27.01.2016 · IWW-Abrufnummer 183301
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 16.10.2015 – 1 Ta 161/15
1. Der Freibetrag für Erwerbstätige nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1b ZPO ist bei der Berechnung der Ratenhöhe im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer Krankengeld bezieht und dies der Höhe nach aus seinem Arbeitsentgelt berechnet wird. Er bleibt unberücksichtigt, wenn das Krankengeld aus dem Arbeitslosengeld 1 berechnet worden ist (wie: BAG v. 22.4.2009 - 3 AZB 90/08 ).
2. Ist zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien (noch) streitig, bleibt es bei diesem Grundsatz
3. Ob dieser Grundsatz auch gilt, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife unstreitig beendet ist, sei es aufgrund eines vorherigen Beendigungsvergleichs im Prozess oder weil die Beendigung nicht streitgegenständlich war, bleibt unentschieden.
Im Beschwerdeverfahren betr. Prozesskostenhilfe
pp.
hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein am 16.10.2015 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 10.09.2015 - 2 Ca 1000 d/15 - in der Form des Abhilfebeschlusses vom 28.09.2015 geändert.
Die Höhe der vom Kläger monatlich zu zahlenden Raten wird auf 110,-- € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Herabsetzung der vom Arbeitsgericht festgesetzten Höhe der Raten, mit der sich der Kläger an den Kosten der Prozessführung zu beteiligen hat.
Der Kläger hat am 13.07.2015 beim Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage eingereicht, die sich gegen eine zum 30.07.2015 ausgesprochene ordentliche Kündigung gerichtet hat. Gleichzeitig hat er einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Am 20.07.2015 ist beim Arbeitsgericht die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst vollständigen Anlagen eingegangen. Darunter befand sich auch eine Bescheinigung der Techniker Krankenkasse, wonach der Kläger seit dem 07.06.2015 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich netto 37,77 € bezieht.
Der Rechtsstreit ist durch Vergleich im Gütetermin am 08.09.2015 beendet worden. Im Anschluss an den Vergleich hat das Gericht ausweislich des Protokolls ausgeführt, es werde Prozesskostenhilfe für den Antrag aus der Klagschrift und für den Vergleich dem Grunde nach bewilligen, wahrscheinlich werde eine Ratenzahlung erfolgen.
Mit Beschluss vom 10.09.2015 hat das Arbeitsgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe für die Klage und den Vergleich bewilligt und festgelegt, dass sich der Kläger mit monatlichen Raten in Höhe von 235,-- € an den Kosten der Prozessführung zu beteiligen habe. Bei der Ermittlung des Einkommens des Klägers hat das Arbeitsgericht das Krankengeld in Höhe von 1.133,10 € netto monatlich angesetzt und hiervon den Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b ZPO nicht abgesetzt.
Gegen diesen am 14.09.2015 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 17.09.2015 "Beschwerde" eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Wegen eines laufenden Insolvenzverfahrens erhalte er nur die pfändungsfreien Bezüge ausbezahlt, so dass sein Erwerbseinkommen um 39,28 € zu reduzieren sei. Im Übrigen sei vom Einkommen der Freibetrag für Erwerbstätige abzuziehen, da bei Stellung des Prozesskostenhilfeantrags das Krankengeld anstelle von Arbeitsentgelt gezahlt worden sei. Es ergebe sich eine maximale monatliche Ratenzahlung von 110,-- €.
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde teilweise abgeholfen und die Rate auf 215,-- € wegen der vom Kläger angegebenen Pfändung reduziert. Den Erwerbstätigenfreibetrag hat es nicht berücksichtigt und die sofortige Beschwerde dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgef ührt, maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sei der Zeitpunkt der Prozesskostenhilfeentscheidung gewesen. Der Kläger sei zu jenem Zeitpunkt arbeitslos gewesen. Daher sei auch der Freibetrag f ür Erwerbstätige nicht zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Entscheidung sei auch nicht der Zeitpunkt der Antragstellung sondern derjenige, an dem über die Prozesskostenhilfe zu entscheiden sei. Dies sei erst im Gütetermin am 08.09.2015 der Fall gewesen, weil die Beklagte vor der Entscheidung noch habe angehört werden müssen.
