A wird beauftragt, eine Forderung von 400 EUR außergerichtlich geltend zu machen. Anschließend wird das Schlichtungsverfahren durchgeführt und hiernach Klage erhoben. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil.

    Lösung: A erhält für die außergerichtliche Tätigkeit eine 1,3-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) aus einem Gegenstandswert von 400 EUR. Für das Schlichtungsverfahren erhält er eine 1,5-Geschäftsgebühr (Nr. 2303 Ziff. 4 VV RVG), auf die eine 0,65-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG angerechnet wird. Im gerichtlichen Verfahren erhält A eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG), auf die eine 0,75-Geschäftsgebühr nach Nr. 2303 Ziff. 4 VV RVG angerechnet wird.

     

    b) Übergang vom Mahn- in das Streitverfahren

    Gleiches gilt, wenn einer außergerichtlichen Tätigkeit ohne Klageauftrag ein Mahnverfahren folgt, das nach Widerspruch des Gegners ins streitige Verfahren übergeht. Bei Ansatz des Schwellenwerts entsteht hier zunächst eine 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, die später hälftig auf die 1,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 VV RVG angerechnet wird. Von der Verfahrensgebühr für das Mahnverfahren verbleibt damit im Ergebnis ein Gebührensatz von 0,35. Nach Übergang ins streitige Verfahren wird auf die 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens als „zuletzt entstandene Gebühr“ in (voller) Höhe von 1,0 angerechnet, sodass im Ergebnis ein Gebührensatz von 0,3 verbleibt. Insgesamt erhält der Anwalt damit für seine Tätigkeit im außergerichtlichen Bereich, Mahnverfahren und streitigem Verfahren eine Gebühr von 1,95.

     

    Beachten Sie |Gegenstand der Anrechnung ist die „zuletzt entstandene Gebühr“ in voller Höhe und nicht nur in Höhe des nach der ersten Anrechnung verbliebenen Differenzbetrags. Ansonsten hätte Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV RVG klarstellen müssen, dass nicht die „entstandene“ Gebühr anzurechnen ist, sondern nur der Teil der Gebühr, auf den noch keine Anrechnung erfolgt ist.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Der Beitrag wird in RVG prof. 10/13 fortgesetzt
    Quelle: Ausgabe 09 / 2013 | Seite 157 | ID 42261966