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  • · Fachbeitrag · Hilfsaufrechnung

    Hilfsaufrechnung in der Rechtsmittelinstanz: Das ist zu beachten

    von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz

    | Falsche Wertermittlung = falsche Abrechnung: Diese Formel gilt auch, wenn erstmals in der Rechtsmittelinstanz hilfsweise mit einer bestrittenen Gegenforderung aufgerechnet wird. Der folgende Beitrag zeigt, wie Sie dieses Problem meistern. |

    1. Hilfsaufrechnung erstmals in Berufungsinstanz

    Wird die Hilfsaufrechnung erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht, ist die Bewertung eindeutig: Sofern das Gericht über die Hilfsaufrechnung entscheidet, ist der Wert der Hilfsaufrechnung hinzuzurechnen, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung ergeht (§ 45 Abs. 3 GKG; § 39 Abs. 3 FamGKG) bzw. im Fall des Vergleichs, soweit bei einer entsprechenden Hauptsacheentscheidung die Entscheidung über die Hilfsaufrechnungsforderung in Rechtskraft erwachsen wäre (§ 45 Abs. 4 GKG; § 39 Abs. 4 FamGKG; s. u., 5.).

     

    MERKE | Werden mehrere Hilfsaufrechnungen gestaffelt erhoben, ist jede Hilfsaufrechnung gesondert zu bewerten, sodass sich dann der Wert der Klageforderung nicht nur verdoppeln, sondern vervielfältigen kann. Der Umfang der Werterhöhung entspricht damit der Summe der in rechtskräftiger Weise entschiedenen Gegenforderungen. Berücksichtigt wird also der Wert jeder Gegenforderung bis zur Höhe der nach vorheriger Aufrechnung noch verbleibenden Klageforderung (BGH NJW 79, 927; OLG Düsseldorf AGS 10, 342; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 3, Rn. 16 „Aufrechnung“).

     

    2. Hilfsaufrechnung bereits in erster Instanz

    Wurde die Hilfsaufrechnung bereits in erster Instanz geltend gemacht, ist dies für die Bewertung in der Berufungsinstanz zunächst unerheblich, da jede Instanz gesondert zu bewerten ist. Die Verfahrenssituationen sind hierbei jedoch vielfältiger.

     

    a) Kläger legt Berufung ein

    Legt der Kläger Berufung ein, beruht dies in der Regel auf 2 Gründen: Entweder hat das Erstgericht die Klage wegen Unbegründetheit der Klageforderung abgewiesen. Oder das Gericht ist davon ausgegangen, dass die Klageforderung begründet ist, gleichzeitig aber die hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung ebenfalls, sodass die Klageforderung damit im Wege der Aufrechnung erloschen ist.

     

    aa) Klage wurde mangels Bestehen der Klageforderung abgewiesen

    Es bestehen hier 4 Möglichkeiten:

     

    • Beklagter verteidigt sich weiterhin hilfsweise mit seiner Aufrechnungsforderung: Ergeht über die Hilfsaufrechnung eine Entscheidung bzw. die Parteien vergleichen sich darüber, sind § 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG anzuwenden. Entscheidet das Berufungsgericht hingegen nicht über die geltend gemachte Hilfsaufrechnung, weil es das erstinstanzliche Urteil bestätigt und die Klageforderung für unbegründet hält, erhöht sich der Streitwert im Berufungsverfahren nicht.

     

    • Beklagter bestreitet nur noch die Klageforderung, die Hilfsaufrechnung kommt nicht mehr zur Anwendung: Der Streitwert beläuft sich jetzt nur noch auf die Klageforderung; § 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG sind anzuwenden.

     

    • Klageforderung wird vom Beklagten anerkannt und er verteidigt sich nur noch primär mit der Aufrechnung: Eine Hilfsaufrechnung liegt nicht mehr vor, sodass nur der Wert der Klageforderung gilt.

