· Fachbeitrag · Konjunkturpaket in der Coronakrise
Umsatzsteuer in Zwangsvollstreckungssachen
| Probleme bereitet derzeit die Feststellung des korrekten Umsatzsteuersatzes in Vollstreckungstätigkeiten. Denn hier werden häufig mehrere Vollstreckungen hintereinandergeschaltet und zwischen Vollstreckungsauftrag und Erledigung vergeht Zeit. Insofern ist genau hinzuschauen, ob der für den Zeitraum vom 1.7.20 bis zum 31.12.20 gesenkte Umsatzsteuersatz oder der volle Umsatzsteuersatz anzusetzen ist (zu den Auswirkungen der befristeten Umsatzsteuersenkung in zivilrechtlichen und strafrechtlichen Angelegenheiten siehe RVG prof. 20, 124). |
1. Höhe des Umsatzsteuersatzes richtet sich nach Fälligkeit
Auch in der Zwangsvollstreckung sind die Tätigkeiten des Anwalts grundsätzlich umsatzsteuerpflichtig. Für die Frage, ob der Steuersatz von 16 Prozent oder noch der alte Steuersatz von 19 Prozent gilt, kommt es darauf an, wann der Auftrag erledigt bzw. die Angelegenheit beendet ist. Abzustellen ist daher stets auf die Fälligkeit der Vergütung nach § 8 Abs. 1 S. 1 RVG.
2. Jede Vollstreckungsmaßnahme ist gesondert zu betrachten
Jede Vollstreckungsmaßnahme bis zur vollständigen Erledigung stellt eine eigene gebührenrechtliche Angelegenheit dar (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG). Kommt es daher zu mehreren Vollstreckungsmaßnahmen, ist jede Vollstreckungsmaßnahme gesondert zu betrachten.
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Der Rechtsanwalt wird beauftragt, durch den Gerichtsvollzieher die Mobiliarvollstreckung durchzuführen. Nachdem diese fruchtlos ausgefallen ist, erhält er den Auftrag zur Lohnpfändung.
Lösung
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MERKE | Es ist unerheblich, ob man insgesamt von einem einzigen Gesamtvollstreckungsauftrag ausgeht, der sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen umfasst, die Teilleistungen darstellen, oder ob man von verschiedenen Aufträgen zu einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen ausgeht. |
3. Dann ist ein Auftrag/eine Angelegenheit beendet
Erledigt ist der Vollstreckungsauftrag, wenn die Vollstreckungsmaßnahme abgeschlossen ist. Die Maßnahme ist abgeschlossen, wenn sie entweder zum Erfolg geführt hat oder wenn feststeht, dass sie nicht zum Erfolg führen wird. Insoweit ist jeweils nach den Besonderheiten der Vollstreckungsmaßnahme zu prüfen, welche Tätigkeiten noch zu derselben Vollstreckungsmaßnahme gehören.
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Der Rechtsanwalt beauftragt den Gerichtsvollzieher mit der Einholung der Vermögensauskunft. Dieser hat den Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft auf den 14.6.20 anberaumt. Der Schuldner ist erschienen und hat die Vermögensauskunft abgegeben. Nach Auswertung des Vermögensverzeichnisses bringt der Rechtsanwalt eine Lohnpfändung aus. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wird am 30.7.20 erlassen.
Lösung Es liegen zwei Vollstreckungsmaßnahmen vor. Das Verfahren auf Abgabe der Vermögensauskunft war mit deren Abgabe beendet, sodass hier noch der Umsatzsteuersatz von 19 Prozent gilt. Die Lohnpfändung war erst mit Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses abgeschlossen, sodass hier der Steuersatz von 16 Prozent gilt. |
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Der Gerichtsvollzieher wird mit der Mobiliarvollstreckung beauftragt. Er hat am 15.6.20 festgestellt, dass der Schuldner unbekannt verzogen ist, und teilt dies dem Gläubiger mit. Der Gläubiger ermittelt die neue Anschrift und beauftragt den Gerichtsvollzieher, nunmehr unter der neuen Anschrift zu vollstrecken. Dort erscheint der Gerichtsvollzieher am 15.7.20. Der Schuldner bezahlt die Forderung vollständig.
