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  • 09.02.2022 · IWW-Abrufnummer 227406

    Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 21.01.2022 – 8 Ta 186/21

    1. Nimmt der gekündigte Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess parteierweiternd auch den vermeintlichen Betriebserwerber im Sinne des § 613a Abs. 1 BGB mit einem Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO auf den Fortbestand des streitigen Arbeitsverhältnisses in Anspruch, so bemisst sich der Gebührenstreitwert ohne Erhöhung allein wegen der subjektiven Klagehäufung regelmäßig insgesamt nach dem Vierteljahresverdienst.

    2. Wird daneben beantragt, den Betriebserwerber zur Anmeldung des gekündigten Arbeitnehmers zur Sozialversicherung zu verurteilen, hält sich die gebührenrechtliche Bewertung dieses Antrags mit 250,00 € im Rahmen des nach § 3 ZPO eröffneten Ermessens. Ein Wertansatz unter Orientierung an den dreieinhalbfachen Jahresbetrag der Sozialversicherungsbeiträge ( § 9 ZPO ) scheidet gemäß §§ 42 Abs. 2 S. 1 , 45 Abs. 1 S. 3 GKG aus.


    Tenor:

    Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 11. Mai 2021 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hagen vom 6. Mai 2021 - 3 Ca 740/20 - wird zurückgewiesen.

    Der Beschluss wird von Amts wegen dahin abgeändert, dass der Gebührenstreitwert bis zur Verfahrenstrennung und teilweisen Klagerücknahme im Termin vom 8. Juli 2020 insgesamt 10.250,00 € und in der Zeit danach 8.000,00 € betragen hat.

    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.



    Gründe



    Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Wertfestsetzung für ein Bestandsschutzverfahren erster Instanz mit subjektiver Klagehäufung auf der Passivseite.



    I.



    Der durch die Beschwerdeführer im Prozess anwaltlich vertretene Kläger war bei der ursprünglichen Beklagten zu 1. seit Oktober 2017 als Mitarbeiter im Versand und als Fahrer gegen ein Monatsentgelt in Höhe von durchschnittlich 2.000,00 € beschäftigt. Gegen die ihm von der Beklagten zu 1. unter dem 15. August 2018 ausgesprochene außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung wandte er sich mit seiner am 3. September 2018 anhängig gemachten Kündigungsschutzklage. Diese umfasste zunächst einen Antrag nach §§ 4 S. 1, 13 Abs. 2 S. 1 KSchG, einen als unechten Hilfsantrag formulierten Beschäftigungsantrag sowie einen auf die Erteilung eines Zeugnisses gerichteten weiteren Antrag.



    Mit Beschluss vom 21. Februar 2019 eröffnete das Amtsgericht Hagen das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten zu 1., womit eine Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 ZPO einherging. Mit partei- und klageerweiterndem Schriftsatz vom 1. April 2020 nahm der Kläger sodann die Beklagte zu 2. als vermeintliche Betriebserwerberin nach § 613a Abs. 1 BGB wegen des Fortbestands des gekündigten Arbeitsverhältnisses in Anspruch. Insoweit ließ er einen Feststellungsantrag gem. § 256 Abs. 1 ZPO, einen nicht bedingten Beschäftigungsantrag sowie einen auf Anmeldung zur Sozialversicherung über die Einzugsstelle seiner gesetzlichen Krankenversicherung gerichteten weiteren Antrag ankündigen. Eine Aufnahme des gegen die Beklagte zu 1. gerichteten Verfahrens erfolgte zunächst nicht.



    Im Termin vom 8. Juli 2020 trennte das Arbeitsgericht den die Beklagte zu 1. betreffenden, weiterhin unterbrochenen Teil des Rechtsstreits im Beschlusswege ab. Ferner nahm der Kläger den Antrag auf Anmeldung zur Sozialversicherung zurück. Gegen die danach verbliebene Beklagte (zunächst Beklagte zu 2.) erging auf Antrag des Klägers erstes echtes Versäumnisurteil über den Feststellungs- und Beschäftigungsantrag. Nach Zustellung dieses Urteils und einem Einspruch der seither anwaltlich vertretenen Beklagten, eröffnete das Amtsgericht Hagen auch über deren Vermögen im November 2020 das Insolvenzverfahren. Das Verfahren wurde von den Parteien seither nicht mehr betrieben bzw. nicht aufgenommen.



    Mit Beschluss vom 6. Mai 2021 setzte das Arbeitsgericht den Gebührenstreitwert auf 10.250,00 € fest. Dabei bewertete es das Bestandsschutzbegehren einheitlich mit 6.000,00 € (Vierteljahreseinkommen), den Beschäftigungs- und den Zeugnisantrag jeweils nach dem einfachen Monatseinkommen und den Antrag auf Meldung zur Sozialversicherung daneben mit 250,00 €.