     

    • Kläger wehrt sich nur noch gegen die Klageabweisung und die Gegenforderung wird anerkannt, es erfolgt Erledigung der Hauptsache und Beklagter bestreitet die Klageforderung weiter und widerspricht somit Erledigungserklärung: § 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG sind nicht anzuwenden, da keine streitige Hilfsaufrechnung mehr geltend gemacht wird.

     

    bb) Klage erstinstanzlich wegen Hilfsaufrechnung abgewiesen

    Wird die Klage erstinstanzlich wegen der Hilfsaufrechnung abgewiesen, kann sich der Kläger nur gegen die Hilfsaufrechnung zur Wehr setzen, weil er ja im Ergebnis mit seiner Klageforderung durchgedrungen ist. Somit ist Gegenstand des Berufungsverfahrens auch nur die Hilfsaufrechnung, sodass § 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG nicht greifen.

     

    MERKE | Legt aber der Beklagte ebenfalls Berufung oder Anschlussberufung ein, um sich gegen die Klageforderung zu wehren, gelten § 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG, sodass die Streitwerte der wechselseitig eingelegten Rechtsmittel addiert werden (§ 45 Abs. 2 GKG, § 39 Abs. 2 FamGKG). Ebenso gelten § 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG unmittelbar. Folge: Der Wert von Klageforderung und Hilfsaufrechnung ist zu addieren, soweit das Gericht über die Hilfsaufrechnungsforderung entscheidet oder die Parteien sich darüber einigen.

     

    b) Beklagter legt Berufung ein

    Die Berufung kann hier begründet sein, weil das Gericht der Klage stattgegeben und die Hilfsaufrechnung als unbegründet angesehen hat. Möglich ist auch, dass es die Klage abgewiesen hat, jedoch die Klageforderung für begründet angesehen und erst aufgrund der Hilfsaufrechnung abgewiesen hat.

     

    aa) Gericht gibt der Klage statt

    Gibt das Gericht der Klage statt, ist wie folgt zu unterscheiden:

     

    • Beklagter wehrt sich nicht mehr gegen die Klageforderung, sondern verteidigt sich nur noch mit der Aufrechnung: Es liegt keine Hilfsaufrechnung mehr vor, sondern eine Primäraufrechnung. Folge: Nur der Wert der Hilfsaufrechnung ist maßgebend. § 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG greifen nicht.

     

    • Beklagter wehrt sich nur noch gegen die Klageforderung und macht die Hilfsaufrechnung nicht mehr geltend: § 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG greifen nicht. Nur der Wert der Klageforderung ist maßgeblich.

     

    • Beklagter wehrt sich gegen die Klageforderung und Nichtberücksichtigung der Hilfsaufrechnung: Entscheidet das Gericht über die Hilfsaufrechnung bzw. einigen sich die Parteien hierüber, sind die Werte zu addieren (§ 45 Abs. 3, 4 GKG, § 39 Abs. 3, 4 FamGKG).

     

    bb) Klage wurde abgewiesen

    Wurde die Klage abgewiesen, kommt eine Berufung des Beklagten nur in Betracht, wenn die Klage aufgrund der Hilfsaufrechnung abgewiesen wurde. Er kann sich dann nur gegen die Klageforderung zur Wehr setzen. §§ 45 Abs. 3, 4 GKG, 39 Abs. 3, 4 FamGKG greifen nicht.

     

    c) Berufungsgericht entscheidet nicht über Aufrechnung

    Hat das erstinstanzliche Gericht die Klageforderung unter Absprechen einer vom Beklagten hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung zuerkannt und verwirft das Berufungsgericht die vom Beklagten eingelegte Berufung als unzulässig, z. B. wegen Versäumung der Berufungsfrist, soll sich der Streitwert des Berufungsverfahrens ‒ auch für die Anwaltsvergütung ‒ nicht um den Wert der Gegenforderung erhöhen (KG JurBüro 90, 387).

