· Fachbeitrag · Verfahrensverbindung
So rechnen Sie in verbundenen Verfahren ab
von Dipl.-Rpfl.in (FH) Karin Scheungrab, Leipzig/München
| Typischer Fall aus der Praxis: Kläger und Beklagter stehen sich in mehreren Verfahren gegenüber, die per Gerichtsbeschluss miteinander verbunden werden. Gemäß der Aktenordnung „führt“ immer das ältere, bereits länger anhängige Verfahren. Gebührentechnisch stellt sich die Frage der Abrechnung dieser Situation: Können beide Verfahren einzeln abgerechnet werden? Bilden das Verfahren vor und das nach der Verbindung jeweils besondere Angelegenheiten? Müssen die Gebühren vor und nach der Verbindung aufeinander angerechnet werden? Der Beitrag gibt Antwort. |
1. Grundsatz: Verbundene Verfahren sind eine Angelegenheit
Im Grunde kann die Frage recht einfach beantwortet werden: Ab dem Zeitpunkt der Verfahrensverbindung liegt nur noch eine Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor. Bis zu diesem Moment bleiben die Verfahren selbstständige Angelegenheiten. Folgende Einzelheiten müssen beachtet werden:
- Wird in einem Verfahren mündlich verhandelt und dieses anschließend mit einem anderen Verfahren verbunden, in dem bisher noch nicht mündlich verhandelt wurde, ist die bereits entstandene Terminsgebühr auf die nach Verbindung aus dem Gesamtstreitwert zu ermittelnde Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) anzurechnen.
- Der aus der Verbindung entstandene Rechtsstreit ist für die Berechnung der Terminsgebühr so zu behandeln, als ob eine Klagehäufung oder Klageerweiterung bestanden bzw. eine Widerklage vorgelegen hätte
2. Gebühren vor und nach Verbindung: Wahlrecht des Anwalts
Sind Gebührentatbestände jeweils vor und nach der Verbindung entstanden, steht dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zu, ob er die Gebühren aus den Einzelwerten oder aus dem Gesamtwert nach Verbindung verlangt. Wird die Klage erst nach Verbindung erhöht, kann die Erhöhung nur nach dem Gesamtstreitwert des verbundenen Verfahrens berechnet werden (BGH 14.4.10, IV ZB 6/09, Abruf-Nr. 101504).
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Rechtsanwalt Schlau vertritt seinen Mandanten Meise bei der gerichtlichen Geltendmachung einer Forderung über 45.000 EUR gegen dessen ehemaligen Vertragspartner Geier und Adler. Diese haben Rechtsanwalt Klug mit der Vertretung vor dem zuständigen LG beauftragt. Im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung - das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen (Az.) 3 O 1234/14 geführt - wurde nach Erörterung der Sach- und Rechtslage das Ruhen des Verfahrens beantragt und beschlossen, da zunächst die Erstellung eines Sachverständigengutachtens in einem weiteren Verfahren Meise ./. Geier und Adler, Az. 7 O 7890/14, abgewartet werden soll. | ||||||||||||||||
Nachdem das Gutachten vorliegt, ergeht im Verfahren 7 O 7890/14 ein Beschluss zur Verbindung der beiden Verfahren 7 O 7890/14 und 3 O 1234/14 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidungsfindung. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung werden verschiedene Zeugen und der Sachverständige geladen, die auch im Termin vernommen werden. Das Verfahren wird per Urteil beendet. Es ergeht folgender Streitwertbeschluss:
Der Streitwert des führenden Verfahrens 7 O 7890/14 wird bis zur Verbindung festgesetzt auf 27.500 EUR, für die Zeit danach auf 72.500 EUR. Für das hinzu verbundene Verfahren 3 O 1234/14 wird der Streitwert bis zur Verbindung auf 45.000 EUR festgesetzt.
Welche Gebühren kann Rechtsanwalt Schlau abrechnen?
Die Gebühren in den jeweiligen Verfahren bis zur Verbindung:
Verfahren 7 O 7890/14
Verfahren 3 O 1234/14
Die Gebühren im Verfahren 7 O 7890/14 ab der Verbindung:
Verfahren 7 O 7890/14
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Sind Gebührentatbestände jeweils sowohl vor als auch nach Verbindung erfüllt, steht dem Rechtsanwalt wie ausgeführt ein Wahlrecht zu. Das heißt, er kann aus den Einzelwerten vor oder aus dem Gesamtwert nach Verbindung abrechnen. Zusätzlich können die Gebühren dagegen nicht verlangt werden, da das verbundene Verfahren mit den vorher geführten Einzelverfahren dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit nach § 15 Abs. 2 RVG bildet.
