· Fachbeitrag · Straßenverkehrsrecht
So ermitteln Sie den Streitwert in Verfahren über die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage
von RA Norbert Schneider, Neunkirchen
| Nach § 31a StVZO kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter auferlegen, ein Fahrtenbuch zu führen. Der folgende Beitrag zeigt, welche Streit- und Gegenstandswerte hier gelten. |
1. Die gesetzlichen Grundlagen der Fahrtenbuchauflage
Nach § 31a Abs. 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde eine Fahrtenbuchauflage anordnen. Dabei kann sich die Auflage
- auf ein Fahrzeug beschränken (§ 31a Abs. 1 S. 1, 1. Alt. StVZO),
- auf Ersatz- und Nachfolgefahrzeuge erstrecken (§ 31a Abs. 1 S. 2 StVZO),
- für mehrere Fahrzeuge zugleich angeordnet werden (§ 31a Abs. 1 S. 1, 2. Alt. StVZO).
Beachten Sie | Diese Maßnahmen der Verwaltungsbehörde können mit der Anfechtungsklage vor dem VG angefochten werden. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage kann nach § 80 Abs. 2 S. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt werden. In diesem Fall kann der Halter nach § 80 Abs. 5 VwGO vor dem VG die Aussetzung der sofortigen Vollziehung beantragen.
2. Die Regelungen des Streitwertkatalogs
Der Streitwert in verwaltungsgerichtlichen Verfahren richtet sich nach § 52 Abs. 1 GKG. Zur Ausfüllung des billigen Ermessens, vor allem in den Fällen, in denen es ‒ wie hier ‒ nicht um eine Geldforderung geht, haben das BVerwG und die OVG/VGH den sog. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeitet. Dieser ist als Empfehlung für die gerichtliche Praxis heranzuziehen. Dem Streitwertkatalog kommt zwar keine Bindungswirkung zu. Ungeachtet dessen hält sich die Rechtsprechung aber ganz überwiegend an die dortigen Empfehlungen.
a) Streitwert beträgt 400 EUR je Monat
Für Verfahren über eine Fahrtenbuchauflage findet sich die betreffende Empfehlung in Nr. 46.13 des Streitwertkatalogs. Danach ist für jeden Monat, den das Fahrtenbuch zu führen ist, ein Betrag in Höhe von 400 EUR anzusetzen. Eine Unterscheidung nach Fahrzeugart oder nach Fahrerlaubnisklasse des Adressaten oder ein Mindest- oder ein Höchstwert ist nicht vorgesehen.
b) Hälftiger Wert in Eilverfahren
Liegt ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zugrunde, also insbesondere ein Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO, ist von dem hälftigen Wert auszugehen, also von 200 EUR je Monat (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).
Beachten Sie | Nach § 23 Abs. 1 S. 3 RVG gelten diese Werte auch für eine außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts, also für die Tätigkeit gegenüber der Verwaltungsbehörde.
3. Im Normalfall ist die Dauer maßgebend
Im „Normalfall“ ist von der Dauer auszugehen, für die das Fahrtenbuch zu führen ist. Das heißt: Die Anzahl der Monate ist mit dem Einsatzbetrag von 400 EUR zu multiplizieren.
| |
Das Straßenverkehrsamt hat dem Halter H eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von einem Jahr auferlegt. Hiergegen erhebt der Anwalt A auftragsgemäß Anfechtungsklage.
Lösung: Der Streitwert des Verfahrens beläuft sich auf (12 x 400 EUR =) 4.800 EUR (siehe Streitwertkatalog Nr. 46.13). A erhält: | |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 434,20 EUR 400,80 EUR 20,00 EUR 162,45 EUR 1.017,45 EUR |
Beachten Sie | Ggf. kann es zu unterschiedlichen Werten kommen, wenn Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit ein längerer Zeitraum war als der des gerichtlichen Verfahrens.
| |
Lösung: In beiden Fällen ist für die Tätigkeit im Verwaltungsverfahren von dem vierundzwanzigfachen Monatsbetrag (= 9.600 EUR) und im gerichtlichen Verfahren lediglich noch vom zwölffachen Monatsbetrag (= 4.800 EUR) auszugehen. Denn Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist die Fahrtenbuchauflage nur noch für 12 Monate. Ausgehend von der Mittelgebühr kann A wie folgt abrechnen:
1. Verwaltungsverfahren (Wert: 9.600 EUR) | |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 798,20 EUR 20,00 EUR 155,46 EUR 973,66 EUR |
2. Verfahren vor dem VG (Wert: 4.800 EUR) | |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,65 aus 4.800 EUR 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 434,20 EUR - 217,10 EUR 400,80 EUR 20,00 EUR 121,20 EUR 759,10 EUR |
4. Erstreckung der Auflage auf Ersatzfahrzeuge
Erstreckt sich die Fahrtenbuchauflage auch auf Ersatz- bzw. Nachfolgefahrzeuge, rechtfertigt dies keine Erhöhung des Streitwerts.