     

    Wichtig | Diese Ansicht ist falsch. Denn die Vergütungsberechnung des Anwalts bestimmt sich im Verhältnis zu seinem Mandanten nach dem ihm erteilten Auftrag. Soweit also der Auftrag dahin geht, dass sich der Anwalt auch im Berufungsverfahren mit der Gegenforderung beschäftigt, ist der um die Gegenforderung addierte Streitwert für die Anwaltsvergütung maßgeblich.

     

    • Beispiel

    A klagt gegen B auf Zahlung von 10.000 EUR aus einem Kaufvertrag. B beantragt Klageabweisung und rechnet hilfsweise im Fall der Begründetheit des Klageanspruchs mit einem fälligen Darlehensanspruch in Höhe von ebenfalls 10.000 EUR auf. Nach Beweisaufnahme gibt das Gericht der Klage statt und erklärt die Aufrechnung für unbegründet. B legt gegen das Urteil Berufung ein. Das Berufungsgericht weist die Klage als unbegründet zurück.

     

    Lösung

    Der Streitwert für die 1. Instanz beträgt 20.000 EUR (10.000 EUR + 10.000 EUR), weil über die Gegenforderung des B rechtskräftig (in 2. Instanz) entschieden wurde (§ 45 Abs. 3 GKG). Dies gilt allerdings nicht für den Gerichtskostenstreitwert im Berufungsverfahren. Dort beträgt der Streitwert 10.000 EUR, weil durch die Klageabweisung keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung erfolgt. Hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren gilt dies jedoch nicht; der Streitwert beträgt hier 20.000 EUR.

     

    3. Erstmalige Hilfsaufrechnung in Berufungsinstanz

    Rechnet der Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz auf, ist dies nach § 533 ZPO nur zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und die Aufrechnung auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde legen muss. Es gilt also, dass neuer Tatsachenstoff im Berufungsverfahren in den Prozess eingeführt werden darf.

     

    Wichtig | Wird die Aufrechnung zugelassen, geschieht dies durch Endurteil, das keiner Begründung bedarf. Dies gilt aber nicht, wenn die Aufrechnung abgelehnt wurde. Dann muss eine Begründung ersichtlich sein, da ggf. Revision einzulegen ist.

     

    PRAXISTIPP | Prüfen Sie anhand der Urteilsbegründung daher stets, ob das Berufungsgericht die Aufrechnung zugelassen hat. Ist dies der Fall, sind die Streitwerte zu addieren.

     

    4. Berufungsgericht entscheidet erstmals über Hilfsaufrechnung

    Entscheidet das Berufungsgericht erstmals über die Aufrechnung, findet eine Streitwerterhöhung um den Wert der zur Aufrechnung gestellten Forderung statt, obwohl § 47 Abs. 2 S. 1 GKG, § 40 Abs. 2 S. 1 FamGKG den Wert der Rechtsmittelinstanz durch den Wert der ersten Instanz begrenzt. Ausnahme: Der Streitwert wird erweitert (§ 47 Abs. 2 S. 2 GKG, § 40 Abs. 2 S. 2 FamGKG).

     

    • Beispiel

    A klagt gegen B auf Zahlung von 20.000 EUR. B beantragt Klageabweisung, hilfsweise rechnet er mit einer bestrittenen Gegenforderung in gleicher Höhe auf. Das Gericht weist die Klage als unbegründet zurück. A legt Berufung ein. Das Berufungsgericht weist die Klage ab, da es der Ansicht ist, dass durch die Aufrechnung die Forderung erloschen ist. Aus den Urteilsgründen ergibt sich jedoch, dass die Klage als begründet anzusehen ist.

     

    Lösung

    Der Streitwert der Berufungsinstanz ist mit 40.000 EUR zu bewerten. Zwar findet keine Werterweiterung statt, weil A ja durch die Berufung lediglich seine 20.000 EUR möchte. Allerdings nimmt die h. M. eine Streitwertaddition vor (Madert, AGS 02, 218; Mümmler, JurBüro 78, 5).