Auch § 15 Abs. 4 RVG steht dem nicht entgegen. Dieser verbietet keine Anrechnung einer bereits verdienten Gebühr, sondern schließt nur deren Reduzierung aus. Ein darüber hinausgehender Vorteil, der auf eine Freistellung von dem in § 13 RVG niedergelegten Prinzip der Gebührendegression bei höheren Streitwerten hinausliefe, soll dadurch nicht gewährt werden. Die durch das Gesetz vorgeschriebene Gebührendegression darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass bei der Gebührenberechnung ganz oder teilweise so getan wird, als habe es die Verbindung nicht gegeben.
Da die jeweiligen Gebühren aus den Einzelstreitwerten höher sind als die Gebühren aus dem addierten Wert, werden diese angesetzt.
Da durch die Verbindung keine neue - und damit dritte - gebührenrechtliche Angelegenheit entsteht, ist die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG nicht ein drittes Mal zu berechnen. Die bis zur Verbindung verdienten zwei Pauschalen bleiben bestehen. Für Beispiel 1 ergibt sich also:
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Die Verfahrensverbindung erfolgte zu einem sehr frühen Moment. Im Verfahren 7 O 7890/14 hatte bereits ein Termin stattgefunden, im Verfahren 3 O 1234/14 noch nicht. Auch aus anderen Gründen (z.B. Telefonat oder Besprechung zwischen den Prozessbevollmächtigten) ist keine Terminsgebühr angefallen.
Die Gebührensituation gestaltet sich wie folgt:
Die Gebühren in den jeweiligen Verfahren bis zur Verbindung:
Verfahren 7 O 7890/14
Verfahren 3 O 1234/14
Die Gebühren im Verfahren 7 O 7890/14 ab der Verbindung:
Verfahren 7 O 7890/14
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Der Anwalt wird sich bezüglich der Verfahrensgebühr für die jeweiligen Einzelgebühren entscheiden, bezüglich der Terminsgebühr für die Gebühr aus dem Gesamtwert nach Verbindung. Es ergibt sich folgende Berechnung:
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Merke |Die Verbindung mehrerer Verfahren bewirkt weder eine neue Angelegenheit noch wirkt sie zurück: Bei der Abrechnung der Gebühren hat der Anwalt - jeweils für jede Gebühr extra - die Wahl zwischen der Geltendmachung der einzelnen Gebühren aus den jeweiligen Einzelwerten vor der Verbindung oder der Gebühr aus dem Gesamtgegenstandswert nach der Verbindung.
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Bei kompletter Verfahrensbeendigung per Vergleich über beide verbundenen Verfahren gilt folgende Kostennote:
Erfolgt keine Verfahrensverbindung und erfolgt die Verfahrensbeendigung per Vergleich in einem Termin im Verfahren 7 O 7890/14 und der streitige Betrag von 45.000 Euro aus dem Verfahren 3 O 1234/14 wird mitverglichen, ergibt sich folgende Berechnung mit überraschendem Ergebnis:
Verfahren 7 O 7890/14
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Verfahren 3 O 1234/14
Kann vermieden werden, dass 45.000 EUR eingeklagt werden und erfolgt die Verfahrensbeendigung per Vergleich in einem Termin im Verfahren 7 O 7890/14 , in dem der nicht anhängige Betrag von 45.000 EUR mitverglichen wird, ergibt sich folgende Berechnung:
Verfahren 7 O 7890/14
Für die außergerichtliche Tätigkeit bezüglich der Forderung über 45.000 EUR - unterstellt diese war rein durchschnittlich - wird wie folgt abgerechnet:
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FAZIT | Unter gebührenstrategischen Erwägungen sollte immer so lange wie möglich mit der Klageerhebung gewartet werden. Und auch der Mandant profitiert: Für die 45.000 EUR müssen nicht die vollen Gerichtskosten bezahlt werden. Für das „Mitvergleichen“ fällt nur eine 0,25-Gebühr an, Nr. 1900 KV GKG. |