· Fachbeitrag · Selbstanzeige
Kompensationsverbot im Kontext der Selbstanzeigereform zum 1.1.15
von Dipl.-Finw. Volker Radermacher, Wuppertal
| Das Bundeskabinett hat am 24.9.14 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung beschlossen. Soweit wurde ausschließlich in § 398a Abs. 2 AO eine klarstellende Ergänzung über die Anwendung des strafrechtlichen Kompensationsverbots gemäß § 370 Abs. 4 S. 3 AO eingefügt. Das kann im Einzelfall dazu führen, dass bereits bei Prüfung der Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Selbstanzeige die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO mangels Überschreiten des insoweit geforderten Hinterziehungsvolumens zu verneinen sein wird. |
1. Sperrwirkung der verkürzten Steuer
Der Ausschluss der Straffreiheit nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO ab einem gemäß § 370 Abs. 1 AO verkürzten Betrag von 50.000 EUR pro Tat wurde bereits durch das SchwarzGBekG (BGBl I 11, 676) mit Wirkung vom 3.5.11 eingeführt. Ab dem 1.1.15 soll der Betrag auf 25.000 EUR abgesenkt werden. Bei Überschreiten des Verkürzungsbetrags als Wirksamkeitssperre ist eine Selbstanzeige ausgeschlossen. Von der strafrechtlichen Verfolgung kann nur bei Zahlung bestimmter Zuschläge gemäß § 398a AO abgesehen werden. Die mit der neuen Reform über einen prozentualen Staffeltarif ausgestaltete Zuschlagszahlung ist zwingende Voraussetzung, um ein Verfahrenshindernis (Strafaufhebung) herbeizuführen.
|
Der Einzelgewerbetreibende S hat in seiner Umsatzsteuererklärung für das Jahr 12 Nettoumsätze verschwiegen und mit den unversteuerten Beträgen nicht in Zusammenhang stehende Vorsteuern „vergessen“:
|
2. Berechnung des sperrenden Verkürzungsbetrags
Auch bisher war nicht abschließend geklärt, wie sich der als Freigrenze ausgestaltete Schwellenwert gemäß § 371 Ab. 2 Nr. 3 AO genau ermittelt. Einerseits wird vom Nominalbetrag der Steuerhinterziehung (Taterfolg) unter Berücksichtigung des Kompensationsverbots ausgegangen (Jäger/Klein, AO, 11. Aufl., § 371, 1669; Erb, PStR 11, 144; Schwartz/Külz, PStR 11, 249; AG Stuttgart 10.7.13, 23 Cs 147 Js 95252/12, PStR 13, 310), andererseits sollen Strafzumessungserwägungen und damit der unter Ablehnung des Kompensationsverbots wirtschaftlich zu bestimmende Steuerschaden die Berechnung mindernd beeinflussen (Wulf/Kamps, DB 11, 1711; Rolletschke, NZWiSt 14, 259).
Sollten die Neuregelungen zum 1.1.15 in Kraft treten, ist der zweiten Alternative Vorrang zu gewähren, insbesondere soweit zwischen dem tatbestandlichen Verkürzungsbetrag und dem Strafzumessungsschaden eine Differenz besteht. Auch wenn nach dem Wortlaut des Gesetzes möglicherweise der Taterfolg als entscheidender Schwellenwert angesehen werden kann („verkürzte Steuer“), muss dennoch eine Kompensation gegenläufiger Besteuerungsgrundlagen möglich sein, wenn der Strafzumessungsschaden dadurch unter den relativ kleinen Schwellenwert von 25.000 EUR „rutscht“.
In der Literatur (Aue, PStR 12, 101; Külz/Maurer, 13, 150; Herrmann, PStR 14, 199) wurde vielfach die Frage diskutiert, ob die Bemessung der Zuschläge gemäß § 398a Abs. 2 AO unter Anwendung des Kompensationsverbots zu erfolgen hat. Das hat der Gesetzgeber nun klargestellt. Eine Aussage dahingehend, dass der für die Sperrwirkung maßgebliche Verkürzungsbetrag gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO ebenfalls vom Kompensationsverbot beeinflusst werden soll, ist weder dem eindeutigen Wortlaut der Gesetzesreform noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. Zwar sind die § 371 AO und § 398a AO für die Frage der Wirksamkeit der Selbstanzeige eng miteinander verknüpft, jedoch sind zwei voneinander unabhängige Prüfungen durchzuführen. Ohne Überschreiten des für die Sperrwirkung relevanten Verkürzungsbetrags ist die Anwendung der Zuschlagsregelung ausgeschlossen und die „Kompensationsregelung“ in § 398a Abs. 2 AO läuft ins Leere.
