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  • · Fachbeitrag · Unfallhaftpflichtprozess

    Auf diese typischen Verfahrensfehler des Gerichts im Verkehrsunfallprozess müssen Sie achten

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    | Nur handwerkliche Fehler in Einzelfällen, strukturelle Defizite oder eine Mischung von beidem? Wahrscheinlich Letzteres. Auffallend hoch ist derzeit die Zahl von Entscheidungen, in denen den Vorinstanzen massive Verfahrensverstöße angekreidet werden. Aufgabe der Prozessbevollmächtigten ist es, richterliche Fehler erst gar nicht aufkommen zu lassen (BGHZ 174, 205) und spätestens in der Rechtsmittelinstanz für eine Korrektur zu sorgen. Die folgenden Fehlerlisten sollen dabei helfen. Die höchste Fehleranfälligkeit ist zu beobachten bei Fußgänger- und Motorradunfällen, ferner in HWS-Sachen und bei Psycho-Schäden. |

     

    Übersicht 1 / Fehler beim Sachverständigenbeweis

    • 1. Unterlassen der gebotenen Aufklärung, indem ein SV-Beweisantrag übergangen bzw. übersehen worden ist (Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 286 ZPO und wesentlicher Verfahrensmangel i.S.v. § 538 Abs. Nr. 1 ZPO, st. Rspr., z.B. BGH 24.3.15, VI ZR 534/13, Abruf-Nr. 176619; OLG Hamm NZV 15, 37).

     

    • 2. Unterlassen einer Begutachtung von Amts wegen nach § 144 Abs. 1, § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO (OLG München NZV 15, 38 - auch zur Hinweis- und Urteilsbegründungspflicht des Gerichts).

     

    • 3. Unzulässiges Zurückweisen des SV-Beweisantrags wegen
      • überzogener Anforderungen an die Darlegung „der zu begutachtenden Punkte“ (§ 403 ZPO), dazu OLG Saarbrücken VA 15, 1 (Anwaltsregress).
      • überzogener Anforderungen an die Benennung des Sachverständigen (vgl. OLG Saarbrücken VA 15, 1).
      • Fehleinschätzung der Erforderlichkeit einer (weiteren) Begutachtung (zur Problematik in HWS-Sachen OLG München 21.10.11, 10 U 1995/11, Abruf-Nr. 114039; zum Gesamtkomplex „HWS-Verletzung“ Doukoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., 2015, § 2 Rn 980 ff.).
      • Fehlbeurteilung der Eignungsfrage, z.B. wegen vermeintlich fehlender Anknüpfungstatsachen; häufiger Fehler (mitunter auch Verwechselung mit den sog. Befundtatsachen); Rspr.-Beispiele mit bejahter Ungeeignetheit bzgl. des Unfallhergangs bei Eggert VA 11, 168 (Checkliste III); instruktiv OLG Jena 30.11.11, 7 U 178/10, Abruf-Nr. 121845 (Unfallrekonstruktion).
      • angeblich eigener Sachkunde (BGH NJW 15, 1311 - auch zur Hinweis- und Ausweispflicht des Gerichts).
      • unzulässiger Beweisantizipation (OLG Hamm NZV 15, 37).
      • Verkennen der Beweislastverteilung.
      • prozessordnungswidriger Anwendung einer Verspätungsvorschrift (BVerfG NJW 09, 1585; BGH 3.3.15, VI ZR 490/13, juris, zu § 531 Abs. 2 ZPO).

     

    • 4. Auswahlverstoß nach § 404 Abs. 2 ZPO. Beispiel: Statt einen Unfallanalytiker mit der Klärung des Unfallhergangs zu beauftragen setzt das Gericht einen Sachverständigen für das Kfz-Mechanikerhandwerk ein (OLG München 22.2.15, 10 U 1722/14, Abruf-Nr. 144365).

     

    • 5. Verstoß gegen § 404a Abs. 1 und 3, § 407a Abs. 5 ZPO: keine oder eine unzulängliche „Leitung“, keine sachgerechten Vorgaben etc. (besonders wichtig bei medizinischen Gutachten, vgl. Doukoff, DAR-Extra 13, 745).
    • 6. Verletzung des Anhörungsrechts nach §§ 402, 397 ZPO; häufiger Fehler (aktuell BVerfG NJW-RR 13, 626; BGH VersR 15, 257; näher Eggert, VA 11, 168/170, auch zur Anhörung von Amts wegen nach § 411 Abs. 3 ZPO).