    Gegen diese Festsetzung wenden sich die Beschwerdeführer mit ihrem am 11. Mai 2021 aus eigenem Recht aufgerufenen Behelf. Soweit im Kontext einer Kündigung ein Betriebsübergang relevant und dieser zum Anlass einer Klageerweiterung im Sinne einer subjektiven Klagehäufung wegen des Bestandsschutzbegehrens werde, sei von zwei selbständigen Streitgegenständen auszugehen, die nebeneinander jeweils mit dem Vierteljahresverdienst gem. § 42 Abs. 2 S.1 GKG zu bewerten seien. Der die Anmeldung zur Sozialversicherung betreffende Antrag sei daneben mit dem 3,5-fachen Jahreswert der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen (§ 9 ZPO). Jedenfalls sei ein Ansatz von 250,00 € insoweit weder sach- noch interessengerecht.



    Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.



    II.



    Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, ausdrücklich aus eigenem Recht aufgerufene, rechtzeitig erhobene und im Übrigen zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Sie führt jedoch gem. § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu einer Abänderung der Wertfestsetzung durch die Beschwerdekammer.



    1. Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts war vorliegend auf der Grundlage des § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 63 Abs. 2 GKG auf Antrag vorzunehmen, da spätestens zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Arbeitsgericht die Verfahrensakten wegen des Nichtbetreibens des Verfahrens über sechs Monate wegzulegen waren (vgl. § 10 Abs. 1 der Aktenordnung), was gem. § 9 Abs. 2 Nr. 3 GKG mit der Fälligkeit der Gerichtsgebühren einhergeht. Für eine Festsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG, der im Beschluss des Arbeitsgerichts zitiert ist, bestand hingegen kein Anlass.



    2. Soweit das Arbeitsgericht einen Gesamtwert von 10.250,00 € angegeben hat, bestehen dagegen im Ausgangspunkt mit Blick auf §§ 39 Abs. 1, 42 Abs. 2 S. 1, 45 Abs. 1 S. 3, 48 Abs. 1 GKG i. V. m. §§ 3, 5 ZPO keine durchgreifenden Bedenken. Allerdings kann ein Wert dieser Höhe nur insgesamt und für den Zeitraum bis zur teilweisen Rücknahme der Klage (Wertanteil 250,00 €) und Verfahrenstrennung im Termin vom 8. Juli 2020 angenommen werden. Danach belief sich der Wert des vorliegenden Verfahrens auf noch 8.000,00 €. Welcher Wert für das abgetrennte Verfahren (Az.: 3 Ca 1345/20) betreffend die ursprüngliche Beklagte zu 1. nunmehr anzusetzen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Im Ausgang belieft sich dieser auf 8.000,00 € (Kündigungsschutzantrag und Zeugnisantrag, keine Berücksichtigung des Beschäftigungsantrags als bislang nicht beschiedener Hilfsantrag).



    a. Soweit der von Kündigung betroffene Arbeitnehmer im Kontext einer Kündigung im Wege der subjektiven und objektiven Klagehäufung neben einem Antrag gem. §§ 4 S. 1, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG gegen den bisherigen Arbeitgeber zugleich den wirklichen oder vermeintlichen Betriebserwerber im Wege des Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO auf den Fortbestand des gekündigten Arbeitsverhältnisses mit diesem in Anspruch nimmt, handelt es sich um eine einheitliche, lediglich das eine klägerische Arbeitsverhältnis betreffende Bestandsstreitigkeit im Sinne des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG. Es ist daher - auch bei subjektiver Klagehäufung - jedenfalls beim Vorliegen lediglich eines relevanten Beendigungstatbestands für die Bestandsfrage insgesamt nur einmal das Vierteljahreseinkommen im Sinne des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG in Ansatz zu bringen. Diese von der Beschwerdekammer verfolgte Praxis (siehe auch Beschluss vom 20. Februar 2020 - 8 Ta 31/20 - n. v.) entspricht den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 9. Februar 2018 (u. a. NZA 2018, S. 495 ff). Diesen schließt sich die Beschwerdekammer im Interesse einer einheitlichen, transparenten, berechenbaren, vor allem aber interessen- und normgerechten Spruchpraxis regelmäßig an.



