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  • · Fachbeitrag · Außerordentliche Kündigung

    Wann beginnt die Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB bei der Verdachtskündigung?

    • 1. Ein ArbG, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung bilden kann, darf nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen. Er darf den betroffenen ArbN anhören, ohne dass die Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt. Eine Anhörung hat in der Regel innerhalb einer kurzen Frist von nicht mehr als einer Woche zu erfolgen. Bei Vorliegen besonderer Umstände kann diese Frist hingegen überschritten werden.
    • 2. Der mit der Anhörung verbundene Fristaufschub nach § 626 Abs. 2 BGB entfällt nicht nachträglich, wenn der ArbG das ergebnislose Verstreichen der Stellungnahmefrist durch den ArbN zum Anlass nimmt, nun auf die Anhörung zu verzichten. Zwar ist die Anhörung des ArbN bei einer auf den Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung gestützten Kündigung Wirksamkeitsvoraussetzung. Unterbleibt hingegen die Anhörung, weil der ArbN nicht bereit ist, sich auf die erhobenen Vorwürfe einzulassen und an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, steht dies der Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht entgegen.
    • 3. Ein Unterlassen der Anhörung kann auch unschädlich sein, wenn sich der ArbN im Rahmen des Zumutbaren nicht innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist geäußert hat. Dem ArbG kann bei krankheitsbedingter längerfristiger Verhinderung des ArbN an einer schriftlichen Stellungnahme ein weiteres Zuwarten unzumutbar sein. Dies ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls.

    (BAG 20.3.14, 2 AZR 1037/12, Abruf-Nr. 151612)

     

    Sachverhalt

    Der ArbN war beim ArbG, einer Rundfunkanstalt, als Techniker im IT-Service seit September 1981 tätig. Aufgrund des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren MTV ist der ArbN nur außerordentlich aus wichtigem Grund kündbar. Dem ArbG lag eine anonyme Anzeige vor, nach der mehrere Mitarbeiter, u.a. der ArbN, bei Ausschreibungen über Telekommunikations- und Datennetzleistungen in Absprache mit einer beauftragten Firma Leistungsverzeichnisse manipuliert hätten. Am 7.12.10 erhielt der ArbG einen Bericht seiner Innenrevision über die Leistungsabrufe dieser Firma. Hieraus geht hervor, dass der ArbN u.a. einen Barbetrag von 200 EUR von der Firma erhalten hatte. Ebenso hatte er eine Schließanlage von der Firma erhalten und bei sich eingebaut, diese hingegen später an den ArbG zurückgegeben.

     

    Der ArbG lud den seit dem 26.7.10 erkrankten ArbN mit Schreiben vom 8.12.10 für den 13.12.10 zu einer Anhörung in ihre Geschäftsräume ein. Mit E-Mail vom 12.12.10 teilte der ArbN mit, den Anhörungstermin wegen einer Reha-Maßnahme nicht wahrnehmen zu können und bat darum, ihn über seine Prozessbevollmächtigten schriftlich anzuhören. Der ArbG versandte am 14.12.10 an den ArbN und dessen Prozessbevollmächtigten einen zehnseitigen Fragenkatalog und setzte eine Frist zur Beantwortung bis zum 17.12.10, 12 Uhr.

     

    Mit Schreiben vom 15.12.10, dem ArbG am 20.12.10 zugegangen, teilten die Prozessbevollmächtigen des ArbN mit, dieser befinde sich bis zum 10.1.11 in einer Reha-Maßnahme. Es sei daher nicht möglich, innerhalb der gesetzten Frist zu den Fragen Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme könne erst im Laufe des Monats Januar 2011 erfolgen. Darüber hinaus rügten die Prozessbevollmächtigten des ArbN mit Schreiben vom 16.12.10, dass die Zusendung des Fragenkatalogs einen gesundheitlichen Rückschlag des unter einer psychischen Erkrankung leidenden ArbN hervorgerufen habe.

     

    Am 20.12.10 hörte der ArbG den bei ihm bestehenden Personalrat zu einer beabsichtigten Verdachts- und Tatkündigung an. Dieser widersprach unter dem 22.12.10 mit der Begründung, der ArbN sei nicht ausreichend angehört worden. Am 27.12.10 kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis zum ArbN außerordentlich fristlos. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage war vor dem Arbeitsgericht und dem LAG Köln (19.3.12, 2 Sa 1105/11) erfolgreich. Die Revision des ArbG gegen die Entscheidung des LAG hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG Köln.

     

    Entscheidungsgründe

    Der 2. Senat des BAG stellt klar, dass die Kündigung wegen begangener Pflichtverletzungen nicht bereits deswegen unwirksam sei, weil der ArbG die zweiwöchige Erklärungspflicht nach § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Entgegen der Rechtsauffassung des LAG habe diese Frist nicht spätestens am Tag nach dem 7.12.10, also am 8.12.10, zu laufen begonnen. Zwar habe dem ArbG am 7.12.10 der Bericht der Innenrevision vorgelegen. Er habe aber nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich halten dürfen, dem ArbN Gelegenheit zur Stellungnahme zu den darin enthaltenen Anschuldigungen zu geben. Auch sei zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen gewesen, dass durch eine solche Anhörung Umstände zutage hätten treten können, die den bisher ermittelten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen ließen.