Lösung Die Mobiliarvollstreckung unter der bisherigen Anschrift und die weitere Vollstreckung unter der neuen Anschrift stellt insgesamt nur eine einzige Angelegenheit dar (BGH, AGS 05, 63). Angelegenheit und Auftrag sind damit erst mit Ablauf des 15.7.20 erledigt bzw. beendet worden, sodass einheitlich der Steuersatz von 16 Prozent gilt. |
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Es werden mehrere Ordnungsgeldverfahren nach § 890 ZPO betrieben.
Lösung Jedes Ordnungsgeldverfahren ist eine eigene Angelegenheit, die mit Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses endet (§ 18 Abs. 1 Nr. 14 RVG). Für die Frage, welcher Umsatzsteuersatz anzuwenden ist, ist daher jeweils auf das Beschlussdatum abzustellen. |
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Der Gläubiger beantragt die Verhängung eines Zwangsgelds nach § 888 ZPO, weil der Schuldner keine Auskunft erteilt. Ein erster Zwangsgeldbeschluss ergeht im März 2020, ein weiterer Zwangsgeldbeschluss im Juni 2020 und schließlich ein dritter Zwangsgeldbeschluss im Juli 2020, worauf die Auskunft erteilt wird.
Lösung Nach der Rechtsprechung des BGH (RVGprof. 20, 121 = VE 20, 94) handelt es sich bei mehreren Zwangsgeldverfahren um dieselbe Angelegenheit. Die Folge ist: Es gilt hier der Steuersatz von 16 Prozent, da die Vollstreckung der Auskunft erst im Juli 2020 erledigt worden ist. |
4. Bei Kombi-Aufträgen zählt jeder Einzelauftrag
Beim sog. Kombi-Auftrag ist die Erledigung jeder einzelnen Vollstreckungsmaßnahme gesondert zu prüfen.
MERKE | Faktisch handelt es sich um gestaffelt erteilte Einzelaufträge, von denen der jeweils nachfolgende Auftrag unter der Bedingung (§ 158 BGB) erteilt wird, dass der vorangegangene Auftrag erfolglos erledigt ist. Da es für den Umsatzsteuersatz ‒ im Gegensatz zum Gebührenrecht (§ 60 RVG) ‒ nicht auf den Tag des Auftrags und damit auch nicht auf den Tag des Bedingungseintritts ankommt, gilt hier das Gleiche wie bei mehreren nacheinander folgenden Einzelaufträgen: Die Höhe der Umsatzsteuer hängt davon ab, zu welchem Zeitpunkt der einzelne Auftrag erledigt ist. |
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Der Gläubiger erteilt den Auftrag für eine Sachpfändung und gleichzeitig unter den Voraussetzungen des § 807 ZPO einen Antrag auf Abgabe der Vermögensauskunft. Für den Fall des Nichterscheinens des Schuldners beantragt er die Einholung von Drittauskünften und gleichzeitig einen Haftbefehl, dessen anschließende Vollziehung und Vorführung des Schuldners zur Abgabe der Vermögensauskunft.
Lösung Insgesamt sind hier drei Vollstreckungsangelegenheiten gegeben, wenn es zur Durchführung aller Vollstreckungsmaßnahmen kommt, nämlich
Es ist für jede Vollstreckungsmaßnahme darauf abzustellen, wann sie erledigt worden ist:
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5. Dann ist die Abrechnung nachträglich zu korrigieren
Soweit der Rechtsanwalt eine Vollstreckungsmaßnahme bereits abgerechnet hat, weil er bei Erteilung des Vollstreckungsauftrags davon ausgegangen ist, dass sich dieser vor dem 30.6.20 erledigen wird, sich aber dann doch erst nach dem 30.6.20 erledigt, ist die Abrechnung nachträglich zu berichtigen.