    Darüber wird vorliegend zugleich der aus § 42 Abs. 2 S. 1 GKG ersichtlichen gesetzgeberischen Absicht zur Begrenzung des Gebührenstreitwerts bei das Arbeitsverhältnis betreffenden Bestandsstreitigkeiten aus sozialpolitischen Gründen entsprochen. Denn trotz der Inanspruchnahme einer Mehrheit von Parteien auf der Arbeitgeberseite geht es in dieser Konstellation letztlich um den Fortbestand des einen gekündigten Arbeitsverhältnisses in ein und demselben Betrieb zu den bisher vereinbarten bzw. auf der Grundlage kollektiver Rechtsnormen bestimmten Bedingungen. Das Arbeitsverhältnis kann, den Klageerfolg unterstellt, notwendig nur mit einer Passivpartei fortbestehen. Es ist deshalb vertragsrechtlich wie wirtschaftlich betrachtet von einem einheitlichen Klageinteresse auszugehen, was nach dem Rechtsgedanken des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG einen doppelten Ansatz insoweit ausschließt. Denn der klagende Arbeitnehmer will und kann den Fortbestand des streitigen Rechtsverhältnisses nur einmal und mit einem der beiden parallel verklagten Arbeitgeber sichern. Selbiges muss der geschilderten gesetzgeberischen Intention wegen auf den Gebührenstreitwert durchschlagen und diesen nach den gesetzlichen Vorgaben der §§ 42 Abs. 2 S. 1, 45 Abs. 1 S. 3 GKG auf höchstens einmal das Vierteljahreseinkommen begrenzen (so im Ergebnis auch: LAG Nürnberg, Beschluss vom 13.Juli 2007 - 6 Ta 102/06 - juris; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 26 Ta (Kost) 6120/18 - juris).



    b. Der Beschäftigungsantrag - konkret das gegen die Beklagte unbedingt verfolgte Beschäftigungsbegehren - ist daneben, entsprechend der Empfehlung zu I. Nr. 12 des Streitwertkatalogs, mit einem weiteren Monatseinkommen in die Wertberechnung einzustellen. Hinzu tritt der Wert des allein gegen die ursprüngliche Beklagte zu 1. gerichteten Zeugnisantrags, für den nach I. Nr. 29 des Streitwertkatalogs und entsprechend ständiger Spruchpraxis der Beschwerdekammer ebenfalls ein Monatseinkommen angesetzt werden kann. Da die Beschwerde dagegen keine Einwände geltend macht, erübrigen sich zur Höhe dieser Ansätze weitergehende Ausführungen.



    c. Der im Termin zurückgenommene Antrag auf Meldung zur Einzugsstelle der Sozialversicherung ist nach §§ 48 Abs. 1, 42 Abs. 2 S. 1 GKK i. V. m. § 3 ZPO mit einem Betrag in Höhe von 250,00 € sach- und interessengerecht bewertet. Die fragliche Anmeldepflicht der Beklagten folgt - sozialrechtlich begründet - als Reflex aus dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, welches über den Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO festgestellt werden soll. Sie ist abhängiger sozialrechtlicher Teil der aus einem Arbeitsverhältnis entstehenden Arbeitgeberpflichten und stand ersichtlich nicht gesondert, sondern lediglich in Verbindung mit der Bestandsfrage im Streit. Es erscheint der Beschwerdekammer daher als diskutabel, von einem Wertansatz für diesen Antrag gänzlich abzusehen, weil er - erneut wirtschaftlich betrachtet - lediglich ein aus der Bestandsschutzfrage folgendes Teilinteresse abbildet. Soweit das Arbeitsgericht jedoch, mit Blick auf die zusätzliche begehrte Handlung, die Vornahme einer Meldung als solcher, ein gesondert zu bewertendes Interesse angenommen und mit 250,00 € taxiert hat, hält sich dieses im Rahmen des nach § 3 ZPO eröffneten Ermessens.



    d. Nach teilweiser Rücknahme der Klage und Verfahrenstrennung im Termin beschränken sich die Streitgegenstände des vorliegenden Verfahrens auf die gegen die allein verbliebene Beklagte (zu 2.) gerichteten Bestandsschutz- und Beschäftigungsanträge. Daher beläuft sich der Gebührenstreitwert seither auf lediglich noch 8.000,00 € (Vierteljahreseinkommen zzgl. ein Monatsgehalt), was insbesondere wegen der erst danach erfolgten Mandatierung bzw. Meldung der Prozessbevollmächtigten der verbliebenen Beklagten von Relevanz und gem. § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen auszusprechen ist.



    3. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 3 GKG.

    Vorschriften§§ 4 S. 1, 13 Abs. 2 S. 1 KSchG, § 240 ZPO, § 613a Abs. 1 BGB, § 256 Abs. 1 ZPO, § 42 Abs. 2 S.1 GKG, § 9 ZPO, § 32 Abs. 2 S. 1 RVG, §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG, § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG, § 63 Abs. 2 GKG, § 9 Abs. 2 Nr. 3 GKG, § 33 Abs. 1 RVG, §§ 39 Abs. 1, 42 Abs. 2 S. 1, 45 Abs. 1 S. 3, 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 5 ZPO, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG, § 42 Abs. 2 S. 1 GKG, § 45 Abs. 1 S. 3 GKG, §§ 42 Abs. 2 S. 1, 45 Abs. 1 S. 3 GKG, § 3 ZPO, § 68 Abs. 3 GKG