Die Unterschiedlichkeit der Vorschriften zeigt sich an der beabsichtigten Regelung über die Anwendung des Kompensationsverbots ausschließlich in § 398a AO. Dem über § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO ermittelten Wert kommt für § 398a AO kein Grundlagencharakter zu, denn darin ist keine abschließende Aussage über die Bemessungsgrundlage der Zuschlagsregelung enthalten. Die Zuschläge sind über eine gesonderte Festlegung des Hinterziehungsbetrags zu ermitteln, und können nicht ungeprüft durch Zugrundelegung des Verkürzungsbetrags nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO festgesetzt werden.
- Zunächst ist festzustellen, ob die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO eintritt, was durch Ermittlung der verkürzten Steuer geschieht.
- Sollte die Selbstanzeige wegen Überschreitens des Schwellenwerts von 25.000 EUR ausgeschlossen sein, erfolgt erst in einem zweiten Schritt die Prüfung der Bemessungsgrundlage für den prozentualen Zuschlag.
3. Orientierung der Betragsschwelle an den Regelbeispielen
Bereits in der Gesetzesbegründung zur Selbstanzeigereform zum 3.5.11 orientierte sich der für die Sperrwirkung relevante Verkürzungsbetrag von 50.000 EUR an der Rechtsprechung zu Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung (BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, wistra 09, 107; BGH 28.7.10, 1 StR 332/10, PStR 10, 238) - konkret durch den Bezug zur Steuerverkürzung in „großem Ausmaß“ (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO; BT-Drucks. 17/5067 neu, 20 ff.). Auch bei den zum 1.1.15 geplanten Verschärfungen bezieht sich der Gesetzgeber auf die Begründungen zum SchwarzGBekG, denn nur besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung sollten aus dem Anwendungsbereich der Selbstanzeigeregelung herausgenommen werden. Auch die Rechtsprechung hat die Ursprungsentscheidung zum „großen Ausmaß“ aus dem Jahre 08 weiter fortgeschrieben (BGH 5.5.11, 1 StR 116/11, PStR 11, 191; BGH 12.7.11, 1 StR 81/11, wistra 11, 396; BGH 15.12.11, 1 StR 579/11, PStR 12, 55; BGH 7.2.12, 1 StR 525/11, wistra 12, 236; BGH 22.5.12, 1 StR 103/12, PStR 12, 189; BGH 21.8.12, 1 StR 257/12, PStR 12, 237; BGH 25.9.12, 1 StR 407/12, PStR 13, 32). Es findet sich in der Gesetzesbegründung zwar der Hinweis zu § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO, dass nicht nur besonders schwerwiegende, sondern alle Fälle ab einem Hinterziehungsvolumen von 25.000 EUR berücksichtigt werden sollen, jedoch steht dieser Hinweis ausschließlich im Bezug zum Regelungsbereich des § 398a AO.
4. Steuerhinterziehung in großem Ausmaß - Kompensation
Für die Frage, ob die verkürzte Steuer 25.000 EUR überschreitet und insoweit zur Unwirksamkeit einer Selbstanzeige für den VZ (keine Infektionswirkung der Steuersparte) führt, sind die Grundsätze zu den Regelbeispielen anzuwenden. § 370 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 AO beinhaltet Strafschärfungsgründe in Form von Regelbeispielen, bei denen es sich nur um für die Strafrahmenwahl maßgebliche Strafzumessungstatsachen handelt. Eine Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ ist daher kein Tatbestandsmerkmal, sondern ausschließlich für eine abweichend zum Grunddelikt des § 370 Abs. 1 AO mögliche Strafrahmenverschiebung von Bedeutung. Die Höhe der Verkürzung stellt nur ein Indiz für einen besonders schweren Fall dar und ist daher nicht bindend bzw. für das Strafmaß relevant.
Bei der Bestimmung des (Strafzumessungs-)Merkmals „in großem Ausmaß“ (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO) hat die Rechtsprechung Kriterien aufgestellt und den Taterfolg in „Vermögensverluste“ (Taterfolg durch „Griff in die Kasse“ > 50.000 EUR) bzw. „Vermögensgefährdungen“ (Taterfolg durch Nichtangabe von Besteuerungsgrundlagen > 100.000 EUR) für jede einzelne Tat im materiell-rechtlichen Sinne untergliedert (BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, wistra 09, 107; BGH 15.12.11, 1 StR 579/11, PStR 12, 55). Bei Prüfung der Berechnungsschwelle für das „große Ausmaß“ ist das strafrechtliche Kompensationsverbot gemäß § 370 Abs. 4 S. 3 AO unbeachtlich. Abzustellen ist nur auf die tatsächlich festgesetzten Steuermehrbeträge bzw. den wirtschaftlichen Schaden. Demnach können steuermindernde Umstände auch dann berücksichtigt werden, wenn sie in keinem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuererhöhenden Besteuerungsgrundlagen stehen (BGH 6.9.11, 1 StR 633/10, wistra 12, 29). Selbst bei objektiver Steuerverkürzung in „großem Ausmaß“ kann daher durch Kompensation eine Verkürzung zu verneinen sein.