MERKE | In diesen Fällen müssen nicht mehrere Fahrtenbücher zugleich geführt werden, sondern allenfalls nacheinander. Somit besteht stets nur die Pflicht zur Führung eines Fahrtenbuchs. Dies rechtfertigt es nicht, den Streitwert anzuheben (OVG Berlin-Brandenburg RVGreport 09, 396). |
5. Auflage für mehrere Fahrzeuge
Die Verwaltungsbehörde kann eine Fahrtenbuchauflage auch für mehrere Fahrzeuge anordnen. Im Gegensatz zu der Erstreckung einer Fahrtenbuchauflage auf Nachfolge- und Ersatzfahrzeuge müssen jetzt mehrere Fahrtenbücher zeitgleich geführt werden, nämlich für jedes der bezeichneten Fahrzeuge gesondert.
Dies führt zur Anwendung des § 39 Abs. 1 GKG. Die Fahrtenbuchauflage für jedes Fahrzeug ist gesondert zu bewerten. Die Einzelwerte sind dann nach § 39 Abs. 1 GKG grundsätzlich zusammenzurechnen.
|
Die Verwaltungsbehörde legt dem Fahrzeughalter H auf, für insgesamt fünf Fahrzeuge ein Fahrtenbuch zu führen, und zwar jeweils für die Dauer eines Jahres.
Lösung: Je Fahrtenbuchauflage ergibt sich ein Wert von 12 x 400 EUR = 4.800 EUR. Dies ergibt für 5 Fahrzeuge einen Gesamtwert i. H. v. 5 x 4.800 EUR = 24.000 EUR. |
Beachten Sie | In den Fällen, in denen die Fahrtenbuchauflage für mehrere Fahrzeuge angeordnet worden ist, wendet ein Teil der Rechtsprechung abweichend von dem Grundsatz der Wertaddition des § 39 Abs. 1 GKG einen „Mengenrabatt“ an (VGH 22.2.07, 11 C 07.228; OVG Nordrhein-Westfalen NJW 98, 2305). Sie ermäßigt aus sozialen Erwägungen den Gesamtwert, wenn eine Vielzahl von Fahrzeugen betroffen ist. Der „Mengenrabatt“ wird erst ab dem elften Fahrzeug gewährt. Bei bis zu 10 Fahrzeugen, für die eine Fahrtenbuchauflage angeordnet worden ist, bleibt es somit bei der Addition der Einzelwerte. Erst ab dem elften Fahrzeug wird dann nur noch der hälftige Wert, also ein Monatswert von 200 EUR angenommen.
Gegen einen „Mengenrabatt“ sprechen jedoch die folgenden Gründe:
- Eine Grundlage hierfür findet sich weder im Gesetz noch im Streitwertkatalog.
- Dieser Mengenrabatt erscheint auch nicht geboten, da bereits durch die Gebührendegression bei den Gerichts- und Anwaltsgebühren bereits ein „Mengenrabatt“ eintritt.
- Hinzu kommt, dass im Rahmen der im Juli 2004 vorgenommenen Änderungen des Streitwertkatalogs eine Umfrage zur Streitwertpraxis bei den OVG und VGH voranging (vgl. Nr. 2 S. 3 der Vorbemerkung zum Streitwertkatalog). Dennoch ist die Rechtsprechung des „Mengenrabatts“ nicht in den Streitwertkatalog aufgenommen worden.
Daher wird der Mengenrabatt von anderen Gerichten zu Recht abgelehnt (VG Cottbus 11.9.07, 2 K 1526/04, das bei 38 betroffenen Fahrzeugen einen Wert von 182.400 EUR angenommen hat!).
|
Die Verwaltungsbehörde hat gegen Halter H eine Fahrtenbuchauflage für insgesamt 15 Fahrzeuge angeordnet, und zwar jeweils für die Dauer eines Jahres.