Zur Begründung seiner Beschwerde hat der Kläger im Beschwerdeverfahren ergänzend ausgeführt, zum Zeitpunkt des Gütetermins habe noch gar nicht festgestanden, ob das Arbeitsverhältnis bereits beendet gewesen sei. Im Übrigen habe das Gericht die Entscheidung über die Festsetzung der Ratenhöhe verzögert. Sollte der Beschwerde nicht abgeholfen werden, müsse bei zukünftigen Verfahren zwingend vor Abschluss des Vergleichs darauf bestanden werden, dass eine abschließende Entscheidung über die Prozesskostenhilfe erfolge.
Wegen der weiteren Ausführungen wird auf die Beschwerdebegründung vom 08.10.2015 Bezug genommen. Ergänzend wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.
II.
Die als sofortige Beschwerde, dem gemäß § 127 Abs. 2 ZPO statthaftem Rechtsbehelf auszulegende "Beschwerde" des Klägers ist form- und fristgemäß eingelegt und damit zulässig. Sie ist auch in der Sache begründet und führt zur Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Frage, ob bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens des Klägers der Freibetrag für Erwerbstätige zu berücksichtigen ist, obwohl der Kläger wegen der mittlerweile erfolgten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erwerbstätig ist.
Gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b ZPO ist vom Einkommen bei Parteien, die ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen ein Betrag in Höhe von 50 vom 100 des höchsten Regelsatzes, der für den alleinstehenden oder alleinerziehenden Leistungsberechtigten gemäß der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 des 12. Buches Sozialgesetzbuch festgelegt oder fortgeschrieben worden ist, abzuziehen. Dieser Betrag beträgt nach der Prozesskostenhilfebekanntmachung 2015 pauschaliert 210,-- €.
Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung dieses Freibetrags liegen vor. Das Krankengeld des Klägers ist ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne dieser Vorschrift. Das gilt jedenfalls für den vorliegenden Fall, in dem zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife über den Prozesskostenhilfeantrag die Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht feststand.
1. Im Einzelnen ist von folgenden Rechtsgrundsätzen auszugehen:
a) Grundsätzlich ist Grundlage jeder gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz der letzte Erkenntnisstand des Gerichts, also der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung. Auch für die Beurteilung der Bedürftigkeit im Rahmen der Prüfung nach § 115 ZPO kommt es auf den letzten Erkenntnisstand an. Dies gilt allerdings nur, wenn alsbald nach Entscheidungsreife auch entschieden wird. Zur Entscheidung reif ist ein Prozesskostenhilfebegehren, wenn die Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und wenn der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich zum PKH-Gesuch zu äußern (vgl. § 118 Abs. 1 S. 1 ZPO, Zöller, § 119, Rn 44). Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse, die zwischen dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife und der tatsächlichen Entscheidung des Gerichts über den Prozesskostenhilfeantrag eintreten, sind nicht zu berücksichtigen (vgl. Zöller, a. a. O., Rn 46).
b) Hinsichtlich der Berücksichtigung des Freibetrags für Erwerbstätige bei Bezug von Krankengeld durch den Antragsteller im Prozesskostenhilfeverfahren ist zunächst einmal zu differenzieren. Gemäß § 44 Abs. 1 SGB V steht Versicherten bei Arbeitsunfähigkeit oder stationärer Behandlung Krankengeld zu. Versichert in diesem Sinne sind im Wesentlichen Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Der Krankengeldanspruch knüpft deshalb prinzipiell an ein Arbeitsverhältnis und damit an eine Erwerbstätigkeit an und ist dementsprechend nach § 47 SGB V als Anteil vom regelmäßig erzielten Arbeitsentgelt berechnet. Daneben gibt es aber auch einen Krankengeldanspruch wenn eine Person, die Arbeitslosengeld bezieht, erkrankt (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). In diesem Fall wird die Höhe des Krankengeldes nach § 47 b SGB V entsprechend dem Arbeitslosengeld berechnet.
