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  • · Fachbeitrag · OWI-Recht

    Verkehrs-OWi-Sachen: Die Rechtsprechung in 2013

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    | Wir haben Ihnen in VA 14, 104 die wichtigsten Urteile des Jahres 2013 aus dem Verkehrsstrafrecht vorgestellt. Das setzen wir hier für die Verkehrsordnungswidrigkeiten fort (im Anschluss an VA 13, 141 ). Ausgenommen sind die mit der Verhängung eines Fahrverbots zusammenhängenden Fragen. Darüber werden wir gesondert berichten. |

     

    • Rechtsprechungsübersicht

    Absolutes Alkoholverbot für Fahranfänger/Fahranfängerinnen

    Ein Verstoß gegen das Alkoholverbot für Fahranfänger liegt regelmäßig ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,15 Promille vor (OLG Stuttgart NJW 13, 2296).

     

    Abstandsverstoß, Allgemeines

    Eine bußgeldrechtliche Ahndung wegen einer Abstandsunterschreitung - i.S. eines „nicht nur vorübergehenden Verstoßes“ - ist jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die vorwerfbare Dauer der Abstandsunterschreitung mindestens drei Sekunden oder (alternativ) die Strecke der vorwerfbaren Abstandsunterschreitung mindestens 140 m betragen hat (OLG Hamm VA 13, 194).

     

    Akteneinsicht

    Der Betroffene und sein Sachverständiger haben Anspruch auf Einsicht in die komplette Messreihe der am Tattag und am Tatort gefertigten Messbilder einer dem Betroffenen zur Last gelegten Geschwindigkeitsmessung. Soweit der beauftragte Sachverständige mehr als 100 km anreisen müsste, um dieses Einsichtsrecht auszuüben, stellt der Verweis auf die Einsichtsmöglichkeit vor Ort eine unangemessene Beeinträchtigung des Betroffenen dar, da hierdurch die Kosten eines Sachverständigengutachtens alleine durch die Anfahrtskosten kaum mehr bezahlbar sind. Dann ist die Messwertreihe auf einen vom Sachverständigen zur Verfügung gestellten Datenträger zu kopieren und an diesen zu übersenden (AG Heidelberg VRR 13, 356). Dem Betroffenen ist über seinen Verteidiger Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des bei einer Geschwindigkeitsmessung verwendeten Messgeräts durch Beifügung der Anleitung zur Akte und Übersendung der Akte in dessen Kanzleiräume zu gewähren. Ggf. ist die Bedienungsanleitung einzuscannen und an den Verteidiger elektronisch zu übersenden (AG Rüsselsheim VA 14, 15; vgl. auch AG Menden NZV 13, 356).

     

    Hält ein Tatrichter die Einsicht in die Bedienungsanleitung eines Messgeräts für erforderlich, so kann ein Freispruch des Betroffenen nicht damit begründet werden, dass die Verwaltungsbehörde die Herausgabe des Originals oder einer Ablichtung der Bedienungsanleitung unter Berufung auf urheberrechtliche Bedenken verweigert. Die Verwaltungsbehörde ist gem. § 71 Abs. 2 Nr. 2 OWiG verpflichtet, einem Ersuchen des Tatrichters um Übersendung einer Bedienungsanleitung nachzukommen. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, kann das Gericht eine Beschlagnahme und dafür auch eine Durchsuchung bei der Behörde anordnen. Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 StPO umfasst nicht die Bedienungsanleitung für das Messgerät, wenn diese nicht bereits Aktenbestandteil geworden ist (OLG Celle VA 13, 176).

    Beschlussverfahren

    Stimmt der Betroffene dem Beschlussverfahren unter der Bedingung zu, dass eine Verurteilung nur wegen fahrlässiger Begehung erfolgt und nur eine bestimmte Rechtsfolge verhängt wird, so ist das Gericht gehindert, im Beschlusswege zu entscheiden, wenn es wegen einer Vorsatztat verurteilen will. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn es im Übrigen die von dem Betroffenen „akzeptierte“ Rechtsfolge verhängen will (OLG Hamm VRR 13, 243 [Ls.] = NStZ-RR 23, 354). Auch wenn der Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung nicht gegenüber dem Amtsgericht, sondern gegenüber der Verwaltungsbehörde erklärt wurde, ist dem Tatrichter der Weg in das schriftliche Verfahren versperrt (OLG Köln VA 13, 211).

    Beweisaufnahme im Bußgeldverfahren

    Die Vorschriften über die Einführung einer schriftlichen Zeugenaussage im vereinfachten Beweisaufnahmeverfahren nach § 77a Abs. 1, Abs. 4 S. 1 und S. 2 OWiG i.V.m. § 251 Abs. 4 S. 1 StPO, wonach die Einführung einer schriftlichen Zeugenaussage durch Verlesung nur mit Zustimmung der in der Hauptverhandlung anwesenden Verfahrensbeteiligten und durch Gerichtsbeschluss zu erfolgen hat, betreffen einen elementaren Verfahrensgrundsatz (KG VA 13, 210).