Die Berechnung der Sperrgröße von 25.000 EUR muss auch im Zusammenhang mit den neuen Sperrgründen des § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO gesehen werden. Aufgrund der besonderen Strafwürdigkeit dieser Regelbeispiele gemäß § 370 Abs. 3 Nr. 2 bis 5 AO soll eine wirksame Selbstanzeige ebenfalls nicht mehr möglich sein. Ein Absehen von einer Strafverfolgung ist ebenfalls nur noch bei Zahlung eines Zuschlags nach § 398a AO möglich, auch wenn der Hinterziehungsbetrag von 25.000 EUR unterschritten wurde. Der Gesetzgeber hat offen gelassen, ob es auf die tatsächliche Erfüllung des Qualifizierungsmerkmals „schwere Steuerhinterziehung“ in § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO ankommt. Daher sind zum Bejahen des Wirksamkeitsausschlusses einer Selbstanzeige auch bei diesen Regelbeispielen die Strafzumessungskriterien von entscheidender Bedeutung.
5. Fazit
Bei der Prüfung, ob der Schwellenwert von 25.000 EUR überschritten ist, können steuererhöhende Merkmale mit steuermindernden Tatsachen kompensiert werden; das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO gilt insoweit nicht. Maßgeblich für § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO sind daher auch Strafzumessungsgesichtspunkte, wie sie bei Prüfung der besonders schweren Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 AO zu berücksichtigen sind. Die Kompensation ist auch gerechtfertigt, obwohl die von der Rechtsprechung entwickelte Größenordnung zur Verwirklichung eines Regelbeispiels bei dem reduzierten Sperrbetrag des § 371 AO unterschritten wurde.
Nur der Hinterziehungsbetrag i.S. des § 398a Abs. 2 AO soll sich nach den gleichen Grundsätzen bemessen wie bei Ermittlung des objektiven Schadenumfangs gemäß § 370 AO, also nicht nach wirtschaftlichen, sondern strafrechtlichen Aspekten unter Anwendung des Kompensationsverbots (Plenarprotokoll 17/218, 27063). Der Gesetzgeber will nicht nur besonders schwerwiegende Fälle über § 398a AO erfassen, sondern alle Fälle mit einem Taterfolg ab 25.000 EUR. In Fall 1 des Beispiels besteht ein Wirksamkeitsausschluss für die Selbstanzeige nicht. In Fall 2 ist der Verkürzungsbetrag i.S. des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO mit 97.000 EUR zu bemessen, sodass Straffreiheit nicht eintreten kann. Bei der Bemessung der Zuschläge ist von einem Hinterziehungsbetrag von 102.000 EUR auszugehen, ein um 5 % höherer Zuschlag.
Das Kompensationsverbot ist hier an falscher Stelle erfolgt, denn § 398a AO greift von der Gesetzessystematik dogmatisch erst dann, wenn die Voraussetzungen des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO wegen Überschreitens der 25.000 EUR bejaht werden. Es bedarf daher einer Klarstellung. Eine Anpassung des Gesetzes ließe sich erzielen, indem das bisher in § 398a Abs. 2 AO normierte Kompensationsverbot in einem ergänzenden Abs. 5 des § 371 AO unter leichter Abwandlung eingefügt würde (Die Bemessung der verkürzten Steuer oder des nicht gerechtfertigten Steuervorteils nach Abs. 2 Nr. 3 richtet sich nach den Grundsätzen in § 370 Abs. 4 AO). Dann wäre in § 398a Abs. 2 AO lediglich ein Verweis auf die Regelung in § 371 AO erforderlich. Sollte das Verbot der Kompensation beibehalten werden, können die wirtschaftlichen Folgen im Einzelfall ruinös sein. Zur Vermeidung von Härtefällen ist es daher angezeigt, das Kompensationsverbot weder bei Ermittlung des Schwellenwerts, noch bei der Berechnung des Strafzuschlags gesetzlich zu verankern.
Ergänzend soll noch darauf hingewiesen werden, dass durch den eindeutigen
Verweis in § 398a AO auf § 371 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 AO bei Vorliegen anderer Sperrgründe gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 AO ein Zuschlagsrisiko entfällt; die Höhe des Taterfolgs ist dann unbeachtlich. Zur Vermeidung von Zuschlagsfestsetzungen wird es möglicherweise zu weniger Diskussionen hinsichtlich der Verwirklichung anderer Sperrgründe (z.B. Fragen zur Tatentdeckung bei Zollaufgriffen) kommen, da ohnehin in Einzelfällen die Flucht in das Strafverfahren die günstigere Lösung sein wird. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, dass Selbstanzeigewillige bewusst Sperrgründe initiieren, um aus dem Anwendungsbereich des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO herauszufallen.
Autor | Der Autor ist als Sachgebietsleiter beim FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Wuppertal tätig. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder und kann nicht als dienstliche Äußerung verstanden werden.