Lösung: Für die ersten 10 Fahrzeuge wird nach der Mindermeinung der volle Jahreswert angesetzt, also 10 x 12 x 400 EUR = 48.000 EUR. Für die weiteren 5 Fahrzeuge ist nur der hälftige Wert anzusetzen, also 5 x 12 x 200 EUR = 12.000 EUR. Der Gesamtstreitwert beträgt hiernach 60.000 EUR.
Nach zutreffender Ansicht (VG Cottbus 11.9.07, 2 K 1526/04) ist ein Wert von 15 x 12 x 400 EUR = 72.000 EUR anzusetzen. |
6. Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung
Für Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung sind grundsätzlich nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs nur hälftige Beträge anzusetzen (vgl. OVG Münster 15.8.22, 8 E 561/22, Abruf-Nr. 231722). Hierbei ist jedoch zu differenzieren, ob die Anordnung, das Fahrtenbuch zu führen, für einen Zeitraum oder kalendermäßig bestimmt ist.
a) Zeitraum ist bestimmt
Wird die Fahrtenbuchauflage für einen Zeitraum auferlegt, führt eine Aussetzung der sofortigen Vollziehung dazu, dass sich der Beginn der Fahrtenbuchauflage verschiebt. An der Dauer der Fahrtenbuchauflage ändert sich jedoch nichts. In diesem Fall ist lediglich von der Hälfte des Hauptsachewerts auszugehen, also von 200 EUR monatlich (OVG Nordrhein-Westfalen 15.8.22, 8 E 561/22; vgl. auch VG Stuttgart, 8.1.07, 3 K 5347/03, damals ausgehend von einem Hauptsachewert in Höhe von 250 EUR mit monatlich 125 EUR).
|
Die Verwaltungsbehörde hat gegen Halter H eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von 12 Monaten angeordnet. Hiergegen legt H Anfechtungsklage ein und beantragt nach § 85 Abs. 5 VwGO beim VG die Aussetzung der sofortigen Vollziehung.
Lösung: Für das Hauptsacheverfahren gilt ein Wert von 12 x 400 EUR = 4.800 EUR. Für das Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ist ein Wert in Höhe von 12 x 200 EUR = 2.400 EUR anzusetzen. |
b) Zeit ist kalendermäßig bestimmt
Anders verhält es sich dagegen, wenn die Fahrtenbuchauflage kalendermäßig, also datumsmäßig bestimmt ist. In diesem Fall führt die Aussetzung der sofortigen Vollziehung faktisch zum Wegfall des Fahrverbots, weil die Zeit der Aussetzung nicht nachgeholt werden kann. In diesem Fall nimmt die Aussetzung der sofortigen Vollziehung die Hauptsache faktisch vorweg, sodass von einem höheren Wert auszugehen ist.
Beachten Sie | Wird die beantragte Aussetzung der sofortigen Vollziehung gewährt, führt dies dazu, dass der Halter für den Zeitraum der Aussetzung kein Fahrtenbuch führen muss und dass diese Zeit auch später nicht nachgeholt werden muss. Faktisch wird der Halter für den Zeitraum der Aussetzung von der Führung eines Fahrtenbuchs befreit.
|
Die Verwaltungsbehörde erlässt im Oktober 2022 den Bescheid, wonach dem Halter H auferlegt wird, vom 1.11.22 bis zum 31.10.23 ein Fahrtenbuch für ein bestimmtes Fahrzeug zu führen. Hiergegen erhebt H Anfechtungsklage und beantragt die Aussetzung der sofortigen Vollziehung.
Lösung: Es entspricht allgemeinen Grundsätzen, dass der Wert eines Eilverfahrens höher anzusetzen ist, wenn das Verfahren die Hauptsache faktisch vorwegnimmt und zur vollständigen Erledigung oder Erfüllung führt. Ein solcher Fall ist hier gegeben, weil die Fahrtenbuchauflage kalendermäßig angeordnet wird.
Da verwaltungsgerichtliche Verfahren erfahrungsgemäß über ein Jahr dauern, führt dies in der Praxis also dazu, dass die Aussetzung der sofortigen Vollziehung zur Aufhebung des Fahrverbots führt, das ‒ im Gegensatz zu einer zeitlichen Befristung ‒ nicht nachgeholt werden muss. Daher ist es in solchen Fällen gerechtfertigt, den vollen Hauptsachewert anzusetzen (VGH Baden-Württemberg NJW 09, 1692).
Für das Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ist hier ein Wert in Höhe von 12 x 400 EUR = 4.800 EUR anzusetzen. |