· Fachbeitrag · Prozesstrennung
Geschäftsgebühr wird auf Verfahrensgebühr der Einzelverfahren anteilig angerechnet
von Dipl.-Rpfl.in (FH) Karin Scheungrab, Leipzig/München
Nach Trennung eines Prozesses im Sinne des § 145 Abs. 1 ZPO wird der gemäß Vorb. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG a.F. anrechenbare Anteil der tatsächlich angefallenen Geschäftsgebühr auf jede der in den gesonderten Einzelverfahren entstandenen Verfahrensgebühren (Nr. 3100, Vorb. 3 Abs. 2 VV RVG a.F.) quotal angerechnet entsprechend dem Verhältnis des jeweiligen Einzelstreitwerts zu dem Streitwert des ursprünglichen Gesamtverfahrens (BGH 24.9.14, IV ZR 422/13, Abruf-Nr. 143132). |
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die beklagte Rechtsschutzversicherung auf Freistellung von anwaltlichen Vergütungsansprüchen in Anspruch. Er hatte, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, im Jahr 2011 Klage gegen vier Beklagte vor dem vermeintlich zuständigen LG Dortmund auf Zahlung von rund 60.000 EUR erhoben. Dieses verwies den Rechtsstreit hinsichtlich zweier Beklagter nach Prozesstrennung wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit an das zuständige LG Stade. Bei beiden Gerichten fanden Termine zur mündlichen Verhandlung statt und wurden von beiden Anwälten wahrgenommen.
Die beauftragten Anwälte setzten eine 1,5-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG a.F.) aus dem Gegenstandswert bis 60.000 EUR an. Zudem wurden für beide Verfahren - also sowohl für das Verfahren gegen die Beklagten zu 1 und zu 2 vor dem LG Dortmund, als auch für das Verfahren gegen die Beklagten zu 3 und zu 4 vor dem LG Stade - je eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG a.F.) und eine 1,2-Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG a.F.) aus einem Wert bis 60.000 EUR abgerechnet. Die beklagte Rechtsschutzversicherung regulierte eine 1,5-Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten. Nur für das Verfahren vor dem LG Dortmund übernahm sie unter Anrechnung der Hälfte der Geschäftsgebühr eine Verfahrens- sowie eine Terminsgebühr.
Die Parteien streiten darüber, ob die Rechtsschutzversicherung die Verfahrensgebühr in voller Höhe übernehmen muss. Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr erfolgte gemäß Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG a.F. hälftig aus einem Betrag von bis zu 60.000 EUR. Nach Ansicht der Rechtsschutzversicherung sei die Geschäftsgebühr wegen der Gegenstandsgleichheit bei jedem der beiden Verfahren in voller Höhe, also in Höhe einer Gebühr von 0,75 aus bis zu 60.000 EUR in Abzug zu bringen. Nach Auffassung des Klägers überschritte dies den Anrechnungshöchstsatz von 0,75 gemäß Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG a.F. Das AG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LG die Rechtsschutzversicherung ohne weitere Anrechnung der Geschäftsgebühr zur Freistellung durch Zahlung von knapp 3.400 EUR zuzüglich Zinsen verurteilt. Die Revision der beklagten Rechtsschutzversicherung hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Der BGH hat die oben dargestellte Abrechnung grundsätzlich bestätigt und weiter ausgeführt: § 15 Abs. 2 S. 1 RVG a.F. verhindert den wiederholten Gebührenanfall nicht. Er verbietet lediglich die - hier gerade nicht vorgenommene - kumulative Geltendmachung von in derselben gebührenrechtlichen Angelegenheit mehrfach entstandenen Gebühren.
Streitig war die Höhe der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die beiden Verfahrensgebühren: Nach Vorb. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG a.F. wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr im Sinne von Teil 2 des VV RVG a.F. entsteht, diese zur Hälfte jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die Anrechnung mindert die Verfahrensgebühr nicht allein bei deren zeitlich erstem Anfall im Gesamtverfahren bis zur Trennung, sondern ebenso bei deren wiederholtem Entstehen im weiteren Verfahrensverlauf. Dies folgt aus dem insoweit vorbehaltlosen Wortlaut ihrer Anordnung in Vorb. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG a.F. sowie ihrem Sinn und Zweck, eine außergerichtliche Erledigung zu fördern und eine doppelte Honorierung von - zumindest annähernd - gleichen Tätigkeiten, die in unterschiedlichen gebührenrechtlichen Angelegenheiten anfallen, zu verhindern.
Der anrechenbare Anteil der Geschäftsgebühr wird auf alle Verfahrensgebühren angerechnet, die in den aus einer Prozesstrennung hervorgegangenen Einzelverfahren anfallen. Entgegen der Revision wird er allerdings nicht in jedem der Einzelverfahren in voller Höhe in Ansatz gebracht. Der anrechenbare Gebührenanteil ist vielmehr auf die Einzelverfahren entsprechend dem Verhältnis des jeweiligen Einzelstreitwerts zu dem Streitwert des ursprünglichen Gesamtverfahrens aufzuteilen. Diese Verteilung ist Folge der prozessualen Aufspaltung eines einheitlichen Verfahrens in mehrere gleichgerichtete Prozessverfahren, mit denen dieselben Gegenstände nunmehr gesondert verfolgt werden.
Praxishinweis
Die Prozessbevollmächtigten haben die für sie günstigere Wahl getroffen: Anstatt das ursprüngliche Verfahren bis zur Trennung abzurechnen, haben sie die jeweiligen Einzel-Verfahren abgerechnet.
MERKE | Im Verfahren wie dem vorliegenden ist die Entscheidung offensichtlich: Da die beiden Einzel-Verfahren gegenüber dem verbundenen Verfahren den gleichen und nicht nur einen geminderten Gegenstandswert haben wie das ursprüngliche Verfahren, werden diese abgerechnet. In den aus der Prozesstrennung resultierenden Einzel-Verfahren fallen die vor der Trennung verdienten Gebühren bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen aus den jeweiligen Einzelstreitwerten erneut an. |
Die richtige Abrechnung gegenüber dem Mandanten gestaltet sich unter Berücksichtigung der aktuellen Gebührentabelle wie folgt:
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Anwalt A war vorgerichtlich wegen eines Gesamtbetrages von 60.000 EUR gegen die Beklagten zu 1 bis 4 tätig. Die beiden Verfahren werden mit einem Betrag in Höhe von 40.000 EUR gegen die Beklagten zu 1 und 2 vor dem LG Dortmund und in Höhe von 20.000 EUR gegen die Beklagten zu 3 und 4 vor dem LG Stade geführt. |
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Weiterführender Hinweis
- In einer folgenden Ausgabe: Abrechnung bei Verfahrensverbindung und Verweisung