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  • · Fachbeitrag · Terminsgebühr

    Mischfälle: Echte und fiktive Terminsgebühren sind nebeneinander möglich

    von RA Norbert Schneider, Neunkirchen

    | Das OLG Schleswig hat ein Problem aufgeworfen, das bis dato eigentlich gar keines war: Es hat verneint, dass in „Mischfällen“ fiktive Terminsgebühren nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG neben den „echten“ Terminsgebühren nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG entstehen können. Zu Recht? Der folgende Beitrag liefert Argumente für das Nebeneinander. |

    1. Die echten Terminsgebühren

    Der Anwalt erhält sog. echte Terminsgebühren nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG, und zwar bei Wahrnehmung

    • gerichtlicher Termine (Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV RVG), mit Ausnahme eines Verkündungstermins (Vorbem. 3 Abs. 3 S. 2 VV RVG), sowie
    • außergerichtlicher Termine. Das sind die Teilnahmen an einem von einem gerichtlichen Sachverständigen anberaumten Termin (Vorbem. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 VV RVG) oder außergerichtliche Besprechungen zur Vermeidung oder Erledigung eines Verfahrens (Vorbem. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 VV RVG).

    2. Die fiktiven Terminsgebühren

    Nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG sind sog. fiktive Terminsgebühren vorgesehen in Verfahren,

    • in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist,
    • wenn im schriftlichen Verfahren im Einverständnis mit den Parteien, nach § 307 ZPO (Anerkenntnis) oder nach § 495a ZPO (Bagatellverfahren) entschieden wird oder
    • wenn die Parteien eine Einigung schließen.

    3. Mischfälle

    Die praktische Frage ist, ob auch Mischfälle auftreten können, in denen echte und fiktive Terminsgebühren nebeneinander abgerechnet werden können.

     

    • Beispiel 1: Teilanerkenntnis

    Eingeklagt sind 5.000 EUR. Der Beklagte B erkennt 4.500 EUR an, sodass ein Anerkenntnisurteil im schriftlichen Verfahren ergeht. Später wird über die restlichen 500 EUR mündlich verhandelt. Welche Terminsgebühren entstehen?

     

    Nach Auffassung des OLG Schleswig setzt eine fiktive Terminsgebühr (hier aus 4.500 EUR) nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG voraus, dass sich das Verfahren damit endgültig erledigt (23.4.20, 15 WF 14/20, Abruf-Nr. 229066). Dies sei hier aber nicht der Fall, sodass keine fiktive Terminsgebühr anfalle. Es bleibe bei der echten Terminsgebühr, die sich nur aus dem Wert von 500 EUR berechnen würde:

     

    • Lösung nach dem OLG Schleswig

    1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 5.000 EUR)

    434,20 EUR

    1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 500 EUR)

    58,50 EUR

    Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

    20,00 EUR

    19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

    97,41 EUR

    610,11 EUR

     

    Beachten Sie | Für eine solche Gesetzesauslegung gibt es aber keine Anhaltspunkte. Ebenso wie die Terminsgebühren nach Vorbem. 3 VV RVG oder die einzelnen Terminsgebühren nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG nebeneinander entstehen können, ist auch eine Kombination von Terminsgebühren nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG und Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG möglich (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl., Nr. 3104 Rn. 65; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., Nr. 3104 Rn. 23). Es bleibt lediglich dabei, dass die Terminsgebühr insgesamt nur einmal aus dem Gesamtwert entstehen kann (§ 15 Abs. 2 RVG). Zutreffend ist daher im Beispiel 1 wie folgt zu rechnen:

     

    • Korrekte Lösung bei Teilanerkenntnis

    1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 5.000 EUR)

    434,20 EUR

    1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 5.000 EUR)

    400,80 EUR

    Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV

    20,00 EUR

    19 Prozent USt., Nr. 7008 VV

       162,45 EUR

    1.017,45 EUR

     

    Ebenso ist ein Mischfall bei einem Teilvergleich und einer Verhandlung über die restliche Klageforderung denkbar.

