· Fachbeitrag · KostRÄG 2021
Das sind die Anwendungsfälle der fiktiven Terminsgebühr
von RA Norbert Schneider, Neunkirchen
| Das KostRÄndG 2021 hat die fiktive Terminsgebühr der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG neu geregelt. Diese Änderungen gelten auch im Berufungs- (Anm. Abs. 1 zu Nr. 3202 VV RVG) oder Revisionsverfahren (Anm. zu Nr. 3210 VV RVG). Der folgende Beitrag erläutert wichtige Einzelheiten. |
1. Voraussetzung: Mündliche Verhandlung ist vorgeschrieben
Voraussetzung für alle fiktiven Terminsgebühren und den Anwendungsbereich der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG ist nach wie vor, dass ein Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung zugrunde liegt. Dies ist insbesondere der Fall bei:
- Erkenntnisverfahren (einschließlich Berufung und Revision)
- Einstweiligen Verfügungsverfahren
- Ehe- und Familienstreitsachen
- Einstweiligen Anordnungsverfahren in Familiensachen
Dagegen handelt es sich nicht um Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung insbesondere bei:
- Mahnverfahren
- Selbstständigen Beweisverfahren
- Arrestverfahren
- Nichtzulassungsbeschwerden
- Verfahren über die Bewilligung von PKH/VKH
- FGG-Hauptsacheverfahren
2. Das bedeutet für die Praxis
Wenn in der Praxis aus verschiedenen Gründen die vorgeschriebene mündliche Verhandlung tatsächlich nicht stattfindet, fällt in den folgenden Konstellationen trotzdem eine fiktive Terminsgebühr an.
a) Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
Eine fiktive Terminsgebühr entsteht, wenn das Gericht mit dem Einverständnis der Parteien oder Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Das setzt zweierlei voraus:
- Das Gericht erlässt eine schriftliche Entscheidung, wobei es sich nicht um eine Endentscheidung handeln muss. Auch Hinweis- oder Beweisbeschlüsse können ausreichen (AnwK-RVG/Onderka/Schneider, 8. Aufl. 2017, Nr. 3104 Rn. 62 ff.).
- Diese Entscheidung war gerade deshalb ohne mündliche Verhandlung möglich, weil die Parteien oder Beteiligten zugestimmt haben.
MERKE | Kann das Gericht im Einzelfall ohne Zustimmung der Parteien oder Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, entsteht keine Terminsgebühr. Das ist der Fall, wenn das Gericht nur noch über die Kosten entscheidet (§ 128 Abs. 3 ZPO), einen Einspruch als unzulässig verwirft (§ 341 Abs. 2 ZPO) oder die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig als unbegründet zurückweist. Dies gilt auch für die Fälle des § 68 Abs. 3 S. 3 FamFG, die keiner Zustimmung der Beteiligten bedürfen (KG AGS 12, 130; OLG Naumburg AGS 13, 63). Daher entsteht auch in einem einstweiligen Verfügungsverfahren oder in einem einstweiligen Anordnungsverfahren keine Terminsgebühr, wenn das Gericht hier über den Antrag ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 937 Abs. 2 ZPO, § 51 Abs. 2 S. 2 FamFG). |
b) Entscheidung nach Anerkenntnis
Ergeht im schriftlichen Verfahren nach § 307 ZPO ein Anerkenntnisurteil bzw. in Familiensachen ein Anerkenntnisbeschluss, entsteht die fiktive Terminsgebühr ohne weitere Voraussetzungen. Das gilt auch in einem einstweiligen Verfügungsverfahren (OLG Oldenburg AGS 17, 176) und in einem einstweiligen Anordnungsverfahren (OLG Brandenburg AGS 17, 214).
c) Entscheidung in Verfahren nach billigem Ermessen
Bei Verfahren nach billigem Ermessen gemäß § 495a ZPO verhält es sich ebenso wie bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren: Ergeht hier eine Entscheidung, entsteht die fiktive Terminsgebühr. Auch hier muss es sich nicht um eine Endentscheidung handeln ‒ Hinweis- oder Beweisbeschlüsse reichen.
d) Entscheidung durch Einigung
Bei der Einigungsvariante haben sich gegenüber der alten Gesetzesfassung bis zum 31.12.20 drei grundlegende Änderungen ergeben:
- 1. Während nach der früheren Fassung des RVG die Terminsgebühr nur bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs entstand, reicht es jetzt, dass sich die Parteien oder Beteiligten mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts einigen.
MERKE | Das KostRÄndG 2021 hat klargestellt, dass es für das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr bei Einigung keiner Beteiligung des Gerichts bedarf. Es ist also nicht erforderlich, dass der Vergleich oder die Einigung gerichtlich protokolliert oder gerichtlich festgestellt wird. Dies hatte der BGH auch schon vorher für die Zivilgerichtsbarkeit bestätigt (RVG prof. 20, 158). Die Verwaltungsgerichtbarkeit (OVG Berlin-Brandenburg AGS 18, 10) sowie die Sozialgerichtsbarkeit (LSG Nordrhein-Westfalen NZS 15, 560) waren hierbei aber lange anderer Auffassung. Danach sollte ein schriftlicher Vergleich nur ein gerichtlicher Vergleich sein.
