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  • 12.01.2010 | Unfallversicherung

    Invaliditätsentschädigung: Voraussetzungen für die Anrechnung von Vorschädigungen

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    1. Ein Gebrechen ist ein dauernder abnormer Gesundheitszustand, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt.  
    2. Ein Gebrechen liegt (auch) vor, wenn eine früher erlittene Körperverletzung auch ohne zwischenzeitliche Beschwerden zur Verstärkung der gesundheitlichen Folgen eines späteren Unfalls beigetragen hat.  
    3. Zustände, die noch im Rahmen der medizinischen Norm liegen, sind selbst dann keine Gebrechen, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten.  
    (BGH 8.7.09, IV ZR 216/07, Abruf-Nr. 094181)

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der unfallversicherte (AUB 2000) VN hatte 2000 einen unfallbedingten Riss des vorderen Kreuzbands seines linken Knies erlitten. Diese Verletzung führte damals allerdings nicht zu einer Invaliditätsfeststellung. 2004 erlitt der VN einen weiteren Unfall, bei dem er erneut am linken Kniegelenk erheblich verletzt wurde. Der VR zahlte dem VN für die Folgen dieses Unfalls eine Invaliditätsentschädigung, nahm aber unter Hinweis auf Nr. 3 S. 2 AUB 2000 - der mit § 8 AUB 1994 fast wörtlich übereinstimmt - einen Abzug vor, weil nach der Stellungnahme des behandelnden Arztes der frühere Kreuzbandriss zu 25 Prozent an der Invalidität mitgewirkt hat.  

     

    Der VN hat die Auffassung vertreten, es fehle schon an einem Gebrechen, das bedingungsgemäß Voraussetzung für einen Abzug ist. Er habe nämlich vor dem Unfall 2004 keinerlei Probleme am Knie gehabt. Eine Anrechnung scheide aber auch deshalb aus, weil die Vorschädigung auf einem Unfall beruhe, der sich im versicherten Zeitraum ereignet habe. Der BGH hat (mit den Vorinstanzen) beide Einwände zurückgewiesen:  

     

    • Ein Gebrechen sei im Streitfall zu bejahen. Dies werde als dauernder abnormer Gesundheitszustand definiert, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulasse (Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 3 AUB 99/§ 8 AUB 88/94 Rn. 2; Kloth, Private Unfallversicherung, Kapitel J Rn. 5 f.). Allerdings seien Zustände, die noch im Rahmen der medizinischen Norm liegen, selbst dann keine Gebrechen, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuteten. Ein solcher Fall liege aber nicht vor. Der frühere Kreuzbandriss habe für das Kniegelenk nicht nur zu einer erhöhten Schadensanfälligkeit geführt, die als solche nicht zu berücksichtigen gewesen wäre. Trage - wie hier - eine früher erlittene Körperverletzung auch ohne zwischenzeitliche Beschwerden zur Verstärkung der gesundheitlichen Folgen eines späteren Unfalls bei, sei nämlich allein deshalb von einem Gebrechen auszugehen.

     

    • Ohne Bedeutung sei auch, dass sich der das Gebrechen begründende Unfall während des Laufs der bestehenden Versicherung ereignet habe. Die Bedingungen gäben für eine abweichende Auffassung nichts her. AVB seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei komme es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit (auch) auf seine Interessen an. Der durchschnittliche VN gehe vom Wortlaut aus und verstehe Nr. 3 AUB 2000 so, dass unfallfremde Krankheiten und Gebrechen grundsätzlich zu seinen Lasten gehen, nämlich zu einer Kürzung des Anspruchs oder einem Abzug von der Gesamtinvalidität führen. Weiter entnehme er daraus, dass Krankheiten und Gebrechen, wenn und soweit sie Folge eines früheren Unfalls sind, diesem zuzurechnen sind und nicht dem neuen Unfall. Dabei stelle der durchschnittliche VN nicht darauf ab, ob die Krankheit oder das Gebrechen, die sich auf die Folgen eines Unfalls auswirken, durch diesen aber nicht verursacht worden sind, auf einem früheren Unfall oder sonstigen Umständen beruhen. Er unterscheide entgegen der Ansicht der Revision nicht den Begriff der Krankheit oder des Gebrechens von dem eines Unfalls. Vielmehr differenziere er danach, ob ein vor dem Unfall erlittener Gesundheitsschaden die Unfallfolgen verstärke oder nicht. Dafür spreche auch der dem VN erkennbare Zweck der Klausel, Krankheiten oder Gebrechen aufgrund früherer Unfälle, selbst wenn diese während der Laufzeit des Unfallversicherungsvertrags passierten, anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Der durchschnittliche VN erwarte demgemäß nicht, dass der VR ihm Versicherungsschutz insoweit biete, als bereits vor dem Unfall bestehende körperliche Beeinträchtigungen sich auf die Unfallfolgen auswirkten.