· Fachbeitrag · Vollstreckungspraxis
Stief- und Pflegekinder: keine Erhöhung des Pfändungsfreibetrags
| Es kommt immer wieder vor, dass Schuldner bei der Pfändung von Arbeitseinkommen gemäß § 850f Abs. 1 ZPO beantragen, ihren monatlichen Pfändungsfreibetrag auch bei der Mitversorgung von Stiefkindern zu erhöhen. Zu Recht? |
§ 850f Abs. 1 ZPO soll im Interesse des Schuldners sicherstellen, dass diesem nach der Pfändungsmaßnahme das Existenzminimum bleibt. Zugleich soll im Interesse der Allgemeinheit, die Mittel für ergänzende Sozialhilfeleistungen aufbringen muss, verhindert werden, dass der Gläubiger zu ihren Lasten befriedigt wird. Reicht daher der pfändungsfreie Teil des Arbeitseinkommens nicht aus, um den individuellen Lebensbedarf des Schuldners zu decken, und sind seine Bedürfnisse bei Bemessung des notwendigen Unterhalts nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO nicht hinreichend berücksichtigt worden, kann dies über § 850f Abs. 1 ZPO ausgeglichen werden.
Durch Bezugnahme in § 850f Abs. 1 S. 1 ZPO auf § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO erhöht sich der Pfändungsfreibetrag nur, wenn der Schuldner aufgrund einer gesetzlichen Pflicht seinem Ehegatten, früheren Ehegatten, Lebenspartner, früheren Lebenspartner, Verwandten oder Elternteil Unterhalt gewährt (BGH VE 18, 131, Abruf-Nr. 197572).
MERKE | Nur gesetzliche, nicht vertragliche Unterhaltspflichten oder freiwillige Unterhaltsleistungen sind daher zu berücksichtigen. Ebenso wenig fallen Unterhaltsrenten, die der Schuldner als Schadenersatz zahlen muss, unter diese Regelung. Auch freiwillige Zahlungen an Stiefkinder oder Pflegekinder oder den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führen zu keiner Erhöhung des Pfändungsfreibetrags, auch wenn diese Personen im Haushalt des Schuldners wohnen. |
Anders zu beurteilen ist die Situation, wenn dem Schuldner gerichtlich die Vormundschaft eines Stiefkindes zu dessen Wohl übertragen wurde und er im Rahmen dessen Unterhaltszahlungen leistet, die der eigentliche Kindesvater verweigert. Hier dürfte § 850f Abs. 1 ZPO analog anzuwenden sein.
MERKE | Eine Analogie setzt jedoch eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Die vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Lücke muss dabei aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden können, weil sonst jedes Schweigen des Gesetzgebers als planwidrige Lücke im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden könnte (BGH VE 18, 131). |
Bei gerichtlich angeordneter Vormundschaft ist der Schuldner ‒ im Gegensatz zur Pflegschaft ‒ gesetzlicher Vertreter einer minderjährigen Person und sorgt i. d. R. mit seinem eigenen Vermögen quasi „freiwillig“ für diese und entlastet so die Allgemeinheit. Dieses „ehrenwerte“ Verhalten darf ihm nicht zum Nachteil gegenüber solchen Schuldnern gereichen, die tatsächlich gesetzliche Unterhaltsleistungen erbringen (AG Koblenz 20.9.18, 21 IK 74/16, n.v.).