· Fachbeitrag · Leserforum
Wann sind Gutachterkosten erstattungsfähig?
| Kosten für ein Gutachten können sowohl bei VN als auch bei VR anfallen. Der VR wird regelmäßig ein Gutachten erstellen lassen, wenn er den Verdacht hat, dass ein Versicherungsfall vorgetäuscht wird oder über die Höhe des Schadens arglistig getäuscht wird. Der VN wird ein Gutachten beauftragen, wenn er ein Privatgutachten des VR erschüttern oder die Erfolgsaussichten einer Klage abschätzen will. Unser Autor VRiOLG a.D. Werner Lücke beantwortet Fragen zur Erstattung der anfallenden Gutachterkosten. |
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Der Kläger hatte nach einem Verkehrsunfall den gegnerischen Haftpflicht-VR in Anspruch genommen. Dieser vermutete einen vorgetäuschten Unfall und/oder Unfallschäden. Er lehnte die Erbringung von Leistungen ab. Nach Klageerhebung holte der VR ein Privatgutachten zum Unfallhergang ein, legte dies im Prozess aber nicht vor. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Im Kostenfestsetzungsverfahren machte der VR auch die Kosten für das Gutachten geltend. |
Frage: Können die Gutachterkosten in diesem Fall Berücksichtigung finden?
Antwort: Der BGH (26.2.13, VI ZB 59/12, Abruf-Nr. 131199 ) hat in einer höchst bemerkenswerten Entscheidung diese Frage bejaht und damit die Auffassung der Vorinstanzen bestätigt. Dabei hat er folgendermaßen argumentiert:
- Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Dazu können nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch die Kosten für die Einholung eines Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind (BGHZ 153, 235; BGHZ 192, 140; VersR 06, 1236; VersR 08, 801 und VersR 09, 563). Dies ist hier der Fall, denn das Privatgutachten ist vom VR am Tag nach der Klagezustellung in Auftrag gegeben worden.
- Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ist die Einholung eines Privatgutachtens, wenn eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen (BGHZ 192, 140). Nach dem Klagevorbringen lagen im Streitfall Anhaltspunkte für den Verdacht eines versuchten Versicherungsbetrugs vor. Daher durfte der VR es für sachdienlich halten, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um die Frage einer möglicherweise gegebenen Unfallmanipulation abzuklären. Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, wie der VR die Beweissituation vor Klageerhebung eingeschätzt hat.
- Dem steht nicht entgegen, dass der VR das Gutachten weder im Rechtsstreit noch im Kostenfestsetzungsverfahren vorgelegt hat. Der BGH hat schon zuvor klargestellt (a.a.O.), dass für die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit insoweit allein maßgebend ist, ob die Partei die Einholung des Gutachtens ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Auch soweit die Vorlage des Gutachtens im Rechtsstreit mit der Begründung verlangt wird, dass die Notwendigkeit eines Privatgutachtens zu verneinen sei, wenn dieses nicht in den Rechtsstreit eingeführt werde und deshalb weder vom Gericht noch von dem Gegner überprüfbar sei (OLG München NJW-RR 95, 1470), kann dem nicht gefolgt werden. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Kosten auslösende Maßnahme veranlasst wurde. Daher kann die Erstattungsfähigkeit weder von dem Ergebnis der Begutachtung noch von deren Überzeugungskraft abhängig gemacht werden. Deshalb kann auch nicht verlangt werden, dass die Partei den Inhalt des Privatgutachtens durch entsprechenden Vortrag in den Rechtsstreit einführt oder das Gutachten selbst im Laufe des Rechtsstreits vorlegt.
- Dass die in Ansatz gebrachten Kosten tatsächlich entstanden sind, hat das Beschwerdegericht aufgrund der vom VR eingereichten Rechnung des Sachverständigenbüros und der anwaltlichen Erklärung ihres Prozessbevollmächtigten ersichtlich für glaubhaft gemacht erachtet (§ 294 i.V.m. § 104 Abs. 2 S. 1 ZPO). Im Hinblick darauf bedurfte es auch im Kostenfestsetzungsverfahren nicht der Vorlage des Gutachtens.
Frage: Kann nicht die Vorlage des Gutachtens doch erforderlich werden?