     

    Bundeszentralregister, Auskunft

    Der Betroffene hat einen Anspruch auf Mitteilung, welche Eintragungen im Register über ihn enthalten sind, auch wenn diese schon tilgungsreif sind und sich nur noch in der sog. „Überliegefristg“ befinden (OLG Hamm VA 13, 122).

     

    Bußgeldbescheid, Zustellung

    Die Bezeichnung „Abschrift“ auf einem im EDV-Verfahren erstellten Bußgeldbescheid hindert die Wirksamkeit der Zustellung nicht (OLG Stuttgart DAR 14, 100). 

     

    Drogenfahrt (§ 24a Abs. 2 StVG), insbesondere Fahrlässigkeit

    Wenn sich bei einem THC-Gehalt von 1,7 ng/ml im Blut nicht zweifelsfrei widerlegen lässt, dass der Cannabiskonsum drei Tage vor der Tat lag, kann ein fahrlässiger Verstoß gegen § 24a Abs. 2 StVG nicht festgestellt werden (AG Herne-Wanne VRR 13, 436).

     

    Einstellung des Verfahrens, notwendige Auslagen

    Die Regelung des § 109 a Abs. 2 OWiG ist verfassungsgemäß. Diese Ermessensvorschrift ist aber nur in den Fällen heranzuziehen, in denen ein nicht rechtzeitiges Vorbringen als missbräuchlich oder unlauter anzusehen ist. Es kommt deshalb darauf an, ob sich für das Verhalten des Betroffenen ein vernünftiger und billigenswerter Grund anführen lässt. Als ein solcher Grund ist der Schutz eines nahen Angehörigen vor der Verfolgung - jedenfalls bei nicht eingetretener Verfolgungsverjährung hinsichtlich des Angehörigen - anzuerkennen (BVerfG NJW 13, 3569). Teilt der Betroffene, dem ein Verkehrsverstoß vorgeworfen wird, den Namen des Fahrzeugführers erst nach Erlass des Bußgeldbescheids mit, so ist ein Absehen von der Übernahme der notwendigen Auslagen durch die Staatskasse nach Verfahrenseinstellung ermessensfehlerhaft, wenn es sich bei dem Fahrer um den Sohn des Betroffenen gehandelt hat (AG Leipzig VRR 13, 234).

    Entbindungsantrag 

    Die Entscheidung über einen Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens in der Hauptverhandlung ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt. Vielmehr muss das Gericht dem Entbindungsantrag stattgeben, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (OLG Bamberg NZV 13, 612). Der Antrag des Betroffenen, ihn nach Einräumung der Fahrereigenschaft gem. § 73 Abs. 2 OWiG von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, kann nicht wegen der rein theoretischen Möglichkeit eines falschen Geständnisses abgelehnt werden (OLG Stuttgart DAR VA 14, 17; ähnlich OLG Bamberg, a.a.O.). Bescheidet das Gericht den vom Betroffenen rechtzeitig vor der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen nicht und befasst es sich auch im Verwerfungsurteil in keiner Weise mit dem Antrag, so liegt darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Auf den in der Rechtsbeschwerdebegründung fehlenden Vortrag, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung zur Sache ausgeführt hätte, kommt es in diesem Fall nicht an. Das Ersturteil ist wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben (OLG Dresden NZV 13, 613).

     

    Fahrtenbuchauflage

    Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage als Mittel der Gefahrenabwehr kann nach Vergehen eines erheblichen Zeitraums seit der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit bzw. der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens unverhältnismäßig sein (OVG Niedersachsen VA 14, 18).

     

    Geldbuße, Allgemeines

    Liegt eine besondere Stresssituation vor, die zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung führt, kann ggf. die Regelgeldbuße reduziert werden (AG Koblenz VA 13, 154). Es ist nicht rechtsfehlerhaft, wenn eine bloß mittelbare Folge einer bußgeldrechtlichen Verurteilung (hier: Erhöhung des „Punktekontos“ mit der Folge der Fahrerlaubnisentziehung auf verwaltungsrechtlichem Wege) bei der Bußgeldbemessung nicht zugunsten des Betroffenen berücksichtigt wurde (OLG Hamm VA 14, 28).

    Geldbuße, Erhöhung

    Wenn der Tatrichter wegen Voreintragungen im Mehrfach-Täter-Punktesystem die Regelgeldbuße erhöht, muss er im Urteil den jeweiligen Zeitpunkt der Rechtskraft der früheren Entscheidungen mitteilen, da das Rechtsbeschwerdegericht andernfalls nicht überprüfen kann, ob hinsichtlich der Vorbelastungen bereits Tilgungsreife eingetreten ist und diese daher nicht hätten verwertet werden dürfen (OLG Brandenburg VA 13, 119; OLG Naumburg VA 143, 49).

