· Fachbeitrag · Beratungspraxis
Der praktische Fall - Kein Lohn ohne Arbeit? - Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts
von DirArbG Dr. Guido Mareck, Siegen
| Wenn der ArbG seine Verpflichtungen durch Nichtvergütung von Überstunden oder Rückstände in der Lohnzahlung nicht erfüllt, setzen sich die betroffenen ArbN dagegen oft durch Verweigerung von Überstunden, schleppende Ausführung von Arbeitsanweisungen oder Nichtarbeit zur Wehr. Dies kann für die ArbN hingegen empfindliche Konsequenzen beim Bezug von Sozialleistungen und im Hinblick auf die Reaktionen des ArbG haben, der in diesen Fällen oft Abmahnungen oder sogar Kündigungen in Betracht zieht. |
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ArbN A kommt seiner im Arbeitsvertrag niedergelegten Pflicht, im Bedarfsfall auf Anordnung des ArbG B Mehrarbeit zu leisten, mehrfach nicht nach. Dies führt nach insgesamt vier Abmahnungen, in denen es stets um die Verweigerung von Überstunden nach entsprechender Anordnung ging, zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den ArbG B. Die zuständige Agentur für Arbeit, bei der der ArbN A Arbeitslosengeld beantragt, verhängt eine 12-wöchige Sperrzeit. Hiergegen wendet sich A vor dem Sozialgericht. Er trägt vor, er habe wegen fehlender Bezahlung von Überstunden in der Vergangenheit ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Arbeitsleistung gehabt. |
1. Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts durch A
Das Sozialgericht, bei dem A gegen die Verhängung einer Sperrzeit vorging, sieht die Verhängung der Sperrzeit als rechtmäßig an (SG Stuttgart 16.5.12, S 3 AL 892/09, Abruf-Nr. 130180). Insofern könne sich der A nicht auf einen wichtigen Grund für sein Verhalten berufen. Insbesondere müsse er kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Arbeitsleistung ausdrücklich gegenüber dem ArbG geltend machen.
Die wirksame Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts setze voraus, dass der ArbG vor der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts, also vor Nichtableistung der angeordneten Mehrarbeit, klar und eindeutig vom ArbN mitgeteilt bekomme, dass das Zurückbehaltungsrecht aufgrund einer bestimmten schuldhaften Nichterfüllung einer konkreten Pflicht des ArbG aus dem Arbeitsverhältnis ausgeübt werde. Zwar könne die fehlende Bezahlung von Überstunden einen „wichtigen Grund“ für das Verhalten des ArbN darstellen. Der ArbN müsse in solchen Fällen aber stets den ArbG „abmahnen“. Dies bedeutet, dass dem ArbN zuzumuten ist, im Rahmen der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts klar den Verstoß des ArbG zu benennen (zum Beispiel Zahlungsrückstände oder Ähnliches) und diesen zur Abstellung der Pflichtverletzung aufzufordern.
Dies hat der A, der schlicht die angeordnete Mehrarbeit trotz der vertraglichen Verpflichtung nicht geleistet hat, gerade nicht getan. Den Eintritt der Arbeitslosigkeit hat A also selbst zu vertreten. Entsprechend wurde die Sperrzeit zu Recht verhängt.
2. Handlungsoptionen des ArbN A
Von der Rechtsprechung werden hohe Erwartungen an die Konfliktfähigkeit der ArbN gestellt. Generell ist dem A anzuraten, arbeitsvertragswidriges Verhalten des ArbG, insbesondere die Nichtzahlung der Vergütung, konkret zu beanstanden und zugleich den Hinweis zu geben, dass das Verhalten des ArbG den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet.
Wenn A seine Arbeitsleistung verweigern will, muss er ausdrücklich Lohnrückstände, die in der Regel erheblich (1,5 - 2 Bruttomonatsgehälter) sein müssen, benennen und eine konkrete Verbindung zwischen der Zahlung und der Wiederaufnahme der Arbeit herstellen.
Ein solches Verhalten gegenüber dem ArbG ist jedoch erst dann sinnvoll und anzuraten, wenn das Arbeitsverhältnis weitgehend zerrüttet ist. Es sollte auch gegenüber der Agentur für Arbeit, bei der sich der ArbN meldet, ausdrücklich dokumentiert werden.
Nur ArbN, die tatsächlich eine „Abmahnung“ gegenüber dem ArbG aussprechen und dessen Verhalten konkret und bestimmt genug beanstanden, laufen nach dieser Situation nicht Gefahr, eine Sperrzeit seitens der Agentur für Arbeit zu riskieren.
3. Reaktionsmöglichkeiten des ArbG
Der ArbG kann auf eine solche Abmahnung des ArbN, verbunden mit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts hinsichtlich der Arbeitsleistung, unterschiedlich reagieren.
Zum einen ist die Erfüllung der Ansprüche des ArbN, wegen derer das Zurückbehaltungsrecht ausgeübt wird, möglich. Dieses entfällt dann mit der ordnungsgemäßen Erfüllung der Ansprüche.
Denkbar ist auch, dass der ArbG den Konflikt auf die nächste Eskalationsebene bringt und eine Abmahnung bzw. danach eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausspricht. Deren Wirksamkeit hängt dann im Wesentlichen davon ab, ob die Voraussetzungen des Zurückbehaltungsrechts vom ArbN beachtet wurden.
Weiterführende Hinweise
- Der praktische Fall: „Der Hund in der Produktion“ in AA 12, 212
- Der praktische Fall: „Ein unangenehmer Ausbilder“ in AA 12, 196
- Der praktische Fall: „Das gibt es bei uns nicht mehr!“ in AA 12, 65