     

    • 7. Keine Beauftragung eines weiteren Sachverständigen (Obergutachter). Zum Verstoß gegen § 412 ZPO BGH NJW 11, 852.

     

    • 8. Verstoß gegen § 285 Abs. 1, § 279 Abs. 3 ZPO, wonach über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln und der Sach- und Streitstand erneut mit den Parteien zu erörtern ist. Das gilt auch für die SV-Anhörung. Findet sich im Protokoll kein Hinweis auf eine derartige Verhandlung, steht der Verfahrensfehler (zugleich Verstoß gegen Art. 103 GG) fest (BGH 25.9.07, VI ZR 162/06, Abruf-Nr. 113072; BGH NJW 12, 2354: Zeugenvernehmung).

     

    • 9. Ersetzung der Protokollierung eines mündlichen Gutachtens durch einen Berichterstattervermerk, ohne dass dieser Aktenbestandteil wird und ohne ausreichende Darstellung im Urteilstatbestand (BGH NJW 92, 2291).

     

    • 10. Fehler bei der Überprüfung und Würdigung des Gutachtens:

     

      • Keine Auseinandersetzung mit Diskrepanzen innerhalb eines Gutachtens oder zwischen verschiedenen Gutachten (BGH NJW 14, 71).
      • Übergehen von Widersprüchen zwischen erst- und zweitinstanzlichem Gutachten (BGH NJW 92, 2291; s. auch BGH NJW-RR 11, 704).
      • Gericht übersieht, dass der SV den Beweisbeschluss nicht ausgeschöpft hat, z.B. beschlusswidrig keine Stellung zu einem Privatgutachten genommen hat (BGH 1.7.14, VI ZR 219/13, Abruf-Nr. 150812).
      • Keine oder nur unzureichende Berücksichtigung eines Privatgutachtens (BGH NJW 15, 1311).

     

    • 11. Fehler bei der Ersetzung des unmittelbaren SV-Beweises durch ein Gutachten aus einem anderen Verfahren (§ 411a ZPO). Dazu Eggert, VA 11, 168/169.

     

     

     

    Übersicht 2 / Fehler beim Zeugenbeweis

    • 1. Übersehen/Übergehen eines Beweisantrags: klarer Fall der Gehörsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG).

     

    • 2. Zurückweisung eines entscheidungserheblichen Zeugenbeweisangebots ohne prozessuale Legitimation (z.B. Verspätung, Ungeeignetheit) ist gleichfalls ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., BGH 6.2.14, V ZR 262/13, juris).

     

      • Zurückweisung als ungeeignet: Beispiele für Ungeeignetheit des Beweismittels „Zeuge“ bei Eggert, VA 11, 43, 45.
      • Zurückweisung wegen „Ausforschung“ oder „Behauptung ins Blaue“: meist fehlerhaft, da nur in sehr engen Grenzen zulässig (BVerfG NJW 09, 1585).

     

    • 3. Keine erneute Vernehmung durch das Berufungsgericht (§ 398 Abs. 1 ZPO). Zu den allgemeinen Voraussetzungen einer erneuten Vernehmung BGH 20.11.14, IX ZR 31/13, juris; Beispiele aus dem Unfallprozess bei Eggert, VA 11, 43, 46.
    • 4. Kein Verhandeln über das Ergebnis der Beweisaufnahme und erneute Erörterung: Geht aus dem Protokoll, wie so oft, nicht hervor, dass die § 285 Abs. 1, § 279 Abs. 3 ZPO eingehalten worden sind, stellt dies einen Gehörsverstoß (Art 103 GG) und zugleich einen Verfahrensfehler dar (BGH NJW 12, 2354).

     

    • 5. Dolmetscher. Verfahrensfehler, wenn ein notwendiger Dolmetscher nicht hinzugezogen oder ein vorhandener Dolmetscher, der nicht allgemein beeidigt ist, nicht vereidigt wird. Die Ablehnung der Vernehmung eines erschienenen, aber der deutschen Sprache nicht mächtigen Zeugen mit der Begründung, die beweisführende Partei habe auf die Notwendigkeit eines Dolmetschers hinweisen müssen, ist fehlerhaft (OLG Hamm DAR 00, 267).