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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Umfang der Mitwirkungspflicht des Geschädigten bei der Aufklärung schwerer Personenschäden

    Ein Unfallgeschädigter, der Ersatz seines Personenschadens verlangt, ist im Fall des Vorschadeneinwands des Schädigers nicht unbedingt verpflichtet, seine private Krankenversicherung von der Schweigepflicht zu entbinden, um so eine Vorlage des Vorerkrankungsverzeichnisses zu ermöglichen (OLG Düsseldorf 5.3.13, I-1 U 115/12, Abruf-Nr. 131858).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Die zur Unfallzeit 50 Jahre alte Kl., eine Lehrerin, hatte bei einem Auffahrunfall mit voller Einstandspflicht des Gegners unstreitig eine HWS-Distorsion I. bis II. Grades erlitten. Im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt begab sie sich zunächst in physiotherapeutische, später in psychiatrische Behandlung. Diagnostiziert wurde eine schwere Belastung und eine schwere depressive Episode. Wegen fortdauernder Dienstunfähigkeit wurde die Kl. vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die posttraumatische Belastungsstörung mit Ausbildung eines psychogenen Schiefhalses (Torticollis) war als solche in II. Instanz nicht mehr im Streit. Hauptstreitpunkt war, ob bei der Kl. eine physische und/oder psychische Prädisposition vorhanden war und ob sie zur Aufklärung der entsprechenden Behauptung des bekl. KH-Versicherers verpflichtet ist, ihre private Krankenversicherung von der Schweigepflicht zu entbinden, damit diese über Erkrankungen in der Zeit vor dem Unfall Auskunft geben kann, etwa durch Vorlage des Vorerkrankungsverzeichnisses. Die Kl. hat die erforderliche Entbindungserklärung ausdrücklich abgelehnt, im Übrigen aber detailliert vorgetragen, wegen welcher Erkrankungen sie vor dem Unfall in ärztlicher Behandlung gewesen ist. Sie habe sich nie in psychiatrischer Behandlung befunden.

     

    Das LG hat der Klage auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgelds sowie auf Ersatz von Verdienstausfall und Haushaltsführungsschaden nach umfangreicher Beweisaufnahme (psychiatrisches Gutachten, Zeugen) im Wesentlichen stattgegeben. Nach seinen Feststellungen hat der Unfall außer der HWS-Distorsion die geltend gemachten psychischen Beschwerden zur Folge gehabt. Von einer schon vor dem Unfall bestehenden psychischen Erkrankung bzw. einer Prädisposition könne nicht ausgegangen werden. Bei dem Beweisantrag der Bekl. bzgl. der Vorlage des Vorerkrankungsverzeichnisses handele es sich um unzulässige Ausforschung.

     

    Die Berufung blieb erfolglos. Das OLG sieht sich an die getroffenen Feststellungen gem. § 529 Abs. 1 ZPO gebunden. Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit ergäben sich nicht daraus, dass die Vorerkrankungsfrage nicht im Sinne der Bekl. durch Auswertung von Unterlagen des Krankenversicherers weiter aufgeklärt worden sei. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt sei die Kl. verpflichtet gewesen, ihre Versicherung von der Schweigepflicht zu entbinden, um so die Vorlage des Vorerkrankungsverzeichnisses zu ermöglichen, so das Fazit des Senats nach ausführlicher Erörterung aller in Betracht kommenden prozessualen und materiellrechtlichen Grundlagen (§§ 142, 422 ZPO, Beweisvereitelung, § 158d VVG a.F. = § 119 Abs. 3 VVG n.F., §§ 810, 242 BGB).

     

    Praxishinweis

    Die lesens- und im Ergebnis begrüßenswerte Entscheidung kann Anwälten von Unfallopfern bei der Abschätzung des Risikos helfen, das sich aus einer Weigerung des Mandanten ergibt, die Krankenversicherung/Krankenkasse oder den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.

     

    Aber: Wer „mauert“ provoziert die Frage nach dem Warum. Auch wenn eine Partei keine gesetzliche Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Aufklärung hat, kann das Gericht zu ihrem Nachteil Schlüsse aus ihrer Verweigerung ziehen. Dies jedenfalls dann, wenn sie keine nachvollziehbaren Gründe für ihre Haltung nennt.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Zu den vielfältigen beweisrechtlichen Problemen im Zusammenhang mit dem Vorschadeneinwand des Schädigers/Versicherers in Personenschadensfällen siehe Eggert, VA 10, 60
    • Zur Frage „erlaubte Vermutung vs. unzulässige Ausforschung“ - gleichfalls in einer Personenschadenssache - auch OLG Stuttgart 31.1.13, 19 U 148/12, Abruf-Nr. 131859.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2013 | Seite 112 | ID 39955950