     

    • Beispiel 2: Teilvergleich

    Eingeklagt sind 5.000 EUR. Über 4.000 EUR wird ein Teilvergleich geschlossen, dessen Zustandekommen nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt wird. Über die restlichen 1.000 EUR wird mündlich verhandelt.

     

    Lösung:

    Die Terminsgebühr fällt aus 4.000 EUR nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG und aus den weiteren 1.000 EUR nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG, insgesamt also nur einmal aus dem Gesamtwert von 5.000 EUR an (§ 15 Abs. 2 RVG). Hinzu kommt die Einigungsgebühr aus 4.000 EUR.

    1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 5.000 EUR)

    434,20 EUR

    1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 5.000 EUR)

    400,80 EUR

    1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000,1003 VV RVG (Wert: 4.000 EUR)

    278,00 EUR

    Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

    20,00 EUR

    19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

       215,27 EUR

    1.348,27 EUR

     

    4. Fiktive Terminsgebühr ohne Verfahrensbeendigung

    Geht man zutreffend davon aus, dass eine fiktive Terminsgebühr keine vollständige Erledigung des Verfahrens voraussetzt, entsteht die Terminsgebühr selbstverständlich auch in dem folgenden Fall: Eine sog. fiktive Terminsgebühr entsteht nur für einen Teil des Streitgegenstands und das Verfahren erledigt sich im Übrigen ohne weiteren Termin.

     

    MERKE | Ein solcher Fall kommt häufig bei Stufenklagen vor, wenn über die Auskunft ein Teil- oder Teilanerkenntnisurteil ergeht und es später nicht mehr zur Verhandlung über die Leistungsstufe kommt.

     
    • Beispiel 3: Anerkenntnis der Auskunft und Erledigung der Leistung

    Kläger K klagt auf Zahlung von Pflichtteilsansprüchen und geht dabei im Weg der Stufenklage vor. Er klagt in erster Stufe auf Auskunft und in zweiter Stufe auf Leistung. Das LG setzt den Streitwert ‒ ausgehend von der Erwartung des K ‒ auf 100.000 EUR fest (§ 44 GKG). Der Beklagte B erkennt den Auskunftsanspruch an. Nach Auskunftserteilung zahlt B und der Rechtsstreit wird übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

     

    Lösung:

    Hier ist nur die Terminsgebühr nach Anm. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG aus dem Wert der Auskunft (und nicht aus dem Wert der Hauptsache) angefallen. Ungeachtet dessen ist aber die fiktive Terminsgebühr entstanden (vgl. auch OLG Hamm JurBüro 21, 147; OLG Koblenz AGS 19, 286). Der Gegenstandswert der Terminsgebühr ist im Verfahren nach § 33 RVG auf Antrag des Anwalts oder der Partei gesondert festzusetzen. Geht man davon aus, dass der Wert der Auskunft mit dem üblichen Prozentsatz von 20 Prozent festgesetzt wird, ergibt sich für die Auskunftsstufe ein Wert in Höhe von 20.000 EUR. Abzurechnen sind danach wie folgt:

    1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 100.000 EUR)

    2.151,50 EUR

    1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 20.000 EUR)

    986,40 EUR

    Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

    20,00 EUR

    19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

       600,00 EUR

    3.757,90 EUR

     
    • Beispiel 4: Teilanerkenntnis und Klagerücknahme wegen des Restes

    Auf die Klage über 10.000 EUR erkennt der Beklagte B die Klageforderung von 8.000 EUR an. Kläger K nimmt anschließend die verbliebene Klage zurück.

     

    Lösung:

    Hier entsteht eine fiktive Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG, allerdings nur aus dem Wert von 8.000 EUR (vgl. OLG Hamburg AGS 16, 117).

    1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 EUR)

    798,20 EUR

    1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 8.000 EUR)

    602,40 EUR

    Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

    20,00 EUR

    19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

       269,91 EUR

    1.690,51 EUR

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2022 | Seite 124 | ID 48263844