Für die Berücksichtigung des Erwerbstätigenfreibetrags bedeutet dies nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass Krankengeld, das anstelle von Arbeitsentgelt gezahlt und der Höhe nach als Anteil vom Arbeitsentgelt berechnet wird, als Erwerbseinkommen zu betrachten ist, während Krankengeld, das während der Arbeitslosigkeit gezahlt wird, nicht als Erwerbseinkommen zu berücksichtigen ist. Diese Unterscheidung entspricht dem Zweck des Freibetrags für Erwerbstätige. Er soll pauschaliert die erhöhten Aufwendungen ausgleichen, die einem aktiv im Arbeitsleben stehenden Arbeitnehmer entstehen. Dabei geht es aber nicht um konkrete Kosten, da diese ohnehin gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 a ZPO i. V. m. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII als "die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben" geltend gemacht werden können, solange sie tatsächlich anfallen. Vielmehr geht es um nicht näher spezifizierbare und damit zu pauschalierende Aufwendungen. Das Gesetz geht davon aus, dass derartige Aufwendungen solange anfallen, wie der Prozesskostenhilfeantragsteller im Erwerbsleben steht. Nach der aufgezeigten Systematik des Krankengeldrechts muss davon solange ausgegangen werden, wie der Arbeitnehmer Krankengeld erhält, das sich nach § 47 SGB V anhand seine Einkommens berechnet (BAG, Beschl. v. 22.04.2009 - 3 AZB 90/08 - [...], Rn 8 und 9).
Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nach dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht darauf an, ob er zum Zeitpunkt der Bewilligung der PKH Arbeitslosengeld bezogen hat oder nicht, sondern ob sich sein Krankengeld nach seinem bisherigen Arbeitsentgelt berechnet oder nach dem Arbeitslosengeld. Vorliegend ist das vom Kläger während der Arbeitslosigkeit bezogene Krankengeld gegenüber dem während der Zeit der Erwerbstätigkeit bezogenen in der Höhe unverändert, so dass davon auszugehen ist, dass sein Krankengeld vom Arbeitsentgelt berechnet ist. Nach dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Beschwerde also ohne weiteres begründet.
2. Nach Auffassung verschiedener Landesarbeitsgerichte gilt diese Rechtsprechung aber dann nicht uneingeschränkt, wenn zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife bereits feststeht, dass das Arbeitsverhältnis beendet und ein neues nicht begründet worden ist. In diesen Fällen sei der Zweck der gesetzlichen Regelung, durch eine weitere Pauschalierung die für die Berufs- bzw. Erwerbstätigkeit erforderlichen sonstigen Aufwendungen angemessen zu berücksichtigen, entfallen. Zum für die Beurteilung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt könne der gesetzlichen Bestimmung des § 115 Abs. 1 S. 3 Ziff. 1 b ZPO ohne das Hinzutreten sonstiger Umstände nichts dafür entnommen werden, dass auch bei Wegfall der die Pauschale rechtfertigenden üblichen Unkosten für die Erwerbstätigkeit diese allein aufgrund einer Fortzahlung des Krankengeldes als weiterhin vorhanden unterstellt werden müssten (LAG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2009 - 3 Ta 653/09 - [...], Rn 12 f.; ebenso LAG Köln, Beschl. v. 20.10.2014 - 1 Ta 324/14 - [...]).
Auch unter Zugrundelegung dieser einschränkenden Auffassung ist im vorliegenden Fall der Erwerbstätigenfreibetrag bei der Berechnung der Ratenhöhe zu berücksichtigen.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war nach der Anhörung des Beklagten im Gütetermin bewilligungsreif. Mit der Beschwerdebegründung geht die Kammer davon aus, dass zu jenem Zeitpunkt eine Bewilligungsentscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag hätte ergehen können. Zu jenem Zeitpunkt stand die Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht fest, sondern war zwischen den Parteien streitig. Der Vergleich war gerade noch nicht geschlossen worden.
Anders ist daher aus Sicht des Gerichts allenfalls in den Fällen zu entscheiden, in denen vor Abschluss eines Beendigungsvergleichs etwa mangels Vorlage der erforderlichen Unterlagen aus anderen Gründen Bewilligungsreife hinsichtlich der Prozesskostenhilfeentscheidung noch nicht eingetreten ist oder aber, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gar nicht im Streit steht.
3. Berücksichtigt man den Erwerbstätigenfreibetrag zugunsten des Klägers, so vermindert sich sein einzusetzendes Einkommen auf 221,82 €, so dass eine Rate von 110,-- € festzusetzen ist.
4. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich. Das Gericht folgt mit seiner Entscheidung der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Beschluss vom 22.04.2009.