- 2. Darüber hinaus ist seit dem 1.1.21 kein Vergleich mehr erforderlich. Es genügt eine Einigung. Es ist also nicht mehr ‒ wie bisher ‒ ein beiderseitiges Nachgeben erforderlich (§ 779 BGB). Vielmehr reicht ein einseitiges Nachgeben.
- 3. Im Gegensatz zur vorherigen Fassung ist auch keine Schriftform mehr erforderlich. Die Einigung kann also auch formlos geschlossen werden.
|
Nach Zustellung der Klage schickt der Anwalt des Beklagten an den Anwalt des Klägers eine WhatsApp und bietet an, dass der Beklagte 4.000 EUR zahlt, wenn der Kläger daraufhin die Klage zurücknimmt. Der Anwalt des Klägers schreibt per Kurznachricht zurück, dass er einverstanden ist.
Lösung Mit dem Angebot (WhatsApp) und der Annahme (Kurznachricht) ist die Einigung zustande gekommen. Damit ist die Terminsgebühr entstanden. Weitere Voraussetzungen sind nicht erforderlich. |
3. Kann Terminsgebühr auch vor Anhängigkeit entstehen?
Mit der Erweiterung der fiktiven Terminsgebühr stellt sich die Frage, ob eine solche fiktive Terminsgebühr auch vor Anhängigkeit entstehen kann. Die Antwort lautet: Ja.
|
Der Kläger beabsichtigt, über den Betrag von 5.000 EUR eine Klage einzureichen. Sein Anwalt unternimmt einen letzten Einigungsversuch: Er schickt dem Beklagten den Entwurf der Klage und gibt ihm die letzte Möglichkeit, freiwillig zu zahlen. Daraufhin bietet der Beklagte an, 4.000 EUR zu zahlen, wenn die Sache damit erledigt ist. Der Klägeranwalt nimmt dieses Angebot an.
Lösung Für den Klägeranwalt ist unstreitig eine 0,8-Verfahrensdifferenzgebühr nach Nrn. 3100, 3101 VV RVG angefallen, da er einen Klageauftrag hatte (Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG). Er hat auch unstreitig eine 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG verdient, da zwischen den Parteien unter Mitwirkung des Anwalts eine Einigung zustande gekommen ist und der Vergleichsgegenstand noch nicht anhängig war.
Zweifelhaft ist allerdings, ob hier eine Terminsgebühr angefallen ist, da die Sache noch nicht anhängig war:
|
MERKE | Es ist anerkannt, dass eine Besprechung vor Anhängigkeit die Terminsgebühr auslöst. Dies ergibt sich aus der Gesetzesformulierung der Vorbem. 3 Abs. 3 Nr. 2 VV RVG. Dort heißt es:
„Die Terminsgebühr entsteht sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen, wenn nichts anderes bestimmt ist. Sie entsteht jedoch nicht für die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins nur zur Verkündung einer Entscheidung. Die Gebühr für außergerichtliche Termine und Besprechungen entsteht für
|
Beachten Sie | Vermeiden lässt sich ein Verfahren nur, wenn es noch nicht anhängig ist. Die Folge ist: Eine Terminsgebühr kann also bereits anfallen, wenn dem Rechtsanwalt der verfahrensrechtliche Klageauftrag unbedingt erteilt wurde, aber verfahrensrechtlich noch keine Anhängigkeit besteht.
Die enge Auffassung des LAG Hamburg (a. a. O.) würde letztlich nur zu dem Ergebnis führen, dass für die Anwälte ein Anreiz bestünde, die Sache zunächst anhängig zu machen, um danach die Einigung zu schließen und damit die Terminsgebühr zu verdienen.
Von daher sprechen Sinn und Zweck dafür, keine Anhängigkeit für das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr zu fordern.
4. Die Erledigung im Verwaltungsrecht löst die Gebühr aus
Mit der Neufassung der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG ist nun klargestellt, dass die fiktive Terminsgebühr auch in einem verwaltungsrechtlichen Mandat anfällt, wenn ‒ ohne Einigung ‒ eine Erledigung mit der Behörde herbeigeführt wird. Eine entsprechende Regelung fehlte bislang im Gesetz. Auch diese Lücke hat der Gesetzgeber mit dem KostRÄG 2021 geschlossen.
5. Gleiches gilt für das Sozialrecht
Die gleichen Änderungen, wie sie in der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG vorgenommen worden sind, finden sich auch in der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV RVG bei der entsprechenden fiktiven Terminsgebühr in Sozialsachen nach Rahmengebühren. Hier hat der Gesetzgeber ebenso nachgebessert und die bisherigen Lücken geschlossen.
Weiterführende Hinweise
- Schriftlicher Vergleich muss nicht gerichtlich sein, RVG prof. 21, 97
- Fiktive Verfahrens- und Terminsgebühren gibt es jetzt auch im Verwaltungs- und Sozialrecht, RVG prof. 21, 66
- Neues zur Terminsgebühr bei Vergleichen, RVG prof. 21, 26