     

    5. Hilfsaufrechnung und Vergleichsabschluss

    Die Gegenforderung ‒ auch wenn sie höher ist als die Klageforderung ‒ ist nur bis zur Höhe der Klageforderung werterhöhend zu berücksichtigen. Dies gilt auch im Fall eines den Prozess beendenden Vergleichs. Es kann nämlich keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die Klageforderung hinaus ergehen (§ 45 Abs. 4 GKG, § 38 Abs. 4 FamGKG; KG 24.5.18, 4 W 17/18).

     

    Wichtig | Unbedingt darauf zu achten ist, dass dem Vergleichs- bzw. Einigungstext eindeutig zu entnehmen sein muss, welche Forderungen erledigt sind. Andernfalls kann es fraglich bzw. nur durch zeitaufwendige Auslegung zu ermitteln sein, was von den Parteien gewollt ist.

     

    • Beispiel

    A klagt gegen B auf Zahlung von 20.000 EUR. B beantragt Klageabweisung, hilfsweise rechnet er mit einer bestrittenen Darlehensforderung in gleicher Höhe auf. Beide schließen folgende Vereinbarung, um sich gütlich zu einigen: „Zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus der Klageforderung und der Darlehensforderung von 20.000 EUR als Gegenforderung zur Klageforderung zahlt der Beklagte an den Kläger insgesamt einen Betrag von 10.000 EUR“.

     

    Lösung

    Durch diese Formulierung ist eindeutig geregelt, welche Forderungen von dem Vergleich erfasst werden sollen. Der Wert ist daher um den Wert der Gegenforderung von 20.000 EUR zu erhöhen, somit auf 40.000 EUR.

     

    Wichtig | Da der Verfahrenswert nicht mit dem Vergleichswert identisch sein muss, gilt es aus gebührenrechtlicher Sicht, zwingend zwischen beiden zu unterscheiden. Schließen nämlich die Parteien einen Vergleich unter vollständiger Erledigung der Klageforderung und einer im Wege der Hilfsaufrechnung geltend gemachten Gegenforderung, ist der Wert der Gegenforderung werterhöhend zu berücksichtigen. Der Streitwert erhöht sich um den Betrag der Gegenforderung bis maximal zum Wert der Klageforderung. Der Vergleichswert erhöht sich dagegen um den vollen Betrag der Gegenforderung (KG 24.5.18, 4 W 17/18; OLG Frankfurt MDR 80, 64; OLG Bamberg JurBüro 83, 106).

     

    • Beispiel

    A klagt gegen B auf Zahlung von 5.000 EUR. B beantragt Klageabweisung, hilfsweise rechnet er mit einer bestrittenen Forderung in Höhe von 10.000 EUR auf. Es wird zur gütlichen Klärung folgende Vereinbarung geschlossen: „Zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus der Klageforderung und der Gegenforderung zahlt der Beklagte an den Kläger insgesamt einen Betrag von 3.000 EUR“.

     

    Lösung

    Der Wert des Verfahrens beträgt 5.000 EUR + 5.000 EUR (§ 45 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 GKG), weil die Addition um den Wert der Gegenforderung nach § 322 Abs. 2 ZPO maximal in Höhe der Klageforderung in Betracht kommt. Hinsichtlich des Vergleichswerts gilt jedoch ein Wert von 15.000 EUR. Denn verglichen haben sich die Parteien über die Klageforderung und Gegenforderung in voller Höhe.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Vorsicht: Falsche Wertermittlung = falsche Abrechnung, RVG prof. 17, 172
    • So ermitteln Sie den richtigen Streitwert bei Klage, Widerklage und Hilfswiderklage, RVG prof. 17, 158
    Quelle: Ausgabe 12 / 2018 | Seite 211 | ID 45519537