Antwort: Ja. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Notwendigkeit der Höhe der Kosten (z.B. Anzahl der Stunden und/oder der Höhe des Stundensatzes) in Abrede gestellt, oder wenn die Erstattung des Gutachtens überhaupt oder der Zusammenhang mit dem Prozess strittig wird.
Frage: Was ist, wenn es gar nicht zu einem Prozess kommt?
Antwort: Für vom VR aufgewandte Kosten hat das LG Berlin (16.1.13, 23 S 27/12, Abruf-Nr. 131900 ) entschieden, dass dem VR ein auf Erstattung der Gutachterkosten gerichteter Schadenersatzanspruch gegenüber dem VN unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehe. In dem betreffenden Fall hatte der VR durch das Gutachten feststellen können, dass der VR Belege zum Nachweis von Stehlgut zurückdatiert hatte. Er hatte daher eine Leistung verweigert (ausführlich dazu: VK 14, 87 ).
Frage: Wie verhält es sich dabei mit Gutachterkosten, die der VN aufwendet?
Antwort: In erster Linie sind die Bedingungen maßgeblich. Das gilt auch für die Kostenverteilung im Sachverständigenverfahren. Davon abgesehen gilt für die Schadenversicherung § 85 VVG. Nach dessen Absatz 2 ist die Erstattungspflicht für Gutachten, abgesehen von den im Gesetz genannten Ausnahmen, ausgeschlossen. Das gilt über § 189 VVG aber nicht für die Unfallversicherung. Nicht übersehen werden darf dabei, dass insbesondere bei komplexen Schadensfällen Gutachterkosten Bestandteil des zu erstattenden Schadens sein können. Lehnt der VR zu Unrecht die Erbringung von Leistungen ab, können danach aufgewandte Kosten auch Bestandteil eines zu ersetzenden Verzugsschadens sein.
Frage: Schließt § 85 Abs. 2 VVG auch Gutachterkosten des VN aus, die der Vorbereitung des Prozesses dienen?
Antwort: Nein. Die prozessrechtlichen Regelungen sind davon unabhängig. Auch ein vor Klageerhebung entstandenes Gutachten kann kostenausgleichspflichtig sein. Es gelten auch hier die vom BGH genannten Voraussetzungen.
Das Gutachten muss also zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und unmittelbar prozessbezogen sein. Insoweit genügt es nicht, wenn das Gutachten irgendwann in einem Rechtsstreit verwendet wird. Vielmehr muss sich das Gutachten auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden sein. Die Partei hat nämlich grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Ersatzberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen. Deshalb genügt die Vorlage eines in diesem Zusammenhang erstellten Gutachtens allein nicht. Die Tätigkeit des Privatsachverständigen muss in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehen.
§ 104 Abs. 2 S. 1 ZPO verlangt dabei die Glaubhaftmachung der Kostenposition, die sich nicht nur auf die Vorlage des Kostenbelegs, sondern auch auf die der Annahme der Erstattungsfähigkeit zugrunde liegenden Tatsachen zu erstrecken hat (OLG Koblenz 15.5.12, 14 W 248/12).
Ein Gutachten, das ein Privatgutachten des VR erschüttern oder die Erfolgsaussichten einer Klage abschätzen soll, wird dabei jedenfalls dann, wenn es auch in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Klageerhebung bzw. der Vorlage des Gutachtens des VR steht, als prozessbezogen anzusehen sein. Die Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung lässt sich m.E. zwingend allein damit begründen, dass der VN selbst nicht fachkundig ist und deshalb - insbesondere gegenüber dem besonders fachkundigen VR - für sachgerechten Vortrag auch sachverständiger Unterstützung bedarf.
Hinweis der Redaktion | Wenn Sie Fragen zu bestimmten Themenbereichen haben, schicken Sie sie uns (IWW Institut, Redaktion Versicherung und Recht kompakt, Aspastraße 24, 59394 Nordkirchen, Fax 02596 92299, vk@iww.de). Wir werden in unserem Leserforum darauf zurückkommen.
Weiterführender Hinweis
- Leserforum zum Betrugsnachweis: Kann der VR Schadenersatz wegen Ermittlungskosten vom VN verlangen? VK 14, 87