     

    Geldbuße, wirtschaftliche Verhältnisse

    Auch wenn der Tatrichter eine Geldbuße von mehr als 250 EUR verhängt, sind weitere Aufklärungen und Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht unbedingt geboten, wenn es sich um die Festsetzung einer Regelgeldbuße handelt (konkret: 400 EUR) und der Betroffene zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen keine Angaben macht. Das Fehlen entsprechender Feststellungen und eine fehlende Auseinandersetzung mit den wirtschaftlichen Verhältnissen begründet in diesen Fällen keinen materiell-rechtlichen Mangel des Urteils (OLG Hamm VA 13, 196).

     

    Geschwindigkeitsüberschreitung, Allgemeines

    Die mit dem Verkehrszeichen 274 (Nr. 49 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) mit Zusatzzeichen „Mo - Fr, 6 - 18 h“ (§ 39 Abs. 2 StVO) angeordnete Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gilt auch, wenn auf den betreffenden Wochentag ein gesetzlicher Feiertag fällt (OLG Brandenburg VA 13, 208).

    Geschwindigkeitsüberschreitung, rechtfertigender Notstand

    Die durch ein Übergeben eines betrunkenen Fahrgastes befürchtete Verunreinigung des Wageninnenraums eines Taxis vermag eine zur schnelleren Erreichung der nächstgelegenen Autobahnausfahrt begangene Geschwindigkeitsüberschreitung regelmäßig schon mangels Geeignetheit des zur Gefahrenabwehr eingesetzten Mittels nicht nach § 16 OWiG zu rechtfertigen (OLG Bamberg VRR 14, 162).

     

    Geschwindigkeitsüberschreitung, standardisiertes Messverfahren

    Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessverfahren PoliScanSpeed erfüllt die Voraussetzungen eines amtlich anerkannten, standardisierten Messverfahrens (OLG Bamberg VA 14, 32; KG VA 10, 82; OLG Düsseldorf VA 10, 64; AG Pinneberg VRR 14, 43; a.A. u.a. AG Tiergarten VA 13, 154; AG Rostock DAR 13, 717). Die mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes eso ES3.0 begründet keine rechtliche Unverwertbarkeit des Messergebnisses. Das Gericht ist daher nicht verpflichtet, aufgrund eines Beweisantrags weitere Ermittlungen zur Funktionsweise dieses Messgerätes anzustellen, wenn keine konkreten Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung bestehen. Es ist dem Betroffenen zumutbar, solche Zweifel konkret darzulegen (OLG Hamm VA 13, 118; OLG Zweibrücken VA 13, 193; vgl. aber auch AG Kempten VA 13, 138). Neben dem Messfoto und dem Foto der Fotolinie bedarf es bei einer Messung mit dem Verfahren eso ES3.0 keiner weiteren „Erfassung des Messbereichs“ (AG Lüdinghausen VA 13, 119). Die Messperson muss bei einer Geschwindigkeitsmessung neben den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Herstellers auch die internen polizeilichen Vorgaben beachten (AG Biberach VA 14, 13).

     

    Geschwindigkeitsüberschreitung, tatsächliche Feststellungen

    Bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, grundsätzlich neben dem angewandten Messverfahren jeweils auch den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen (OLG Celle VA 13, 173). Bei einem standardisierten Messverfahren muss das Urteil über die Feststellungen zum angewandten Messverfahren und der Angabe des berücksichtigten Toleranzabzuges hinaus insbesondere die Mitteilung enthalten, dass die Bedienungsvorschriften beachtet worden sind und das Gerät geeicht war (OLG Oldenburg NZV 13, 512). Auch bei dem Messverfahren „Provida 2000 Modular“ reicht es aus, darzulegen, dass ein sog. standardisiertes Verfahren zum Einsatz gekommen ist, die Messung ordnungsgemäß durchgeführt wurde, sowie die gewonnenen Messergebnisse und die in Ansatz gebrachte Messtoleranz mitzuteilen (OLG Frankfurt a.M. VA 13, 101). Sollte die konkrete Verwendung des Messgeräts einen anderen als vom Amtsgericht zugrunde gelegten Toleranzwert notwendig machen, bedarf es einer Verfahrensrüge, in der der Betroffene konkret darlegen muss, in welcher Art und Weise die Messanlage in Einsatz gebracht worden ist und welcher andere, als der festgestellte Toleranzwert sich daraus ergibt (OLG Frankfurt a.M., a.a.O.).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Der Beitrag wird in der August-Ausgabe fortgeführt, VA 14, 142.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2014 | Seite 124 | ID 42720760