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Nach dem ersten Zwangsgeldbeschluss rechnet der Rechtsanwalt bereits seine Vollstreckungstätigkeit ab, weil er davon ausgeht, dass die Vollstreckung erledigt ist. Er rechnet, ausgehend von einem Gegenstandswert von 10.000 EUR, wie folgt ab: | ||
0,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3309 VV RVG | 167,40 EUR | |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 187,40 EUR | |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 35,60 EUR | |
223,00 EUR | ||
Da der Auftrag jedoch erst im Juli 2020 erledigt wird, muss der Umsatzsteuersatz berichtigt werden. Die zutreffende Abrechnung muss jetzt wie folgt lauten: | ||
0,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3309 VV RVG | 167,40 EUR | |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 187,40 EUR | |
16 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 29,98 EUR | |
Zwischensumme | 217,38 EUR | |
Abzüglich gezahlter Nettobetrag | ‒ 187,40 EUR | |
Abzüglich gezahlter Umsatzsteuer | ‒ 35,60 EUR | |
Guthaben Mandant | 5,62 EUR | |
Der Betrag von 5,62 EUR ist dem Mandanten zurückzuzahlen. Der Anwalt wiederum erhält diesen Betrag vom Finanzamt zurückerstattet, da er ausschließlich auf der zu viel berechneten Umsatzsteuer beruht. |
6. Rechtsmittel gegen falsche Kostenfestsetzung
Gerichtsvollzieher und Gerichte müssen darauf achten, dass die im Rahmen der Zwangsvollstreckung mit beizutreibenden Kosten (§ 788 Abs. 1 S. 2 ZPO) richtig berechnet werden. Unter Umständen müssen sie daher die in den Anwaltskosten enthaltene Umsatzsteuer von 19 Prozent gegebenenfalls auf 16 Prozent kürzen. In der Praxis ist dies immer wieder ein Problem und verzögert letztlich die Zwangsvollstreckung, da regelmäßig gerichtliche Zwischenverfügungen erlassen werden.
Soweit das Vollstreckungsorgan die Änderung der Umsatzsteuer nicht berücksichtigt, kann der Schuldner dagegen mit der Erinnerung nach § 766 ZPO vorgehen. Die Erinnerung ist dabei auf die Höhe der Kosten, genauer gesagt auf 3 Prozent Umsatzsteuer zu beschränken.
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Der Rechtsanwalt hat für den Gläubiger im Juni 2020 wegen einer Forderung i. H. v. 20.000 EUR eine Forderungspfändung ausgebracht und gleichzeitig folgende Anwaltskosten mit angemeldet: | ||
0,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3309 VV RVG | 222,60 EUR | |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 242,60 EUR | |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 46,09 EUR | |
288,69 EUR | ||
Am 20.7.20 erlässt das AG den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über 20.000 EUR, 20 EUR Gerichtskosten und 288,69 EUR Anwaltskosten.
Lösung Der Schuldner kann gegen den Beschluss Erinnerung einlegen. Begründung: Die Anwaltskosten hätten unter Berücksichtigung des Steuersatzes von 16 Prozent nur i. H. v. 281,42 EUR festgesetzt werden dürfen. |
In Einzelfällen kann auch die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO oder eine Bereicherungsklage (§ 812 BGB) gegeben sein.
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Nach dem ersten Zwangsgeldbeschluss hatte der Anwalt seine Vollstreckungstätigkeit mit 19 Prozent bereits festsetzen lassen.
Lösung Gegen den Festsetzungsbeschluss kann der Schuldner wegen der Steuerdifferenz von 3 Prozent Vollstreckungsabwehrklage erheben, da sich die tatsächlichen Umstände (Höhe des Steuersatzes) nachträglich verändert haben. Soweit der Schuldner bereits gezahlt hatte, kann er auch eine Bereicherungsklage erheben. |