     

    Auch habe der ArbG den ArbN zeitnah zu der Anhörung eingeladen. Der vorgesehene Termin, der 13.12.10 habe innerhalb einer Frist von einer Woche nach Kenntniserlangung vom Bericht der Innenrevision gelegen. Es habe auch nicht der gebotenen Eile widersprochen, dem ArbN zur Beantwortung des Fragenkatalogs eine Frist zum 17.12.10 zu setzen, nachdem er mitgeteilt hatte, den Termin nicht wahrnehmen zu können. Überdies habe der ArbN selbst um eine schriftliche Anhörung gebeten. Damit habe die Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB erst mit Ablauf dieser dem Kläger gesetzten Frist zur Stellungnahme, also am 18.12.10 zu laufen begonnen. So sei die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen eingehalten worden.

     

    Das BAG führt darüber hinaus aus, dass das LAG Köln aufzuklären habe, ob vor dem 17.12.10 eine kündigungsberechtigte Person des ArbG von Umständen Kenntnis erlangt hatte, die darauf schließen lassen, dass sich der ArbN ohnehin nicht mehr innerhalb der gesetzten Frist äußern werde. So komme ein früherer Fristbeginn in Betracht. Auch sei nicht aufgeklärt worden, ob bis zur Vorlage des Berichts zur Innenrevision am 7.12.10 die Aufklärungsmaßnahmen seitens des ArbG mit der gebotenen Eile betrieben worden seien.

     

    Sofern das LAG in der weiteren Verhandlung einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB in Form der Tatkündigung wegen erwiesener Pflichtverletzungen verneinen werde, müsse das Vorliegen der Voraussetzungen der Verdachtskündigung geprüft werden. Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen wäre eine solche Kündigung zumindest nicht unwirksam, weil es an der erforderlichen Anhörung des ArbN fehle. Zwar sei die vorherige Anhörung des ArbN Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Aber ein Unterbleiben der Anhörung aufgrund der mangelnden Bereitschaft des ArbN, sich auf die erhobenen Vorwürfe einzulassen und an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, stehe hingegen der Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht entgegen.

     

    Wenn der ArbN erklärt, sich nicht äußern zu wollen und für seine Weigerung keine relevanten Gründe nennt, muss der ArbG ihn über die Verdachtsmomente nicht näher informieren. Dies gilt auch, wenn der ArbN trotz einer angemessenen Stellungnahmefrist schweigt. Auch wenn der ArbN krankheitsbedingt an einem persönlichen Gespräch und an einer schriftlichen Stellungnahme verhindert ist, muss der ArbG nicht notwendig warten, bis sich der ArbN wieder äußern kann. Dem bis zur Gesundung des ArbN wartenden ArbG wird regelmäßig nicht der Vorwurf gemacht werden können, er betreibe keine hinreichend eilige Sachverhaltsaufklärung.

     

    Auf der anderen Seite verletzt der ArbG, der bei einer solchen Fallkonstellation von einem weiteren Zuwarten absieht, nicht notwendigerweise seine Aufklärungspflichten nach § 626 Abs. 1 BGB. Eine weitere Verzögerung muss der ArbG nicht hinnehmen, wenn er davon ausgehen darf, dass sich der ArbN in absehbarer Zeit nicht wird äußern können. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend. Wenn der ArbN mehrmals um eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bittet und sich die jeweilige Prognose, wann eine Äußerung möglich wäre, als unzutreffend erweist, wird dem ArbG ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar sein.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung stärkt die Position des ArbG bei der Verdachtskündigung in Fällen, in denen der ArbN die Anhörung verzögert, um ein Überschreiten der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB herbeizuführen. Nach den Ausführungen des 2. Senats des BAG ist in der Regel seitens des ArbG eine kurze Frist von nicht mehr als einer Woche zur Anhörung des ArbN zu setzen. Für den Fall, dass diese nicht eingehalten werden kann (zum Beispiel aufgrund Arbeitsunfähigkeit), ist dem ArbN Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb einer ebenfalls angemessen kurzen Frist zu gewähren. Erst wenn diese ebenfalls ergebnislos verstreicht, beginnt frühestens die Frist von zwei Wochen nach § 626 Abs. 2 BGB für die Verdachtskündigung zu laufen. Dies gilt auch, wenn die Tatsachengrundlage, die Gegenstand der Anhörung des ArbN und der Kündigungsabsicht ist, schon deutlich vorher einer kündigungsberechtigten Person bekannt geworden ist.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Schützt der Fortbestandsantrag vor Versäumung der Klagefrist? BAG in AA 14, 120
    Quelle: Ausgabe 10 / 2014 | Seite 168 | ID 42947696